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Vater war Präsident, Großvater Rabbiner - Oppositionsführer Isaac Herzog (Mitte).

© Reuters

Wahlen in Israel: Da war doch noch was

Benjamin Netanjahu hat Israel isoliert. Selbst das Verhältnis zu Amerika, dem engsten und wichtigsten Verbündeten, hat tiefe Risse erlitten. Ein Machtwechsel bei den Wahlen am Dienstag hätte mehr als nur symbolischen Wert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Es lebte einst in Israel ein Gelehrter. Er hatte Anfang des vergangenen Jahrhunderts in Berlin studiert, wanderte dann nach Palästina aus. Er war Naturwissenschaftler, Mediziner und Philosoph, war religiös und achtete die Gebote. Bis ins hohe Alter unterrichtete er an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Jeschajahu Leibowitz war das Gewissen Israels, oder besser gesagt: sein schlechtes Gewissen. Nach dem Sieg 1967 im Sechstagekrieg warnte er: Besatzung sei ein Fluch, ein größerer noch für die Besatzer als für die Besetzten. Und seine Zuhörer fragte er: „Was war die große Tat von Charles de Gaulle?“ - „Er befreite sein Volk von der Herrschaft über ein anderes und zog die Franzosen aus Algerien ab.“

Sein eigenes Volk von der Herrschaft über ein anderes befreien: Dazu ist derzeit in Israel wohl niemand in der Lage. Aus Sicht des amtierenden Ministerpräsidenten, Benjamin Netanjahu, gibt es erstens ein dringlicheres Problem, das Atomprogramm des Iran, zweitens auf palästinensischer Seite keinen Verhandlungspartner, drittens lehre das Beispiel des Gazastreifens, dass ein Abzug Israels aus besetzten Gebieten ins Chaos führt. Und dann sind da noch die Nachbarn. Vier Jahre Bürgerkrieg in Syrien, Millionen Menschen auf der Flucht, der Libanon zerfällt, IS-Milizen schielen gen Jordanien, Al Qaida organisiert sich neu, die Lage in Ägypten ist eher fragil als stabil.

Netanjahus Herausforderer, Isaac Herzog, kann alle diese Punkte unterschreiben. Außerdem weiß er, dass die Wähler vor allem die Sorge um hohe Mieten und steigende Lebenshaltungskosten umtreibt, der Friedensprozess mit den Palästinensern brennt nur einer Minderheit unter den Nägeln. Trotzdem hätte ein Machtwechsel bei den Wahlen am kommenden Dienstag mehr als nur symbolischen Wert. Durch die Verewigung des Status quo hat Netanjahu sein Land isoliert. Selbst das Verhältnis zu Amerika, dem engsten und wichtigsten Verbündeten, hat tiefe Risse erlitten. Das aber ist gefährlich, denn auch Amerika wandelt sich. Die Bedeutung der weißen, ältlichen, evangelikalen Pro-Netanjahu-Kräfte nimmt ab, die der Jugend und der Minderheiten – Latinos, Schwarze, Asiaten –, denen das Leid der Palästinenser sehr viel enger am Herzen liegt, nimmt zu.

Mit Herzog zöge sicher nicht der Frieden in und um Jerusalem ein, aber doch ein neuer Geist. Das kleine Wort „immerhin“ kann nicht nur im Nahen Osten von großer Tragweite sein.

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