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Wahlrecht: Italiens Parlament berät Änderung

Was Politiker in Rom derzeit an Wahlkampf- Spektakel zu bieten haben, ist selbst für italienische Verhältnisse atemberaubend. Nur wenige Monate vor der Parlamentswahl das Wahlrecht zu ändern - das hat schon Seltenheitswert in Europa.

Rom - Bis auf den letzten Platz ist denn auch das Abgeordnetenhaus zu Beginn der Beratungen am Dienstag besetzt, selbst Ministerpräsident Silvio Berlusconi, ansonsten ein seltener Gast, ist gekommen. Die Spannung ist zum Greifen, rund 550 Änderungsanträge hat die Opposition um Romano Prodi (vormals EU-Kommissionspräsident) bereits auf den Tisch gelegt - auch das ist rekordverdächtig.

Die politische Stimmung in Rom brodelt wie lange nicht mehr. Kaum ist der erste Abgeordnete aus dem Berlusconi-Lager am Rednerpult, um den Regierungsentwurf vorzustellen, beginnen Gegner von der Opposition mit Protestschreien. Obstruktion, Zeit schinden, heißt die Parole. Für Regierung wie Opposition steht diesmal viel auf dem Spiel, die Rollen sind verteilt: Berlusconi gegen Prodi. Wer als Sieger hervorgeht, ist völlig offen. «Wir werden diesen Kampf zu Ende führen», meint ein Oppositionsmann. «Unsere Mehrheit steht», gibt Außenminister Gianfranco Fini zurück.

Alle Register sind gezogen: Berlusconi, aufgeschreckt durch miserable Umfragewerte, droht seinen eigenen Leuten mit Koalitionsbruch, falls sie der Abschaffung des Mehrheitswahlrechts und der Wiedereinführung der Verhältniswahl nicht zustimmen. Die Opposition wiederum bringt Begriffe wie «Gesetz der Schande», «Betrug» und «Stimmenklau» in Umlauf. Rechnungen unabhängiger Experten bestätigen den Argwohn der Linken: Die Pläne der Regierung könnten dazu führen, dass das Mitte-Rechts-Lager bei den Wahlen im April selbst bei massiven Stimmenverlusten die Mehrheit der Sitze erhält. Wieder einmal eine «Lex Berlusconi», ein Gesetz maßgeschneidert für die Bedürfnisse des Regierungschefs, meinen Kommentatoren.

«Das ist ein schlechter Dienst an unserem Land», schreibt die Mailänder Zeitung «Corriere della Sera». Zugleich würde «das größte Experiment zur Veränderung der italienischen Politik eine unrühmliches Ende finden». In der Tat steht mehr auf dem Spiel als der Ausgang der nächsten Wahlen. Schließlich wurde das Verhältniswahl erst 1993 durch das Mehrwahlrecht ersetzt, ein historischer Schritt, der damals von einem Referendum besiegelt wurde und der das Ende der italienischen «Schmiergeldrepublik» markiert.

Zuvor hatten das Verhältniswahrecht samt Splitterparteien über 40 Jahre lang dazu beigetragen, dass italienische Regierungen in aller Regel nicht länger dauerten als eine Schwangerschaft, zugleich aber stets die Christdemokraten und ihre Verbündeten und Mini-Parteien an der Macht blieben. Korruption, Vetternwirtschaft und Schlendrian waren die Folge - «italienische Verhältnisse» eben. Jetzt fürchten viele, dass das Land wieder in den alten Pfade abrutscht. Giulio Andreotti, 86 Jahre alt, früher sieben Mal Ministerpräsident und Symbolfigur der «ersten Republik», scheint schon zu frohlocken: «Jahrzehnte lang sind wir doch gut gefahren mit der Verhältniswahl.» (Von Peer Meinert, dpa)

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