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Politik: Warum ist Polen so kompromisslos, Herr Cimoszewicz? Warschaus Außenminister über den Streit mit der EU, den Ärger über das Zentrum gegen Vertreibungen – und Pläne für Berlin

Europa ist derzeit in aller Munde, die Erweiterung – und Polen. Allerdings vor allem deshalb, weil es bei der Bewertung der zehn Länder, die im Mai beitreten wollen, die schlechtesten Noten bekommen hat.

Europa ist derzeit in aller Munde, die Erweiterung – und Polen. Allerdings vor allem deshalb, weil es bei der Bewertung der zehn Länder, die im Mai beitreten wollen, die schlechtesten Noten bekommen hat.

Das stimmt, aber die Kritik hat uns nicht wirklich gewundert. Die Berichte sind ja auf der Grundlage der von uns gelieferten Fakten erstellt worden.

Polen wird es womöglich nicht rechtzeitig schaffen, die Agenturen einzurichten, die die Agrarsubventionen an die Bauern weiterleiten. Vor allem aber wird die unzureichende Lebensmittelsicherheit moniert.

Die Berichte geben das Bild von September wieder. Jetzt haben wir November, und Polen hat in den vergangenen Monaten viel getan. Es sind schwierige Gesetze verabschiedet worden. Wir werden die Standards erfüllen. Es geht nur noch um kleinere Dinge.

Bei Lebensmittelsicherheit verstehen die Westeuropäer keinen Spaß. Sie haben die Rinderseuche BSE und die Schweinepest im Kopf. Und nun heißt es, die fast 2000 Schlachthöfe in Polen erfüllen die Standards nicht.

Die großen Schlachthöfe, die 80 bis 90 Prozent des Marktes versorgen, erfüllen bereits alle Anforderungen. Wir sind uns bewusst, dass die EU sonst vielleicht die Grenzen für unsere Agrarprodukte schließt. Alle wissen, was sie zu tun haben. Die Schlachthöfe, die die EU-Vorgaben nicht erfüllen, werden geschlossen. Das sind aber meist kleine Betriebe, die höchstens zwei Orte beliefern. Möglicherweise werden wir hunderte Schlachthöfe schließen müssen. Aber wir werden das tun.

Was in all den Jahren der Beitrittsverhandlungen versäumt wurde, soll in den wenigen Monaten bis zum Mai klappen?

Wenn nicht, wäre das ein Desaster für uns. Die größten Gefahren für die Lebensmittelsicherheit gehen allerdings nicht von Polen aus, sondern von der Überindustrialisierung der Landwirtschaft in anderen Ländern. Unsere traditionelle Produktionsweise ist viel gesünder. Wir hatten nur drei oder vier BSE-Fälle, und die sind aufgefallen, weil unsere Kontrollen funktionieren. Jetzt geht es um die Hygiene bei der Weiterverarbeitung, und die wird absolut sicher sein.

Könnte die massive Kritik an Polen auch damit zusammenhängen, dass Sie eine Minderheitsregierung haben, die nötige Reformen nicht immer durchsetzen kann?

Wir sind zwar eine Minderheitsregierung, aber wir haben hunderte wichtige Abstimmungen gewonnen. Wir haben mehr als 90 Prozent der EU-Vorgaben in nationales Recht umgesetzt, das waren rund 300 Gesetze. Wir haben unser Finanz- und Steuersystem umgebaut. Die Regierungen in Tschechien und der Slowakei mit ihren hauchdünnen Mehrheiten haben da mehr Probleme. Wir sollten es mit der Kritik also nicht übertreiben. Allerdings wäre es auch ein Fehler, sie zu vernachlässigen.

Polen praktiziert bereits ein stark vereinfachtes Steuersystem mit nur drei Steuersätzen, wie es jetzt in Deutschland diskutiert wird. Können Sie es uns empfehlen?

Wie käme ich dazu, den Deutschen zu sagen, was sie machen sollten! Aber es könnte durchaus klug sein, sich unsere Erfahrungen anzusehen. Wir haben schwierige Reformen geschafft, mit denen sich westliche Staaten schwer tun: Renten, Finanzverfassung, Steuersystem. Wir dezentralisieren und geben mehr Einnahmen an die lokalen Verantwortlichen weiter.

