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Politik: Warschauer Rochaden

Wer auch immer neuer Regierungschef in Polen wird – seine Amtszeit könnte schon im Herbst wieder enden

Erleichtert hat Polens Öffentlichkeit auf die Rücktritts-Ankündigung des unpopulären Premiers Leszek Miller reagiert. Wer ihn nach dem EU-Beitritt am 1. Mai beerben soll, könnte sich bereits am Montag weisen. Mit vorzeitigen Neuwahlen wird nach der Spaltung der Sozialdemokraten im Herbst gerechnet.

Zumindest bei der Regie seines Abtritts nahm Polens Premierminister noch einmal das Heft in die Hand. Um dem Laufpass durch seine sozialdemokratische SLD zuvor zu kommen, hatte Miller kurz nach seiner Rückkehr vom EU-Gipfel in Brüssel noch am Freitagabend eine Pressekonferenz anberaumt. Die Spaltung seiner Partei mache ihm eine erfolgreiche Politik unmöglich, kündigte der fast ein wenig erleichtert wirkende Regierungschef seinen Rücktritt für den 2. Mai an, den Tag nach Polens EU-Beitritt. Die verbleibende Frist begründete Miller mit der Vielzahl von Aufgaben, die Polen bis zum EU-Beitritt noch zu erfüllen habe.

Der nächste Monat werde schwierig, aber für Polen sehr wichtig werden, erläuterte Präsident Aleksander Kwasniewski das von ihm ausgeheckte Drehbuch für den Regierungswechsel: „Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam diesen wichtigen Moment unserer Geschichte nicht verspielen werden.“ Der EU-Beitritt ist es denn auch, der Kwasniewskis Szenario für den Wachwechsel im Warschauer Regierungspalast bestimmt. Für eine tief greifende Kabinettsumbildung fehle die Zeit, schloss der Präsident „personelle Experimente“ kategorisch aus.

Bereits an diesem Montag will Kwasniewski gemeinsam mit den Parteien über mögliche Nachfolger für den scheidenden Regierungschef beraten. Als aussichtsreichste Kandidaten werden Millers Stellvertreter, der frühere Premierminister und heutige Innenminister Jozef Oleksy, Außenminister Wlodimierz Cimoszewicz und der ehemalige Finanzminister Marek Belka gehandelt, derzeit Polens Vertreter in der Zivilverwaltung des Iraks. Nach seiner Vereidigung Anfang Mai hätte der neue Regierungschef zwei Wochen Zeit, sich im Sejm eine Mehrheit für die Vertrauensabstimmung zu beschaffen.

Scheitert er, zwingt die Verfassung den Staatschef zur Ausschreibung vorzeitiger Neuwahlen. Doch selbst wenn die Installation des neuen Premiers gelingen sollte – in Warschau rechnet man schon jetzt mit einem vorzeitigen Urnengang spätestens im Herbst. Darauf sollen sich die am Donnerstag aus der sozialdemokratischen SLD abgespaltenen Parlamentarier der neuen Linkspartei SDPL laut Presseberichten mit den oppositionellen Liberalen bereits verständigt haben.

Mit Erleichterung haben unterdessen Polens Medien auf die Rücktrittsankündigung des durch eine ganze Reihe von Korruptionsskandalen diskreditierten Regierungschefs reagiert. Die bloße Ernennung einer neuen Regierung sei allerdings „keine Lösung“, fand die bürgerliche „Rzeczpospolita“ am Samstag und mahnte rasche Neuwahlen an: „Viele Parlamentarier der SLD verbreiten den Eindruck, dass ihnen nur noch daran liegt, so lang wie möglich im Sejm zu verbleiben. Die Sorge um das Land erfordert es jedoch, dass diese Situation so kurz wie möglich dauert.“

Thomas Roser[Warschau]

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