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Auf Augenhöhe mit Donald Trump ist keiner der republikanischen Präsidentschaftskandidatenanwärter.

© Reuters

Wahlkampf in den USA: Herz statt Kopf, Wut statt Verstand

Am Montag beginnen in den USA die Vorwahlen zur Kür des Präsidentschaftskandidaten. Selten zuvor war das Rennen so offen – und so spannend. Ein Essay.

Zornig sind die Amerikaner. „Angry“ ist das Wort des (Wahl-)Jahres 2016. Manche sind auch genervt oder gelangweilt von der Politik. Nur eines sind sie gewiss nicht: froh über die Chance, ihre Führung zu wählen. Das ist ein auffallender Kontrast zu den letzten Präsidentschaftswahlen. Der Wettkampf zwischen Barack Obama und Hillary Clinton um die Kandidatur 2008 bewegte das ganze Land, ja, die ganze Welt. Würden die Demokraten erstmals einen Afroamerikaner oder erstmals eine Frau ins Rennen schicken? Die Republikaner rangen damals um die Frage, wer aus ihren Reihen eine glaubwürdige Korrektur nach acht Jahren George W. Bush verkörpern könne? Sie entschieden sich für John McCain, einen Kritiker Bushs. Es herrschte Aufbruchsstimmung. „Hope“ und „Change“ waren die Schlagworte.

Früher galt Optimismus als amerikanisch, heute ist es "Zorn"

Diese positive Gefühlslage fehlt heute. Wenn ein Republikaner einen optimistischen Ton anschlägt wie John Kasich, Gouverneur in Ohio, fällt er in den Umfragen zurück. Der Optimismus, der früher als typisch amerikanisch galt, ist verflogen. Ein bisschen galt das schon 2012. Gleichwohl stand Amerika damals in abgeleiteter Weise erneut vor der Frage von 2008. Obama hatte das Land kräftig verändert: Gesundheitsreform, Finanzmarktreform, Rückzug aus dem Irak, neuer Umgang mit Homosexuellen, zwei neue weibliche Verfassungsrichterinnen und manches mehr. Verdiente er eine zweite Amtszeit oder wollte Amerika die vier Jahre unter dem ersten schwarzen Präsidenten als „Betriebsunfall“ hinter sich lassen? Sollten gar die Republikaner das Mandat erhalten, die Neuerungen zurückzudrehen, wenngleich unter einem moderaten Konservativen, Mitt Romney? Obama siegte auch 2012 klar.

2016 herrscht weder Wechselstimmung wie 2008, noch stellt sich die Kontinuitätsfrage so wie 2012. Es wäre zwar denkbar, dass die Mehrheit in diesem gespaltenen Land Obama erneut wählen würde, aber er darf kein drittes Mal antreten. Er genießt rund 47 Prozent Unterstützung, ein guter Wert im Vergleich zu den rund 30 Prozent für Bush zu Beginn seines letzten Amtsjahrs.

Außenseiter dominieren den Diskurs in beiden Lagern, auch das ein Ausweis der verschärften Polarisierung. Eine zornige Rechte treibt die Republikaner auf Krawallkurs; die Stimmen der Moderaten dringen gegen die Populisten kaum durch. Vor Beginn der Vorwahlen kommen drei Kandidaten, die kein seriöses Programm vorweisen können, in den Umfragen zusammen auf 65 Prozent: Donald Trump, Ted Cruz und Ben Carson.

Die Demokraten haben nur Clinton und Sanders zur Auswahl - ein Nachteil

Auch bei den Demokraten kann die Favoritin Hillary Clinton, die auf die Mitte der Gesellschaft zielt, keine breite Mehrheit hinter sich bringen. Bernie Sanders findet als linke Alternative zu ihr große Zustimmung in der Partei und übt stärkere Faszination aus als sie. Dabei ist der 74-jährige Senator aus Vermont nicht mal Parteimitglied. Er nennt sich einen „Sozialisten“. Die Basis begeistert sich für ihn, die Führung fragt jedoch bange: Können wir mit ihm die Hauptwahl gewinnen? Es ist kein Vorteil für die Demokraten, dass sie nur die Wahl zwischen Clinton und Sanders haben.

