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Paolo Gentiloni hat in Italien die Regierungsgeschäfte des zurückgetretenen Premiers Matteo Renzi vorübergehend übernommen.

© REUTERS

Vor Urteil des Verfassungsgerichts in Italien: Neuwahlen, und zwar subito

Eine klare Mehrheit in Italien wünscht Neuwahlen, doch Justiz und Politik lassen sich Zeit. Am Dienstag verschob das Verfassungsgericht die Bekanntgabe seines Urteils zum Wahlgesetz auf Mittwoch.

Die Verfassungsrichter haben sich am Dienstag Zeit gelassen und die Bekanntgabe ihres Urteil zum Wahlgesetz auf Mittwochmittag vertagt. Aber eigentlich wartet das Land nicht erst seit Dienstag auf den Entscheid, sondern seit dem 4. Dezember: An diesem Tag haben Italiens Stimmberechtigte die von der Regierung von Matteo Renzi beschlossene Verfassungsreform abgelehnt und indirekt den Premier nach Hause geschickt. Nach Renzis Rücktritt wurde dessen sozialdemokratischer Parteifreund Paolo Gentiloni als Übergangspremier eingesetzt – doch obwohl dieser seinen Job nach verbreiteter Meinung bisher recht gut gemacht hat, wünscht sich seit dem politischen Erdbeben vom 4. Dezember eine klare Mehrheit der Italiener nur noch eines: Neuwahlen, und zwar subito.

Dazu wäre freilich ein praktikables Wahlgesetz erforderlich – und ein solches fehlt derzeit in Italien. Denn das von der Regierung Renzi zusammen mit der Verfassungsreform im letzten Sommer erlassene sogenannte „Italicum“ gilt nur für die Abgeordnetenkammer – der Senat sollte ja auf eine nicht mehr vom Volk direkt gewählte Regionenkammer reduziert werden. Mit dem Nein zur Verfassungsreform hat der Senat aber in seiner alten Form überlebt. Und weil gegen das „Italicum“ ohnehin mehrere Klagen hängig waren und der Entscheid der Verfassungsrichter für den 24. Januar terminiert war, legte das Parlament in Sachen Wahlgesetz seit dem 4. Dezember die Hände in den Schoß: Die zuständige Kommission hat bisher kein einziges Mal getagt. Motto: Warten wir erst einmal ab, was laut den Verfassungsrichtern überhaupt erlaubt ist und was nicht.

Das Gericht stand bei seinem Entscheid unter erheblichem politischen Druck: Vor allem die beiden derzeit stärksten populistischen Kräfte, Beppe Grillos Protestbewegung M5S und die fremdenfeindliche Lega Nord, forderten von den Richtern ein Wahlgesetz, das sofort und ohne vorangehende Beratung durch das Parlament anwendbar ist.

Beppe Grillos Protestbewegung liegt in Umfragen gleichauf mit der PD

Sollten tatsächlich im Frühling Wahlen stattfinden, droht ein ungemütliches Szenario, nicht nur für Italien. Trotz der wenig berauschenden Performance der M5S-Bürgermeisterin in Rom, Virginia Raggi, liegt die Protestbewegung von Beppe Grillo in den Umfragen zusammen mit Renzis PD in Führung. Es wäre durchaus möglich, dass eine Allianz von Beppe Grillo und Matteo Salvini von der Lega Nord bei Neuwahlen mehr Stimmen erzielen würde als die bisherige Regierungskoalition aus Renzis PD und einigen kleinen Mitteparteien. Zwar weisen sowohl Grillo als auch Salvini Spekulationen über einen Wahlpakt weit von sich – aber inhaltlich sind sich die beiden sehr nahe gekommen: Beide sind begeistert von Trump und Putin, beide wollen raus aus dem Euro, und bezüglich der Immigranten unterscheidet sich Grillo auch kaum noch vom Scharfmacher Salvini.

Letztlich ist es aber unerheblich, ob das Verfassungsgericht ein Gesetz „pronto all’uso“ („bereit zum Gebrauch“) liefern wird oder nicht. Denn unabhängig vom Entscheid der Richter lägen für den Senat und die Abgeordnetenkammer unterschiedliche Wahlregeln vor – die mit einiger Wahrscheinlichkeit dafür sorgen würden, dass in den beiden Parlamentskammern auch unterschiedliche politische Mehrheiten entstünden und das Land nach Neuwahlen unregierbar wäre. Staatspräsident Sergio Mattarella hat mehrfach durchblicken lassen, dass er ohne ein auf beide Kammern abgestimmtes Wahlgesetz nicht bereit sei, vorzeitig das Parlament aufzulösen und den Weg für Neuwahlen frei zu machen.

Das Parlament wird nicht darum herumkommen, für ein Wahlgesetz zu sorgen, das der Verfassung genügt und für regierungsfähige Mehrheiten sorgt. Weil das dauern wird, könnten Neuwahlen frühestens im Juni stattfinden, möglicherweise erst im Herbst. Für einen späteren Termin spricht, dass über 600 der fast 1000 Abgeordneten und Senatoren erst am 15. September lange genug im Parlament sitzen werden, um ein Anrecht auf eine spätere üppige Rente zu haben. Dominik Straub

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