zum Hauptinhalt

Politik: Vorsicht Kamera

Im Mainzer Bahnhof werden biometrische Merkmale von Passanten erfasst Datenschützer übt Kritik an der versuchsweisen Datenspeicherung

Christa Karch hat davon gehört, dass hier „irgend so ein Versuchskarnickeltest gemacht wird“. Genaueres kann die 53-jährige Mainzerin nicht sagen. Sie weiß nur, dass „irgendwo am Bahnhof gefilmt“ wird. Die Studentin Laura Beyer, auch sie muss regelmäßig durch die Bahnhofshalle, weiß nicht einmal das. Sie hat nicht geahnt, dass ihre biometrischen Merkmale gespeichert werden, wenn sie die Rolltreppe benutzt. Und Rentner Alfons Schmidt staunt: Er sei oft hier, aber das habe er noch nicht gehört.

Seit Anfang Oktober wird im Mainzer Hauptbahnhof ein Pilotversuch zur Fotofahndung durchgeführt. Es ist der erste biometrische Gesichtserkennungstest, der im öffentlichen Raum stattfindet. Durchgeführt wird das Projekt vom Bundeskriminalamt. Es wurde im vergangenen Jahr vom Bundesinnenministerium damit beauftragt, die Effektivität biometrischer Verfahren zur Erhöhung der inneren Sicherheit zu untersuchen. Biometrie ermöglicht die automatisierte Wiedererkennung von Personen anhand individueller Körpermerkmale, die sich nicht leicht verändern lassen und zeitlich weitgehend konstant sind. Dazu gehören die oberen Ränder der Augenhöhlen und bestimmte Bereiche der Kieferknochen und des Mundes.

Sechs Kameras nehmen nun zwölf Wochen lang die Gesichter aller Passanten auf, die den linken Teil der Bahnhofshalle durchqueren. Untersucht wird, ob Testpersonen, deren biometrische Merkmale bekannt sind, aus der Masse herausgefiltert werden können. Wenn das funktioniere, spekuliert BKA-Sprecher Christian Brockert, könnten Gesichtserkennungssysteme bei der Suche nach vermissten Personen eingesetzt werden. Auch ein Einsatz bei Fußballspielen wäre denkbar. Bisher sind es noch szenekundige Beamte, die verhindern, dass gewaltbereite Hooligans ins Stadion gelangen. Mit Hilfe der Biometrie könnte Personal eingespart, bekannte Personen künftig per Kamera aus der Menge herausgefiltert werden. Für solche Einsätze fehlt bisher aber nicht nur die Rechtsgrundlage. Es muss erst einmal getestet werden, ob die Systeme überhaupt funktionieren.

Der Versuch ist umstritten. Jörg Hilbrans von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz hält es für rechtswidrig, dass biometrische Daten unbeteiligter Personen gespeichert werden. Zehntausende von Menschen durchqueren täglich den Mainzer Hauptbahnhof. Lediglich die Testpersonen, es sind insgesamt 200, haben sich freiwillig für den Versuch zur Verfügung gestellt und in die Speicherung ihrer Daten eingewilligt. Doch jedermann, der sich im Aufnahmebereich der Kamera bewege, sei Versuchsteilnehmer, kritisiert Hilbrans. Das BKA sieht kein Problem: Wochenlang hätten die Beamten am Bahnhof über den geplanten Test informiert, die Daten von Unbeteiligten würden außerdem nach spätestens 48 Stunden gelöscht. Darüber hinaus gebe es Hinweisschilder: Wer nicht von den Systemen aufgenommen werden wolle, könne problemlos ausweichen. All das, so das BKA, sei auch mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar genau abgestimmt worden.

Wie tauglich die Hinweise sind, darüber lässt sich streiten. Drei Schilder weisen auf die Kameras hin. Sie sind so groß wie ein Schulheft. Darauf ein Kamerasymbol, dazu der Text „Forschungsprojekt Info: www.bka.de“. Selbst wenn man die Schilder bemerkt: Sie verraten nicht einmal, wo genau der Überwachungsbereich liegt. Peter Schaar teilt auf Nachfrage mit, dass ihm zugesagt wurde, den Überwachungsbereich deutlich zu kennzeichnen. „Jeder Passant muss wissen, was da läuft und wo die Aufnahmen gemacht werden“, sagte Schaar dem Tagesspiegel. Er will jetzt vor Ort prüfen, ob diese Zusagen auch eingehalten wurden.

Die Passanten im Mainzer Bahnhof stört der Eingriff in ihre Grundrechte herzlich wenig. Einer hat sich allerdings vorgenommen, sämtliche Rolltreppen im Bahnhof erst einmal nur noch rückwärts zu benutzen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false