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Doris Pfeiffer

© Wolff

Vorstandschefin Doris Pfeiffer: "Der finanzielle Druck auf die Krankenkassen wird immens"

Die Chefin des neuen Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung über den Gesundheitsfonds, gut verdienende Ärzte – und die Probleme in den Kliniken.

Haben Sie inzwischen Ihren Frieden mit dem Gesundheitsfonds gemacht?

Der Fonds ist nach wie vor ein Problem. Ich sehe aber keine politische Mehrheit, die dieses Projekt zurückdrehen wird. Wir müssen uns also darauf einstellen, dass zum 1. Januar der einheitliche Beitragssatz gilt und die Finanzen über den Fonds abgewickelt werden.

Was ist daran so problematisch?

Die Kassen stehen untereinander im Wettbewerb, haben aber keine Möglichkeit mehr, die Beitragshöhe zu beeinflussen. Sie müssen sehen, wie sie mit dem Geld auskommen, das über Fonds und Finanzausgleich verteilt wird. Wenn das nicht funktioniert, müssen sie Zusatzbeiträge erheben, die dann aber allein von den Versicherten zu zahlen sind. Die Kassen werden alles tun, um dies zu vermeiden. Von daher wird der finanzielle Druck immens sein.

Wie gehen die Kassen damit um?

Sie sind dabei, ihre Strukturen zu überprüfen, auch zu rationalisieren. Und ich höre, dass es eine sehr abwartende Haltung hinsichtlich neuer Vereinbarungen etwa für besondere Versorgungsangebote gibt. Klar, die Kassen schauen jetzt besonders aufs Geld. Sie wissen ja erst im November, wie hoch der Beitragssatz ausfällt, wie die Mittel verteilt werden und ob die Politik ihr Versprechen erfüllt, den Fonds so auszustatten, dass die bisherigen Ausgaben zu 100 Prozent gedeckt sind.

Mit welchem Beitragssatz müssen wir denn im kommenden Jahr rechnen?

Ende September wird ein Schätzerkreis die Einnahme- und Ausgabenentwicklung im nächsten Jahr prognostizieren und eine Empfehlung abgeben. Erst dann kann man realistisch über Zahlen reden. Zum jetzigen Zeitpunkt macht das keinen Sinn und wäre auch leichtfertig.

Aber teurer wird es ja wohl in jedem Fall?

Noch wissen wir zum Beispiel nicht, wie sich die Einnahmen der Kassen entwickeln. Und wenn die Ministerin sagt, dass Ärzte und Krankenhäuser mehr bekommen sollen, muss sie auch sagen, woher das Geld kommen soll. Es gibt nur vier Möglichkeiten: ein höherer Beitragssatz, höhere Zuzahlungen, Zusatzbeiträge oder mehr Steuermittel. Aber ich befürchte, dass Sie am Ende des Jahres mit Ihrer Vermutung recht behalten werden.

Die niedergelassenen Ärzte wollen 4,5 Milliarden mehr. Wie finden Sie das?

Im Schnitt verdienen die Ärzte vor Steuern mehr als 120 000 Euro - die Einnahmen durch privat Versicherte und andere Leistungen eingerechnet. Ich denke, das ist nicht an der Armutsgrenze. Man muss aber auch sehen, wo weniger verdient wird. Insgesamt mehr Geld auszugeben, halte ich nicht für notwendig.

Das Geld sollte nur besser verteilt werden?

Über ein neues Vergütungssystem, das dafür Anreize setzen soll, verhandeln wir gerade. Seit Anfang der 90er Jahre haben sich die Arztzahlen um 30 Prozent erhöht. Die Honorare sind auch jedes Jahr gestiegen, verteilen sich jetzt aber auf mehr Ärzte. Man muss also fragen, wie viele Ärzte braucht es für gute Versorgung. Es gibt Gegenden mit Bedarf, es gibt aber auch überversorgte Regionen. Das muss über Honorare besser austariert werden.

Ein anderer Posten sind die Kliniken. Die klagen immer lauter über ihre Finanznot …

Sie haben jedes Jahr eine Milliarde Euro mehr von den Kassen bekommen, das gilt auch fürs kommende Jahr. Und etwa die Hälfte der Häuser schreibt schwarze Zahlen. Die Probleme in den Krankenhäusern liegen vor allem daran, dass die Länder ihren Investitionsverpflichtungen nicht nachkommen. Wenn Umbau und Neuorganisation nicht möglich sind, erhöht das die Betriebskosten. Die Krankenkassen zahlen genug, um den laufenden Betrieb gut zu finanzieren. Nun sind die Länder in der Pflicht, ihren Teil für die ausreichende Finanzausstattung der Krankenhäuser auch tatsächlich zu übernehmen.

Die Patienten merken vor allem, dass sie immer schlechter gepflegt werden.

Falls die Menschen in den Krankenhäusern wirklich schlechter gepflegt werden als vor zehn, zwanzig Jahren, liegt dies sicher nicht daran, dass die Pflegekräfte zu wenig Einsatz bringen, im Gegenteil: Ich habe großen Respekt vor deren Leistung. Am Stellenabbau allein könnte es auch nicht liegen, die Zahl der Abrechnungstage ist seit 1991 stärker gefallen als die der Pflegekräfte. Das Verhältnis hat sich also sogar verbessert. Problematisch ist aber häufig die Organisation in den Kliniken. Viele neuere und oft auch private Häuser zeigen, dass es anders und besser geht - für Patienten und Pflegekräfte.

Hoffen Sie eigentlich auf Rot-Grün - und eine Bürgerversicherung?

Wichtig ist, dass die gesetzliche Krankenversicherung weiterhin eine soziale Versicherung bleibt - also einkommensunabhängig umfassende Versorgung leistet. Bürgerversicherung und Prämienmodell führen beide zu einer Annäherung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Das Nebeneinander ist ein Problem.

Garantiert nicht gerade die Konkurrenz der Privaten ein hohes Versorgungsniveau?

Das ist tatsächlich ein kleiner Vorteil. Ohne die Konkurrenz von Privatversicherungen wäre die Gefahr, dass der Leistungskatalog auf eine minimale Grundversorgung reduziert wird, größer. In einem Einheitssystem ließen sich die Leistungen leichter reduzieren. Nicht zuletzt deshalb setze ich auch innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung auf Wettbewerb zwischen den einzelnen Krankenkassen.

Die Fragen stellte Rainer Woratschka.

Doris Pfeiffer (48) ist Vorstandschefin des neuen Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung, der an diesem Dienstag seine Arbeit aufnimmt.

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