Man mag einwenden: War das tendenziell nicht immer so? Die innerparteiliche Kandidatenkür wird über den Außenflügel entschieden, die Hauptwahl in der Mitte. In den Vorwahlen in der ersten Jahreshälfte reden die Bewerber ideologischer; im Herbst, nach den Nominierungsparteitagen werden sie pragmatischer, um die Mitte zu gewinnen. Doch so wirklichkeitsfremd und schrill wie jetzt waren die Forderungen früher nicht: bei den Republikanern die Mauer an der Grenze zu Mexiko; die Deportation der mindestens elf Millionen illegalen Einwanderer, von denen man nicht mal weiß, wo sie leben; Einreiseverbot für Muslime; Ausschalten des IS durch Flächenbombardements. Umgekehrt haben Sanders’ Projekte einer vom Staat getragenen allgemeinen Krankenversicherung oder das kostenlose Universitätsstudium keine reale Chance auf Durchsetzung in den USA.

Wer gewinnt? Leichter gesagt ist, was gegen jeden Bewerber spricht

Herz über Kopf bei den Demokraten, Wut über Verstand bei den Republikanern: Die ungewohnte Ausgangslage erschwert die Prognose für den mutmaßlichen Verlauf des Wahljahrs. 2008 und 2012 ließ sich mit guten Argumenten vorhersagen, wer wohl das Rennen machen werde. 2016 ist es umgekehrt. Es fällt leichter zu begründen, was alles gegen die einzelnen Kandidaten und ihre Siegeschancen spricht. Das gilt selbst für Hillary Clinton. In einer CBS-Umfrage Ende 2015 bewerteten um die 60 Prozent der Bürger sie als „nicht vertrauenswürdig“. Zudem ist unklar, ob ihr im Wahljahr ein Strafverfahren wegen ihres Umgangs mit amtlichen E-Mails als Außenministerin droht. Ihre Praxis, sie über ihren privaten Server laufen zu lassen, war ein Rechtsbruch. Egal, was das FBI tut – mitten im Wahljahr Anklage erheben oder nicht –: Verschwörungstheorien aus dem von der Entscheidung enttäuschten Lager werden die Folge sein.

Bleibt die Anklage oder eine andere Überraschung aus – zum Beispiel eine Seitensprungaffäre von Ehemann Bill, die viele Demokraten trotz seines Alters fürchten –, hat Hillary beste Aussichten, die Vorwahlen bei den Demokraten zu gewinnen und sich bei der Convention Ende Juli in Philadelphia zur Kandidatin küren zu lassen.

Clinton gilt als unvermeidlich, das hat seinen Preis

Der Anschein der Unvermeidlichkeit hat freilich seinen Preis. Vorwahlen haben in der Mechanik eines US-Wahljahrs zwei wichtige Funktionen jenseits des offiziellen Zwecks, den Spitzenkandidaten zu bestimmen. Sie testen die Härte und Verteidigungsfähigkeit der Kandidaten. Ihre persönlichen Schwachstellen kommen bereits im Kampf unter „Parteifreunden“ zur Sprache. So werden die potenziellen Attacken, die der politische Gegner für die Hauptwahl im Herbst vorbereitet, bereits in den Vorwahlen zum Teil entschärft. Zweitens mobilisiert ein spannender Vorwahlkampf die Anhänger. Das ließ sich 2008 eindrucksvoll besichtigen. Der lange Zweikampf zwischen Obama und Clinton beherrschte über Monate die Schlagzeilen. Die Republikaner kamen dagegen nicht an, das Interesse an ihnen war weit geringer. So war der Enthusiasmus, zur Wahl zu gehen, unter Anhängern der Demokraten größer als unter denen der Republikaner. 2016 ist es umgekehrt: Bei den Demokraten wird kein spannender Kampf um die Kandidatur erwartet; das Interesse der Medien und der Wähler an ihnen ist begrenzt. Die Musik spielt bei den Republikanern.

