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Familienwerte. Nicht nur in der SPD gibt es Kritik. Der ehemalige CSU-Kultusminister Hans Maier mahnt seine Partei, beim Familiennachzug großzügig zu sein.

© Boris Roessler/dpa

Vor dem Parteitag: Das Thema Familiennachzug spaltet die SPD

Der Nachzug solle nicht wieder erlaubt, sondern "gestaffelt" werden, vereinbarten Union und SPD. Integrationspolitiker äußern offen ihre Probleme mit dem Sondierungsergebnis.

Eine Sondierung sei noch keine Koalitionsvereinbarung, das wird aus der SPD-Führung jetzt immer wieder betont. Eine Abstimmung über die weitere Aussetzung des Familiennachzugs in dieser Woche wird es, wie aus der Bundestagsfraktion zu hören ist, deswegen diese Woche noch nicht geben. Medienberichte, die von einer Befassung des Parlaments schon an diesem Dienstag berichteten, waren nach Information von SPD-Fachpolitikern aber nicht ohne Grund – demnach zog die Führung den ursprünglichen Plan zurück. Erst am nächsten Sonntag soll ein SPD-Parteitag sein Urteil über die Ergebnisse der Sondierung abgeben.

Nachzug wird nicht wieder erlaubt, sondern "gestaffelt"

Die Zeit drängt jedenfalls, und das ausgerechnet beim heiklen Thema Familiennachzug. Mit dem sogenannten Asylpaket II war 2016 festgelegt worden, dass Flüchtlinge mit dem minderen „subsidiären“ Schutzstatus zwei Jahre lang ihre Familien nicht zu sich nach Deutschland holen durften. Diese Regelung läuft im März aus, entsprechend drängt die Zeit. Die SPD stimmte 2016 unter dem Druck der Union zu; auch jetzt gelang es ihr nicht, den Punkt zugunsten der Flüchtlinge zu verhandeln. Im am Freitag veröffentlichten Papier von Union und Sozialdemokraten heißt es zwar diplomatisch: „Das Gesetz zur Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige läuft aus.“ Im folgenden wird aber festgelegt, dass der Familiennachzug auch nach dem Stichtag nicht wieder gilt wie vor dem Asylpaket II.

Stattdessen ist von einem „gestaffelten“ Nachzug die Rede, mit dem monatlich tausend Angehörige nachziehen dürfen. Und der wird an Bedingungen geknüpft: Ehepartner dürfen nur kommen, wenn die Ehe bereits vor der Flucht bestand, außerdem dürfen die nachziehenden Familienangehörigen weder als Gefährder gelten noch schwere Straftaten begangen haben. Im Gegenzug nimmt Deutschland seine Zusage zurück – auch dies steht im Sondierungspapier – Griechenland und Italien monatlich tausend Flüchtlinge abzunehmen. Beide Länder sind als Grenzregionen der EU besonders belastet.

Grummeln in der Fraktion

Ob die Fraktion die Zerreißprobe bestehen wird, ist noch unklar. Die Migrationsfachleute der Bundestags-SPD halten sich noch bedeckt. Der Hallenser Abgeordnete Karamba Diaby, dessen Landes-SPD am Wochenende Nein zur Groko gesagt hatte, sieht zwar „Lichtblicke“ in den Sondierungsergebnissen, etwa das geplante Einwanderungsgesetz. Allerdings gebe es anderswo „einige Schwierigkeiten, insbesondere beim Familiennachzug“. Auch der Integrationsbeauftragte der Fraktion, Josip Juratovic, sagt: „Ich sehe die enge Begrenzung des Familiennachzugs kritisch.“ Tausend Menschen pro Monat seien zu wenig.

Die Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt der SPD bleibt nicht zuletzt wegen der Sondierungsergebnisse zur Flüchtlingspolitik beim glatten Nein zur Groko-Neuauflage: „Mit den beiden Obergrenzen, zum einen für die Zuwanderung und zum anderen für den Familiennachzug, wurden im Sondierungspapier rote Linien überschritten“, heißt es in einer Stellungnahme der AG. Damit zu argumentieren, dass das Wort „Obergrenze“ im Text nicht auftauche, nennt ihr Bundesvorsitzender Aziz Bozkurt „Humbug“. Dieser Beschluss wie auch ein neuer Automatismus für sichere Herkunftsstaaten komme dem Asylkompromiss von 1992 „sehr nahe“. Damals hatte die SPD die drastische Änderung des Asylartikels im Grundgesetz ermöglicht. Künftig sollen nun Herkunftsstaaten von Flüchtlingen automatisch als sicher gelten, wenn lediglich fünf Prozent der Asylsuchenden von dort anerkannt werden.

Ex-Kultusminister Maier kritisiert seine CSU

Die regelmäßige Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung förderte zu den Anerkennungsquoten jetzt neue Zahlen zutage: Demnach hatte fast die Hälfte (44 Prozent) der Geflüchteten, die gegen ihre Asylbescheide klagten, in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres Erfolg. Von den Afghanen waren 61, von den Syrern sogar 69 Prozent erfolgreich. Die Zahl bezeichnet die „bereinigte Schutzquote“, also Fälle, die inhaltlich entschieden wurden und sich nicht anders erledigten.

Die Zahlen zum Familiennachzug sind bereits länger bekannt, demnach kommt rechnerisch etwa ein nachziehendes Familienmitglied auf drei Geflüchtete. Eine Arbeitsgruppe des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, das zur Bundesagentur für Arbeit gehört, kam im Oktober auf aktuell 50- bis 60 000 Menschen, einschließlich der bisher ausgeschlossenen subsidiär Geschützten. Trotz der vergleichsweise geringen Zahlen war der Nachzug ein Hauptthema bereits der später gescheiterten Jamaika-Sondierungen zwischen Union, Grünen und FDP. Dass er es jetzt wieder ist, kritisierte jetzt sogar Bayerns Ex-Kultusminister Hans Maier (CSU) in einem Brief an die CSU-Landesgruppe: „Kann eine Partei, die das C im Namen führt, wirklich den Familiennachzug – vielmehr sein Unterbleiben – zur Hauptforderung bei künftigen Koalitionsverhandlungen machen?“

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