Im Streit um die EU-Verfassung macht Ihnen die Opposition zu schaffen. „Nizza oder Tod“ ist die Parole. Warum kämpfen Sie so verbissen um das überholte Modell der Stimmengewichtung von Nizza? Die vom Konvent vorgeschlagene doppelte Mehrheit ist gerechter und für alle Bürger durchschaubar.

Ein Entwurf ist ein Entwurf. Da kann jeder Änderungsvorschläge machen. Der Entwurf des Konvents ist nicht heilig.

Viele der bisherigen Mitglieder sind wegen dieser harten Haltung nicht gut auf Polen zu sprechen.

Wir verstehen, dass es für die 15 EU-Mitglieder schwierig war, uns in Nizza dieses Gewicht einzuräumen. Uns ist klar, welche dramatische Veränderung die Erweiterung bedeutet. Aber in Nizza haben die Regierungen das beschlossen, so schwer es ihnen gefallen sein mag. Natürlich hat der Konvent das Recht, einen anderen Vorschlag zu machen. Aber wir meinen, das ist ein Fehler.

In der EU müssen Sie sich aber nun unter 25 Staaten einigen, nicht nur mit Spanien und ein paar anderen, denen Nizza mehr Vorteile bringt als anderen. „Nizza“ oder „Tod“, das klingt nicht nach Kompromiss.

Erst einmal: „Nizza“ oder „Tod“ ist im Parlament gefallen, das ist nicht die Position der polnischen Regierung. Das ist nicht unsere Sprache. Aber man kann nicht, wie es der Konventsentwurf vorsieht, nur an einer Stelle etwas ändern. Nizza umfasst alle Institutionen: Parlament, Kommission und den Einfluss der nationalen Regierungen. Der Konvent will beim Parlament an den Verabredungen festhalten, bei der Kommission und den Ländern aber etwas ändern. Damit hat der Konvent den Kompromiss gebrochen.

Wie könnte man sich denn einigen? .

Unglücklicherweise gibt es große Differenzen zwischen unserer Haltung und der Deutschlands. Jenseits aller Vorwürfe, die uns gemacht werden, muss man aber doch sehen, wie die verschiedenen Ländergruppen abschneiden, nicht nur einzelne Staaten. In Nizza gab es eine Neugewichtung der Stimmen großer, kleiner und mittlerer Staaten – zu Gunsten der großen. Der Konventsentwurf geht in dieser Richtung noch weiter, die großen erhalten noch mehr Gewicht.

Der Konvent will es demokratischer regeln, nach der Bevölkerungsgröße.

Wenn wir über Demokratie reden, muss das Parlament stärker werden. Da ist Nizza besser. Warum sollten wir etwas, das besser ist, gegen etwas eintauschen, das schlechter ist? Im Übrigen wächst die Unterstützung für Nizza. Die Mehrheit der EU-Staaten mag den Vorschlag des Konvents nicht, nur eine Minderheit ist dafür.

Wo bleibt denn da die auch von Ihnen so gern zitierte polnische Kultur des Kompromisses?

Wenn wir über Kompromisse reden wollen, müssen wir über den ganzen Vertrag reden, über alle seine Elemente. Es geht nicht, dass einzelne Punkte herausgelöst werden und nur dort Kompromisse geschlossen werden.

Auch in der Irak-Politik ist Europa geteilter Meinung. Polen führt eine Besatzungszone. Wie lange werden Ihre Soldaten bleiben?

Sie haben ein Mandat für zwölf Monate. Aber wir haben von Anfang an erklärt, dass die politische Stabilisierung das entscheidende Ziel ist. Diese Entwicklung müssen wir beschleunigen. Wir wollen die Verantwortung so schnell wie möglich an Iraker übergeben, an politische Institutionen, an irakische Polizei, an paramilitärische Truppen, die zu einer irakischen Armee werden können.

Polen hat den ersten Gefallenen zu beklagen. Ändert sich jetzt die Irak-Politik?