Insofern kann Hillary Clinton von Glück sagen, dass Bernie Sanders sich als härterer Gegner erweist als erwartet – jedenfalls in den ersten beiden Vorwahlstaaten Iowa und New Hampshire. Erst seit Sanders ihr in den Umfragen gefährlich nahekommt, schenken die Medien den beiden nationale Aufmerksamkeit. Das kann sich aber bald wieder ändern. Sanders findet wenig Resonanz in zwei wichtigen Wählergruppen: unter Afroamerikanern und Latinos. Die Schwarzen sind ausschlaggebend im dritten Vorwahlstaat, South Carolina, und die Hispanics im vierten, Nevada. Am 1. März folgt der „Super Tuesday“ mit Abstimmungen in elf Staaten. Clinton hat die bessere landesweite Organisation und mehr Unterstützung aus dem Parteiapparat. Womöglich ist das Rennen Anfang März gelaufen, weil sie dann klar führt.

Sanders muss sie in Iowa stoppen, sonst hat er verloren

Für Sanders wird deshalb gleich die erste Vorwahl entscheidend. In Iowa muss er sie stoppen. Wenn er dort gewinnt und acht Tage später in New Hampshire, wo er in den Umfragen deutlich führt, raubt er Clinton den Nimbus der sicheren Siegerin. Dann wird der Favoritensturz denkbar. Sanders würden Spenden zufließen und freiwillige Wahlhelfer zulaufen. Mit den frischen Ressourcen und der Dynamik, die eine Sensation entfaltet, würde sich das Kalkül für den „Super Tuesday“ wenden. Behält sie hingegen die Oberhand in Iowa, nützt ihm der Sieg in New Hampshire wenig; dann wirken South Carolina und Nevada, wo er sie nicht schlagen kann, wie eine Brandmauer. Sie ginge als Favoritin in den März.

Alle schauen auf die Republikaner, das macht sie aber nicht glücklich

Über einen Mangel an Aufmerksamkeit können die Republikaner nicht klagen. Dennoch ist die Parteiführung unglücklich über den Verlauf der Kandidatensuche. Donald Trump führt die Umfragen an, weil er dem Zorn auf die politische Klasse die lauteste Stimme verleiht. Er hat einen hohen, allerdings bizarren Unterhaltungswert. Seine schrillen Äußerungen – die Behauptung, dass illegale Einwanderer aus Lateinamerika Verbrecher, Drogenhändler und Vergewaltiger seien, oder seine Fehde mit der Fox-Moderatorin Megyn Kelly bis hin zur Absage der letzten TV-Debatte – belasten das Image der Republikanischen Partei.

Der pensionierte Neurochirurg Ben Carson, im Herbst 2015 lange die Nummer zwei in den Umfragen, ist in außenpolitischen Fragen weder kenntnisreich noch lernwillig. Ted Cruz, Senator aus Texas, der im Dezember auf Position zwei vorrückte, hat in den eigenen Reihen kaum Freunde, gilt als rücksichtslos und nicht teamfähig.

Keinem dieser drei traut die Parteiführung es zu, Clinton in der Hauptwahl zu schlagen. Die Demokraten haben die Demografie auf ihrer Seite. Wenn Clinton ihre Anhänger ähnlich gut mobilisiert wie Obama, brauchen die Republikaner einen sehr attraktiven Kandidaten, der die Mitte anspricht, um eine Chance zu haben. Lange klammerte sich das konservative Establishment an die Hoffnung, dass Trump, Cruz, Carson mit der Zeit an Anziehungskraft verlieren, weil der Sättigungsgrad für plumpe Rezepte im Publikum erreicht wird. Diese Prognose hat sich bislang nicht erfüllt.

