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Wie groß darf der Bundestag werden?

© dpa

Wahlrecht für den Bundestag: Opposition gegen Obergrenze für Abgeordnete

Grüne und Linke lehnen den Vorstoß der Union für Deckelung des Bundestags bei 630 Abgeordneten ab - weil er das Zweitstimmenergebnis verzerren würde.

Die Unions-Fraktion im Bundestag will noch Gespräche führen, wie die befürchtete Vergrößerung des Bundestags nach der Wahl im Herbst vermieden werden kann. Fraktionschef Volker Kauder schlug vor einigen Tagen nach einem entsprechenden Fraktionsbeschluss vor, den Plan von Bundestagspräsident Norbert Lammert umzusetzen und die Zahl der Abgeordneten bei 630 zu deckeln. Doch bei der Opposition stößt sie auf Skepsis. Grüne und Linke halten eine Änderung beim Wahlrecht so kurz vor der Wahl weder zeitlich noch inhaltlich für machbar.

Mit der Wahlrechtsreform von 2012 wurde eingeführt, dass Überhangmandate mit zusätzlichen Sitzen ausgeglichen werden sollten, damit der bundesweite Parteienproporz nicht verzerrt wird. Das aber kann, abhängig von der Zahl der Überhangmandate, den Bundestag weit über seine Mindestsitzzahl von 598 hinaus vergrößern. In manchen Szenarien ergeben sich 700 Sitze und mehr, nach den aktuellen Umfragezahlen erwarten Experten ein Parlament mit 660 bis 690 Abgeordneten.  

Grüne: Nicht akzeptabel

Britta Haßelmann, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, sagt zwar, ihre Fraktion sei zu Gesprächen bereit, hält jedoch wenig vom Vorstoß der Union. „Der Vorschlag von Bundestagspräsident Norbert Lammert mit einer Obergrenze, über den die Unions-Fraktion jetzt wieder sprechen möchte, ist für uns nicht akzeptabel“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Denn ohne Ausgleich von Überhangmandaten kann das Zweitstimmenergebnis, auf das es bei einer Verhältniswahl ankommt, unter Umständen völlig verzerrt werden.“ Der Lammert-Plan sei kein substanzieller Vorschlag, der von den anderen Fraktionen mitgetragen werden könne. Auch Jörn Wunderlich, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken, betont die Offenheit seiner Partei für weitere Gespräche. „Ich hoffe inständig, dass wir noch vor der Wahl eine Lösung des Problems hinbekommen“, sagte er dem Tagesspiegel. Er verwies darauf, dass es einen Gesetzentwurfseiner Partei gebe, der das Problem der Überhangmandate löse. Allerdings habe er aufgrund der bisherigen Erfahrungen Zweifel, ob eine Übereinkunft gelinge. Die SPD-Fraktion hatte direkt auf Kauders Vorschlag bereits Skepsis deutlich werden lassen.

"Union und SPD haben die Sache liegen lassen"

Haßelmann sieht das Versäumnis bei der Regierungskoalition.  „Wir wissen seit der letzten Wahlrechtsreform, dass der Bundestag größer werden kann. Die Grünen haben Vorschläge gemacht, wie das zu vermeiden ist. Aber Union und SPD haben die Sache drei Jahre lang liegen lassen und keine eigenen Vorschläge gemacht.“ Ihrer Ansicht nach darf man nicht hinter den Konsens aller Fraktionen bei der Reform von 2012 zurückfallen. „Und der lautete, dass Überhangmandate vollständig ausgeglichen werden sollen. Vorschläge, wie man den Parteienproporz auch ohne Vergrößerung des Bundestages erreichen kann, etwa über eine Verrechnung von Überhang- und Listenmandaten, hat die Union abgelehnt.“

Zudem verweist die Grünen-Wahlrechtsexpertin darauf, dass nur noch wenig Zeit ist. Man habe nur noch neun Sitzungswochen bis zur Wahl im Herbst. „Das Wahlrecht ist eine komplexe Angelegenheit, bei der oft der Teufel im Detail steckt. Die Gefahr von Wahlanfechtungen sollte man auch nicht übersehen“, gibt Haßelmann zu bedenken. Sie schlägt daher vor, „dass die Fraktionen sich jetzt vereinbaren, sofort nach der Wahl eine Kommission einzusetzen mit dem Ziel einer weiteren Reform“. Angesichts der Differenzen zwischen den Fraktionen könne sie sich aber nicht vorstellen, „dass wir mit dieser Vereinbarung auch inhaltliche Festlegungen treffen".

Eine letzte Möglichkeit?

Freilich sehen Fachleute noch die Möglichkeit, durch einen technischen Eingriff beim Sitzzuteilungsverfahren den Vergrößerungseffekt zumindest zu dämpfen. Dieses recht komplizierte Verfahren hat zwei Schritte. Michael Kunert von Infratest dimap etwa empfiehlt, den ersten Schritt einfach zu streichen. „Diese erste Verteilung hat nur eine einzige Auswirkung und nur einen einzigen Zweck: Die Erhöhung der Zahl der Mandate“, schrieb er unlängst in einem Papier. Auch der Wahlrechtsexperte der Bertelsmann-Stiftung, Robert Vehrkamp, schlägt eine solche Maßnahme vor. Grüne und Linke könnten sich das grundsätzlich vorstellen.

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