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Schwarz-rote Partner. Im Januar hat Finanzminister Bullerjahn (SPD) dem scheidenden Ministerpräsidenten Böhmer (CDU) zum 75. Geburtstag gratuliert.

© dpa

Wahl in Sachsen-Anhalt: Onkel und Enkel

Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer tritt ab – als Freund der mitregierenden SPD.

Von Matthias Schlegel

Die „Original Dippelsbacher Musikanten“ oben auf der Bühne haben den Saal mit den mehr als 400 Leuten eine Stunde lang aufgeheizt. Es ist Karnevalsstimmung im frisch renovierten Kulturhaus in Ahlsdorf im Mansfelder Land. Dann sind die in Rot-Weiß gekleideten Musiker vom Ziegelröder Spielmannszug 1886 an der Reihe. Die Pauken dröhnen und die Schellen klirren zum Einzug des Ehrengastes, das Publikum hat sich von den Plätzen erhoben und beklatscht rhythmisch den etwas verlegen-verschmitzt dreinblickenden älteren Herren mit dem schütteren Haar. Die Bodyguards bahnen ihm und seiner Ehefrau den Weg zur Bühne. Es ist Wolfgang Böhmer, der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt.

Was nach Aschermittwoch aussieht, ist ein Freitag Anfang Februar, und was wie ein Wahlkampfauftritt des christdemokratischen Regierungschefs bei den Anhängern seiner eigenen Partei wirkt, ist in Wirklichkeit ein Neujahrsempfang des SPD-Ortsvereins Ahlsdorf. Dort ist die politische und private Heimat von Jens Bullerjahn, dem Finanzminister des Landes und Stellvertreter Böhmers in der Regierung. An der Seite des väterlichen Chefs lässt sich der Mann, der Spitzenkandidat der SPD für die Landtagswahl ist, in dem Pulk nach vorn schieben. Die Genugtuung über den Coup, den Ministerpräsidenten von der CDU sechs Wochen vor der Wahl in seinen SPD-Heimatverein gelockt zu haben, ist dem 48-Jährigen von seinem in diesem Moment etwas geröteten Gesicht abzulesen.

Normalerweise sitzen bei diesem traditionellen Ahlsdorfer Neujahrsempfang Größen der Bundes-SPD zum Talk auf der Bühne. Aber was ist schon normal in einem Land, in dem seit fünf Jahren CDU und SPD als Parteien und Böhmer und Bullerjahn als Personen miteinander koalieren, als seien sie Klone aus identischem politischem Erbgut. So haben die Ahlsdorfer Sozialdemokraten zwar auf das Einmarschlied „Wann wir schreiten Seit an Seit“ verzichtet, aber mehr Rücksicht auf parteipolitische Befindlichkeiten sind nicht nötig. Denn Böhmer ist gern hier. Zwar wisse er, dass seine Parteifreunde das „differenziert“ sähen. „Aber ich war schon immer unbelehrbar, und das stört mich deshalb relativ wenig.“ Wenn man fünf Jahre „richtig gut zusammengearbeitet“ habe, dann sei das normal.

Wie so oft, untertreibt der Ende Januar 75 Jahre alt gewordene Mann auch hier. In der CDU sind viele fassungslos über ein solches Ausmaß an wahlstrategischer Unbekümmertheit. Das Wort vom „Kuschelwahlkampf“ macht die Runde. Das sei „ein Kampfbegriff der Skandalisierungspresse“, sagt Böhmer. Sachverhalte auch mal polemisch zu überspitzen, ist der Gegenpol zum kokettierenden Understatement. Mit beidem macht sich Böhmer bei seinen Parteifreunden bis hin zur Bundesvorsitzenden gelegentlich unbeliebt, beim breiten Publikum kommt es gut an. Weil alles, was vom politischen Mainstream abweicht, als menschliche Ehrlichkeit verstanden wird. Doch wenn am 20. März der neue Landtag in Sachsen-Anhalt gewählt wird, zieht sich Böhmer ins Privatleben in seinem Heimatort Wittenberg zurück. In Sachsen-Anhalt wird es das Ende einer Ära sein. Denn dem von Böhmer vorgeschlagenen Nachfolger, dem CDU-Spitzenkandidaten und derzeitigen Wirtschaftsminister Reiner Haseloff, fehlt die Aura des landesväterlich Zugewandten, dem man gern mal von den alltäglichen Sorgen erzählt.

Als Chefarzt im Wittenberger Paul-Gerhardt-Stift hatte sich 1990 der damals parteilose Böhmer überreden lassen, für die CDU ein Landtagsmandat anzustreben. Eigentlich wollte er im Sommer 1991 wieder aussteigen, weil ihn die Doppelbelastung von Arztberuf und politischem Mandat überforderte. Doch just in diesem Moment trug die CDU ihm bei der ersten Regierungsumbildung das Amt des Finanzministers an. „Als ich diese dicken Haushaltsbücher gesehen habe, dachte ich, Leute, die sich über solche Sachen beugen, müssen impotent sein“, erinnert er sich. Nur 51 der knapp 200 Mitarbeiter in seinem Ministerium waren Ostdeutsche. Er sei mit der Ansprache angetreten: „Ich habe von der ganzen Sache keine Ahnung. Aber wenn Sie versuchen, mich über den Tisch zu ziehen, dann gibt’s Ärger.“

Später übernimmt die SPD die Regierung. Das „Magdeburger Modell“ der Tolerierung einer Minderheitsregierung durch die PDS bekommt dem Land nicht besonders gut und der SPD besonders schlecht. Als Böhmer 2002 nach dem Absturz der SPD als Fraktionschef und CDU-Spitzenkandidat dann Ministerpräsident einer schwarz-gelben Koalition wird, gilt er als etwas blasser Zahlenverwalter. Aber er wächst an seinem Amt und erobert sich das Recht auf eine eigene Meinung. 2006 steigt die SPD ins Boot. Den einstigen Finanzminister Böhmer und den neuen Finanzminister Bullerjahn verbindet mehr als das Verständnis für Zahlen. „Kurze Sätze von ihm bedeuteten große Aufgaben für mich“, sagt Bullerjahn, der seinen gelegentlich knorrigen Chef mit „Herr Professor“ anspricht. CDU und SPD hatten in anderthalb Jahrzehnten etwa gleich viel Schulden im Land angesammelt – nun traten sie an, sie wieder abzubauen. Die Landeshaushalte von 2007 bis 2009 kamen ohne neue Schulden aus, die verbindliche Schuldenbremse wurde statt für 2020 schon für das Jahr 2013 festgeschrieben. Die Arbeitslosigkeit sank Ende 2010 auf 10,8 Prozent, den niedrigsten Stand seit 1991. Alles keine Kunst, sagt die Opposition. Nur weil Sachsen-Anhalt die schlechteste demografische Entwicklung hat, geht es mit den Zahlen aufwärts. Und weil so niedrige Löhne gezahlt werden.

Als im Ahlsdorfer Kulturhaus der Ehrengast mit rhythmischen Klatschen verabschiedet wird, hat die Vergänglichkeit seines politischen Erbes begonnen. Der mit brausendem Beifall aufgenommene Satz: „Ich mag keinen Politikstil, wenn sich alle gegenseitig angiften“, hat eine Halbwertzeit von wenigen Tagen.

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