Trump bietet viele Angriffsflächen

Die Moderaten – Jeb Bush, Marco Rubio, Chris Christie, John Kasich – scheuten das Risiko, Trump hart anzugreifen. Die Demokraten werden in der Hauptwahl keine Zurückhaltung zeigen. Falls Trump nominiert wird, würden die Demokraten ihn mit negativer Wahlwerbung ähnlich zerpflücken wie 2012 Mitt Romney. Sie führten Arbeiter vor, die durch dessen Investmentbanking Jobs verloren hatten. Es wird nicht schwer sein, Opfer des Baulöwen Trump zu finden, Opfer der unter seinem Namen vermittelten Haushypotheken, ganz zu schweigen von den Gerüchten über seine Deals mit der Mafia.

Wahrscheinlich kommt Trump aber gar nicht so weit. Schon dieser Montag in Iowa kann zum Wendepunkt werden. Von nun an zählen nicht mehr Umfragen und Emotionen, sondern Stimmen. Die Bürger werden ernsthaft überlegen, wen sie im Weißen Haus sehen möchten. Wichtig wird zudem, wer sich die Zeit für den „Caucus“, die Wählerversammlung, nimmt. Das ist kein kurzer Besuch im Wahllokal. Gezählt wird nur, wer von Anfang bis Ende der Diskussion dabei ist. Das kann Stunden dauern und ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. In der Regel tun sich das nur zehn bis 15 Prozent der Wahlberechtigten an. Sie sehen es als gute Bürgerpflicht. Gehören die zornigen Trump-Anhänger dazu? Oder fällt er unter seine Umfragewerte, weil seine Fans sich den Caucus sparen? Ted Cruz wird es mit seinen ideologisch motivierten Anhängern wohl leichter haben.

Von nun an zählen nicht mehr Umfragen und Emotionen, sondern Stimmen

Schon oft haben die Mühlen des demokratischen Systems die Brandredner gestoppt, gerade in der Republikanischen Partei. Nicht unbedingt gleich in Iowa, aber im Verlauf der frühen Vorwahlen. Drei Strömungen nehmen Einfluss: das klassische Establishment samt dem Business-Flügel; die religiöse Rechte von den Evangelikalen bis zu den „Social Conservatives“, denen Wertefragen wie Abtreibung und Homo-Ehe wichtig sind; und die Gruppe der zornigen Wähler, die nicht nur gegen Obama und das verhasste Washington rebellieren, sondern auch gegen die eigene Parteiführung. Als „Tea Party“ bekamen sie nochmals Auftrieb.

In den letzten Präsidentschaftswahlen setzte sich am Ende meist ein Kandidat des Business-Flügels durch. Bis in den Sommer 2015 hatten viele Beobachter geglaubt, dass dies 2016 Jeb Bush sein werde. Er enttäuschte jedoch im Wahlkampf.

Auch die Konservativen haben "ihren Obama": Marco Rubio

Aussichtsreichster Moderater ist derzeit Marco Rubio. Manche nennen ihn den „Obama der Republikaner“. Er ist erst 44 Jahre alt und ein noch weitgehend unbeschriebenes Blatt auf der nationalen Bühne. 2010 wurde er in den US-Senat gewählt, zuvor war er in der Regionalpolitik in Florida aktiv. Das eröffnet ihm die Chance, selbst ein Narrativ zu entwickeln. Ähnlich wie Obama kann er an den „Amerikanischen Traum“ und das „Land of Opportunity“ anknüpfen, das jedem die Chance zum Aufstieg gibt. Hier: dem Sohn politischer Flüchtlinge aus Kuba. Laut Umfragen wäre Rubio in der Lage, Hillary Clinton zu schlagen.

Die Deutschen würden wohl am liebsten eine Präsidentin Hillary Clinton sehen. Mit einem moderaten Republikaner kämen sie zur Not auch zurecht. Enttäuschungen und Irritationen werden nicht ausbleiben, das hat die Erfahrung mit Obama gelehrt. Wen auch immer die US-Bürger wählen: Es wird ein amerikanischer Präsident sein, der US-Interessen vertritt. Amerikaner haben andere politische Reflexe als die Deutschen, von der Energie- und Klimapolitik über Sozialfragen und Militäreinsätze bis zu Abhörprogrammen im Dienst der Terrorabwehr. Das wird sich auch unter Obamas Nachfolger(in) nicht ändern.

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