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Als einer der Ruhmsüchtigsten unterging: Komoparsen spielen die Schlacht bei Wartenburg 1813 nach, Auftakt zur Leipziger Völkerschlacht, mit der Napoleons Stern sank.

© dpa

Warum Kriege geführt werden: Ruhm und Ehre statt sicherer Grenzen

Materielle Interessen waren es selten, um die viel Blut vergossen wurde. Ein Londoner Forscher hat die Kriege der letzten mehr als 350 Jahre untersucht - und entdeckt, welche Motive stärker waren.

Wann ist ein Krieg gerechtfertigt, wer darf ihn legitimerweise erklären, welche Gründe sind edel genug, um für sie Blut, vielleicht sehr viel Blut zu vergießen? Die Frage nach dem gerechten Krieg ist tausende Jahre alt. Auch in diesem grausamen Sommer wird sie praktisch in jedem Zeitungsartikel, jeder Debatte über Gaza, die Ukraine wieder gestellt. Israels Existenzrecht gegen das der Palästinenser, der Völkerrechtsbruch um die Krim gegen Russlands Behauptung, dort dem Volkswillen zu entsprechen. Und im Gedenkjahr des Weltkriegs wird die Schuldfrage gerade wieder so leidenschaftlich diskutiert, als sei die „Urkatastrophe“ des letzten Jahrhunderts nicht vor hundert Jahren, sondern gerade eben erst über die Welt gekommen.

Ein Blick auf die Kriege seit 1648

Unausgesprochen steht hinter der Frage die Annahme, es gehe auf jeden Fall, ob berechtigt oder nicht, um materielle Interessen oder den Wunsch nach Sicherheit. Wer so denkt, liegt aber ziemlich gründlich daneben, hat Richard Ned Lebow herausgefunden. Der Professor für politische Theorie arbeitet am Londoner King’s College in einer Abteilung mit dem altmodischen Namen „War Studies“ und hat früher Strategie gelehrt. In seinem Buch „Why nations fight“ nahm er sich 2010 die Kriege der Großmächte oder kommenden Mächte von 1648 bis heute vor. Er untersuchte, wer den Krieg anfing, welche Motive dabei eine Rolle spielten – Sicherheit, materielle Gewinne, Rache, Standing oder die Innenpolitik – , wer ihn gewann und verlor, maß Dauer und Intensität der Kriege, ob und welche Regeln für sie galten und welche Friedensschlüsse am Ende standen.

Nur militärischer Erfolg brachte Ansehen

Das Ergebnis: „Anders als erwartet spielte Sicherheit nur für 19 von 94 Kriegen eine Rolle.“ Auch materielle Interessen seien schwach vertreten, sie hätten nur acht Kriege verursacht, die meisten davon im 18. Jahrhundert. Die mächtigsten Kriegstreiber dagegen waren Rang und Ansehen, etwas platter gesagt die Eitelkeiten der kriegführenden Mächte. „Standing“ wie Lebow es nennt, „war in 62 Kriegen das erste oder zweite Motiv“. Und Rachedurst war immerhin noch für weitere elf verantwortlich – auch dies zählt Lebow zu den Gründen von spirit und standing. „Historisch“, schrieb Lebow kürzlich in einem Blogbeitrag, „war militärischer Erfolg das Hauptinstrument, um Rang und Anerkennung als Großmacht zu gewinnen." Inzwischen ändere sich das aber, internationale Konfliktregelungen seien gefragt, wer die UN missachte, könne einen Krieg kaum zur Rangerhöhung nutzen, und vor allem gebe es neuerdings „neue Wege der Statusgewinnung“. Die EU, Japan, Brasilien machten es vor.

Der Irakkrieg als Wendemarke?

Da mag zu Recht die Stirn runzeln, wer in diesen Wochen an einem beliebigen Tag durch die Nachrichten scrollt. Diese neuen Wegen haben sich wohl einfach noch nicht zu allen herumgesprochen? Professor Lebow hält’s, optimistisch, nur für eine Frage der Zeit, jedenfalls was die großen Mächte angeht: „Im Jahre, sagen wir 2030, werden wir vielleicht auf den Irakkrieg als einen Wendepunkt der internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert zurückblicken, weil er den einseitigen Einsatz von Gewalt delegitimierte und anderen, friedlichen Mitteln, Ansehen zu erwerben, den Weg geebnet hat.“

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