Dieses Risiko war uns allen bewusst. Wir bemühen uns um Sicherheit, indem wir einen möglichst engen Dialog mit den verschiedenen irakischen Gruppen führen. Wir wollen unsere Truppen so früh wie möglich abziehen und mehr zivile Helfer, Nichtregierungsorganisationen, Experten holen. Aber die Sicherheitslage hat sich verschlechtert, das macht es schwieriger.

Was ist besser: dass Vereinte Nationen und Rotes Kreuz abziehen oder dass sie bleiben und sich bewachen lassen, obwohl sie neutral sind?

Natürlich wäre es besser, wenn UN und Rotes Kreuz im Irak helfen. Aber wir müssen Rücksicht nehmen auf das individuelle Risiko der Mitarbeiter. Das ist eine traurige und sehr gefährliche Entwicklung. Das kann doch jeder sehen, und spätestens jetzt müsste jeder verstehen, dass es sich nicht um einen Konflikt zwischen dem irakischen Volk und den Koalitionstruppen handelt, sondern um den rücksichtslosen Widerstand des alten Regimes und von außen einsickernder Terroristen.

Im deutsch-polnischen Verhältnis scheint die Geschichte sehr lebendig zu sein, wie der Streit um das Zentrum gegen Vertreibungen zeigt. Weist die jüngste Erklärung der Präsidenten den Weg, dass Polen und Deutsche ein gemeinsames Zentrum bauen sollten, nur eben ein anderes, als es der Bund der Vertriebenen plant?

Es wäre ein schwerer Schlag für das Klima unserer Beziehungen, wenn das Projekt der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, verwirklicht würde. Persönlichkeiten in Deutschland und Polen haben vorgeschlagen, dass wir nicht nur über die Geschichte sprechen, sondern im breiten europäischen Rahmen auch über die Vertreibungen der jüngsten Zeit …

… auf dem Balkan.

Richtig. Wir Polen sind dankbar für die vielen Gesten der Verständigung und Versöhnung. Sie zeigen, wie wir gemeinsam mit der belastenden Vergangenheit umgehen können. Aber jetzt gibt es ganz andere Signale aus Deutschland. Manche Vorstöße erwecken den Eindruck, die Geschichte solle uns trennen.

Zum Beispiel?

Frau Steinbachs Sicht der Vertreibung. Oder die Preußische Treuhand, die über amerikanische Anwälte vom polnischen Staat Entschädigungen für verlorenen deutschen Besitz einklagen will. Da wächst bei uns das Misstrauen, auch im Parlament. Eine radikalere Gruppe will jetzt umgekehrt Reparationen für die deutschen Zerstörungen in Warschau vor Gericht bringen. Ich appelliere an alle Verantwortungsträger in beiden Ländern zu verhindern, dass diese Beispiele Schule machen.

Noch mal: Sollen die beiden Präsidenten die Initiative übernehmen, damit wir zusammen das richtige Zentrum gegen Vertreibungen bauen?

Ihre Erklärung war politisch eminent wichtig. Aber sie schafft nicht sofort eine neue Lage. Rau und Kwasniewski plädieren für einen klugen Umgang mit dem Thema, bei dem sowohl die Geschichte als auch die aktuelle Lage in Europa berücksichtigt wird.

Lassen Sie uns noch einen Blick nach Berlin werfen. Polen könnte ein Schaufenster im Herzen der Stadt haben. Aber der Bau der neuen Botschaft Unter den Linden ganz nah am Brandenburger Tor stockt seit Jahren. Warum?

Der Ärger über die Situation hat bald ein Ende. Wir beginnen im kommenden Jahr mit dem Bau. 15 Millionen Zloty, also gut 3,3 Millionen Euro, sind für den Anfang im Haushalt eingeplant. Die ersten Pläne vor ein paar Jahren waren zu ehrgeizig, die Architektur so teuer, dass auch reichere Staaten sich das kaum hätten leisten können.

Das Gespräch führten Ingrid Müller und Christoph von Marschall. Die Fotos machte Kai-Uwe Heinrich.

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