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Hannelore Kraft

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Countdown NRW - Das Wahlkampftagebuch: Das Hannelore-Kraft-Dilemma

Hannelore Kraft will nicht in die Ypsilanti-Falle tappen und eine Zusammenarbeit mit der Linken kategorisch ausschließen. Fragen zu dem Thema münden in einen verbalen Stellungskrieg. Der dritte Teil unseres Wahlkampftagebuchs.

Donnerstag, 22. April, 7.30 Uhr Keine Frage wird Hannelore Kraft in diesem Wahlkampf häufiger gestellt, als die Frage nach der Linken, nach einer rot-roten oder rot-rot-grünen Zusammenarbeit nach der Landtagswahl am 9. Mai. Das ist am Mittwochabend auch in Köln nicht anders, wo die SPD-Spitzenkandidatin Landesvorsitzende bei einem Leserforum des Kölner Stadtanzeigers zu Gast ist. Doch die etwa 200 Gäste müssen sich gedulden. Die beiden gastgebenden Chefredakteure haben beschlossen, das Thema Linke an das Ende des Abends zu verschieben. Erst gehen sie mit Kraft auf einen 90-minutigen Parforce-Ritt quer durch die Politik. Von der Kopfpauschale bis zur Gemeinschaftsschule, von Hartz IV bis zum Öffentlichen Nahverkehr. Kraft schlägt sich wacker, sie sitzt im dunkelblauen Hosenanzug auf dem Podium, präsentiert sich locker und redegewandt, gibt sich sogar selbstkritisch. Sie fordert zum Beispiel einen gesetzlichen Mindestlohn und verspricht die Abschaffung der Studiengebühren. Sie spricht davon, dass die SPD auch Fehler gemacht habe und daraus lernen müsse. Sie verteidigt die umstrittene Agenda 2010 und räumt gleichzeitig ein, dass nicht alles gut gelaufen sei. Nur wenn sie erklären soll, wie die vielen schönen sozialdemokratischen Wahlversprechen finanziert werden sollen, wird sie vage. Aber welcher Politiker wird da in Wahlkampfzeiten schon konkreter. Schließlich jedoch steuert der Abend auf seinen Höhepunkt zu. "Jetzt geht die Post richtig ab", freut sich Chefredakteur Peter Pauls und Hannelore Kraft antwortet, "aus Mediensicht ja", aber sie sei gespannt, "ob die Zuhörer das auch so sehen". Sie sehen es so. Denn zu keiner anderen Frage melden sie mehr Zuhörer, es sind Gegner und Befürworter einer Annährung von SPD und Linke gleichermaßen. So beginnt schließlich ein verbaler Stellungskrieg. Die vorher so wortgewaltige Sozialdemokratin wird plötzlich einsilbig, denn die Antwort von Hannelore Kraft lautet immer gleich: "Ich halte die Linke nicht für regierungs- und koalitionsfähig".

Es zeigt sich auch an diesem Abend in Köln, es gibt viele Möglichkeiten die L-Frage zu stellen. Wie lange gilt diese Einschätzung? Fünf Jahre, also für die ganze Legislaturperiode oder nur bis zum Tag nach der Wahl? Wird die SPD mit der Linken Koalitionsverhandlungen führen, wenn die Partei zur Regierungsbildung gebraucht würde? Warum nutzen Sie die Mehrheit links von der Mitte nicht? Hannelore Kraft sitzt da, lächelt, erklärt "ich bin das gewöhnt" und sagt irgendwann nur noch "ich bleibe bei meiner Aussage".

Was soll Hannelore Kraft auch anderes machen. Sie hat sich festgelegt, sie ist einerseits äußerst skeptisch, was eine Zusammenarbeit mit der Linken angeht. Sie will zusammen mit den Grünen regieren, doch eine rot-grüne Mehrheit ist nur möglich, wenn die Linke den Einzug in den Landtag verfehlt. Also muss sie der Linken die Politikfähigkeit absprechen. Aber anderseits will die Sozialdemokratin nicht in die Ypsilanti-Falle tappen und eine Zusammenarbeit mit der Linken kategorisch ausschließen. Wer weiß schließlich, was in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren noch alles passieren kann. In einem Fünf-Parteienparlament sind jene Parteien im Vorteil, die mehr als eine Machtoption haben. Das weiß auch die CDU, deshalb treibt sie einerseits die SPD in Sachen Linke und macht andererseits den Grünen schöne Augen.

Die CDU wartet nur auf den Wortbruch der Sozialdemokraten

In Hessen hingegen haben die Sozialdemokraten bereits die bittere Erfahrung machen müssen, wie sehr ein kategorisches "Nein" in Bezug auf die Linke die Handlungsmöglichkeiten der Partei einschränkt. Die CDU wartet nun auch in Nordrhein-Westfalen darauf, die Sozialdemokraten beim Wortbruch zu erwischen und anschließend vorzuführen. Es ist ein schmaler strategischer Grat auf dem Hannelore Kraft wandelt, denn das Lavieren bei dieser emotional diskutierten Frage kostet natürlich Vertrauen. Aber jede Abweichung von der gestanzten Formulierung würde großen Schlagzeilen zur Folge haben. In der vergangenen Woche zum Beispiel hatte Kraft in einer Fernsehsendung auf die L-Frage irgendwann nur noch mit "nein" geantwortet. Schon witterten viele Journalisten einen strategischen Kurswechsel, dabei war Hannelore Kraft nur einen Moment unkonzentriert oder müde. In Köln passt sie wieder auf, aber bis zum Wahltag wird die Sozialdemokratin aus diesem Dilemma nicht mehr herauskommen.

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