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Politik: Von Putins Gnaden

St. Petersburg wählt. Mit Valentina Matwijenko will Russlands Präsident die widerspenstige Stadt politisch auf Linie bringen

Der Preis ist heiß bei der Gouverneurswahl in St. Petersburg an diesem Sonntag: Ernsthaft wird erwogen, in Russlands alter Hauptstadt, für die Massen Symbol vergangener imperialer Größe, etwa mit dem Parlament erneut Teile der Staatsmacht anzusiedeln. Für die Kontrolle riesiger Finanzströme, vor allem beim Ölexport gen Westen braucht der Kreml zudem einen absolut loyalen Statthalter. Bei den Petersburgern indes hält sich die Begeisterung für Putins Konzept von straffer Machtvertikale und gelenkter Demokratie in Grenzen. Bei Zustimmungsraten von landesweit rund 70 Prozent kommt er in seiner Vaterstadt auf weniger als 50 Prozent.

Doch die Präsidentenwahl im März 2004 zwingt Wladimir Putin in die Offensive. Für den Sturm fährt er schwere Artillerie auf: seine Landsmännin Valentina Matwijenko, Ex-Vizepremier für Soziales und lange die einzige Frau in der russischen Regierung. Eine massige Mittfünfzigerin mit Durchsetzungsvermögen, die hinter ihrer Kühle brennenden Ehrgeiz verbirgt. Zuvor Botschafterin in Griechenland, bewegt sie sich auf internationalem Parkett gewandt und stilsicher – Qualitäten, mit denen sie im Frühjahr 2000 als Sherpa für die ersten Schritte von Ljudmila Putina als First Lady ebenso reüssierte wie bei Putins erstem Versuch, die Verhältnisse in der Newa-Stadt neu zu ordnen.

Dort nämlich stellte sich zur Wiederwahl als Gouverneur ein Mann, mit dem der Herr des Kremls eine Rechnung offen hatte: Wladimir Jakowlew. Der hatte Mitte der neunziger Jahre mit KP-Unterstützung Putins Paten Anatolij Sobtschak entmachtet und Putin selbst nach Moskau verbannt, wo dieser seine Karriere als höherer Beamter der Kreml-Administration beenden sollte. Überraschend pfiff Putin Matwijenko dann zurück; Jakowlew hatte inzwischen alle Schlüsselpositionen mit seinen Leuten besetzt. Matwijenkos Niederlage war daher programmiert und hätte Putin, gerade erst gewählt und noch ohne Hausmacht in den Regionen, beschädigt. Burgfrieden auf Zeit, hieß es damals in der hiesigen Presse. Die zeigte sich überzeugt, dass Putin den Anlass für die Abrechnung in aller Ruhe abwarten würde.

Den lieferte Jakowlew selbst: mit finanziellen Mauscheleien bei der 300-Jahrfeier der Stadt Ende Mai. Gleich danach musste er seinen vorzeitigen Rücktritt bekannt geben. Die Rache Putins war perfide: Jakowlew muss die Privatisierung der Wohnungswirtschaft, derzeit der größte Sollposten im Haushalt auf den Weg bringen. Seine damit verbundene Beförderung zum Vizepremier gilt als Schnellstraße ins politische Aus. Denn beim Versuch, dieses monströse Feld zu reformieren, haben sich schon politische Schwergewichte die Zähne ausgebissen. Mit Jakowlews Rücktritt schlug erneut die Stunde Matwijenkos. Putin ernannte sie zum Generalgouverneur für den russischen Nordwesten und verschaffte ihr so permanente Medienpräsenz und die unschätzbare Logistik eines Staatsamtes im Wahlkampf. Bisher schlimmster Auswuchs: Am 2. September liefen auf allen Kanälen Bilder von Matwijenkos Audienz bei Putin, der ihr „von Herzen Erfolg“ wünschte. Vizegouverneurin Anna Markowa, Matwijenkos schärfste Konkurrentin, die von der demokratischen Opposition unterstützt wird, witterte einen Verstoß gegen das Wahlgesetz und klagte auf Suspendierung Matwijenkos.

Stattdessen wurde jedoch Markowa zeitweilig aus dem Rennen genommen. Der Direktor einer Nudelfabrik hatte ihr Fälschung der Wahlunterlagen vorgeworfen. Der Verdacht ist nun vom Tisch, und das Gericht befasst sich inzwischen sogar mit den Klagen gegen Matwijenko. Mit mehr als einer Verwarnung – nach der Wahl – rechnen indes selbst unverbesserliche Optimisten nicht.

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