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Politik: Wahlen in Hamburg: Zahlen lügen nicht. Der Streit um die Kriminalität entschied die Wahl an der Elbe - wie schlimm steht es dort wirklich um das Verbrechen?

In keiner deutschen Großstadt wurden im vergangenen Jahr mehr Straftaten pro Kopf angezeigt als in Hamburg. Diese schlichte Wahrheit genügte, um Ronald Schill von null auf fast 20 Prozent der Stimmen zu katapultieren.

In keiner deutschen Großstadt wurden im vergangenen Jahr mehr Straftaten pro Kopf angezeigt als in Hamburg. Diese schlichte Wahrheit genügte, um Ronald Schill von null auf fast 20 Prozent der Stimmen zu katapultieren. Übersehen wurde: Es war nicht die einzige Wahrheit.

Die Kriminalstatistik wird in der Öffentlichkeit als Abbild des Verbrechens empfunden. Sie ist es jedoch nicht. Politiker aller Parteien lassen sich ungern darauf hinweisen. Wie soll man glaubhaft innere Sicherheit versprechen, wenn schon die Zahlen dazu unsicher sind? Die Kriminalstatistik ist ein Tätigkeitsbericht der Polizei. Sie erfasst das Anzeigeverhalten, sowohl der Bevölkerung wie der zuständigen Behörden. In Hamburg stieg die Kriminalität danach im Jahr 2000 um 1,1 Prozent, im ersten Halbjahr 2001 noch einmal um 3,5 Prozent. Ebenfalls 3,5 Prozent aller Delikte im vergangenen Jahr betraf die Gewaltkriminalität, die ihrerseits im Berichtsjahr um 6,1 Prozent gestiegen ist. Hauptdelikt: Straßenraub, im Hamburger Szenejargon "Abziehen". Die Zahl der hier angezeigten Fälle war um fast 20 Prozent geklettert. Sie war das zweite große Argument von Ronald Schill.

Im Wahlkampf ging dann unter, dass Straßenraub im ersten Halbjahr 2001 wieder um 25 Prozent weniger angezeigt wurde. Hamburgs Innensenator Olaf Scholz schlug sich dafür auf die Brust. Doch Ursachen lassen sich aus dieser Statistik schlecht herauslesen: Wer beispielsweise sein Fahrrad als gestohlen meldet, betrügt möglicherweise seine Versicherung. Der Diebstahl wird aktenkundig, vom Betrug redet niemand.

Kriminologen nehmen deshalb mindestens noch eine zweite Statistik zu Hand, wenn sie sich ein Bild vom Verbrechen machen wollen: Die gerichtliche Strafverfolgungsstatistik. Sie zählt nicht die Anzeigen und mithin mögliche Verdachtsfälle, sondern Urteile. Die Hamburger Justiz arbeitet mit einer "Verurteiltenziffer". Sie setzt die Zahl der Verurteilten in ein Verhältnis zu 100 000 altersgleichen strafmündigen Bürgern. Diese Zahl - rund zwei Prozent - ist in Hamburg seit zehn Jahren etwa gleich. Ronald Schill hätte deshalb schlecht mit ihr Wahlkampf machen können. Besser hätte sich der Hinweis geeignet, dass in Hamburg immer mehr Freiheitsstrafen statt Geldstrafen verhängt werden. Aber ist dies ein Zeichen dafür, dass alles schlimmer wird? Oder dafür, dass die Justiz härter reagiert, weil die Öffentlichkeit dies häufig fordert?

Darüber streiten die Wissenschaftler mit den Politikern. Was beide Seiten eint: Maßgeblich für die breite Diskussion um Kriminalität ist das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen. Ein schockierendes Foto von der Drogenszene in St. Georg kann da mehr bewirken als Zahlenklappern. Mehr Angst möglicherweise, gewiss mehr Empörung - und deshalb auch mehr Schill.

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