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Eine Frau gibt in Boreschino, 40 Kilometer entfernt von Smolensk, ihre Stimme ab. 109 Millionen Russen waren am Sonntag aufgefordert einen neuen Präsidenten zu wählen.

© AFP

Wahl in Russland: Das Netz macht mit: Tanzen und wählen

Webkameras in Wahllokalen, Protest-Plattformen und angeregte Diskussionen: Nie war das Internet für die politische Landschaft in Russland so bedeutsam wie heute.

Bei keiner Wahl zuvor hat in Russland das Internet eine so große Rolle gespielt. Nicht nur als Plattform für Bürgerproteste und Meinungsaustausch, sondern vor allem wegen der jeweils zwei Webkameras in den rund 96 000 Wahllokalen. Mehr als 25 Millionen Russen hatten sich angemeldet, um den Urnengang im Netz zu beobachten. Bevor es am Sonntag ernst wurde, zeigten die schon zuvor angeschalteten Kameras auch skurrile Bilder.

Ein Pärchen beim romantischen Küssen, raufende Kinder sowie eine ausgelassene Party waren zu sehen, die Videos verbreiteten sich über Youtube rasch in ganz Russland. Über die Effektivität der Kameras bei der Wahlbeobachtung gab es geteilte Meinungen. Die Opposition kritisierte die teilweise schlechte Bildqualität. Dazu käme, dass die Webcams keinen Ton senden würden, sagte KP-Chef und Präsidentschaftskandidat Gennadi Sjuganow.

Er bemängelte ebenfalls, dass Amtspersonen manchmal das Geschehen mit dem Rücken verdecken würden. Zahlreiche Berichte über ausgefallene Kameras, vor allem aus entlegenen Gebieten im Osten Russlands, fanden sich auf Blogs und in der Presse. Unterdessen hält Wahlleiter Wladimir Tschurow das russische System der Webcamüberwachung für so gelungen, dass er sich auch einen Export dieser Technologie ins Ausland vorstellen kann – vor allem nach Frankreich und in die USA, da in diesen Ländern demnächst Wahlen anstehen. Bezüglich des flächendeckenden Einsatzes der Kameras bei einer Wahl sprach Tschurow von einer „Weltpremiere“.

Der bekannteste Blogger flüchtet sich in Sarkasmus

Zur wichtigsten Webseite für die Überwachung der Wahl ist indessen eine Plattform geworden, die Bürgern die Meldung von Störungen und Manipulationsversuchen ermöglicht. Auf einer großen Russlandkarte werden auf „kartanarusheniy.org“ die gemeldeten Verstöße angezeigt, bis zur Schließung der letzten Wahllokale gab es 2700 Einträge. Das Gros der Vorfälle findet sich in der Rubrik „Druckausübung auf die Wähler“. Am zweithäufigsten wurden Vorfälle gemeldet, in denen Beamte administrative Ressourcen nutzten, um einem Kandidaten ihrer Wahl zu helfen. Damit zeichnet sich auch am Tag der Wahl das gleiche Bild wie während des Wahlkampfes: Direkter und indirekter Druck auf Wähler sowie die Bevorteilung des Regierungslagers durch Behörden und Medien scheinen weit häufiger verbreitet als offenkundige Manipulationen wie gefälschte Wahlzettel. So schreibt ein Wähler aus der zentralrussischen Industriestadt Magnitogorsk: „Ich habe dieses ganze Demokratiezeug wirklich satt. Unser ganzes Kollektiv in der Fabrik wird genötigt, für Putin zu stimmen, sie drohen uns mit Lohnkürzungen.“ Ein anderer Nutzer beschreibt, wie in seiner Heimatstadt gefälschte Zeitungen verteilt wurden, die Kommunistenchef Sjuganow als „Hexenmeister“ diffamieren würden.

Der bekannteste Blogger des Landes, Aleksej Navalny, dessen Beschreibung des Regierungslagers als „Partei der Gauner und Diebe“ in Russland zum geflügelten Wort wurde, flüchtete sich auf seiner Website in Sarkasmus: „Erneut finden in Russland die ehrlichsten und transparentesten Wahlen aller Zeiten statt. Nur dass es diesmal komplett aberwitzig ist.“ Viele Russen entgegneten jedoch in Webforen, dass es angesichts der extremen Transparenz, die bei dieser Wahl versucht wurde, natürlich zu einigen Vorfällen kommen musste. Alles in allem sei die Wahl durchaus fair verlaufen.

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