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Politik: Warum Sanktionen? Schließlich gibt es die Bombe überall - nicht nur in Pakistan (Meinung)

Jetzt rattern die Sanktionen. So nicht, sagt das Commonwealth und schließt Pakistan fürs Erste aus.

Jetzt rattern die Sanktionen. So nicht, sagt das Commonwealth und schließt Pakistan fürs Erste aus. Ohne Demokratie kein Geld, sagen die UN und die EU und kappen Finanzhilfen für das arme Land mit der explodierenden Bevölkerung. Wer Politik durch Putsch ersetzt, kommt als Partner nicht mehr in Frage, signalisiert die Welt dem neuen Alleinherrscher in Islamabad. Und im Hinterkopf haben wir alle weniger die Fürsorge für jene Mehrheit der Pakistanis, die begrüßt, dass das korrupte Ancien Regime weg ist, als die Angst vor der Bombe. Ein Putsch im Zeichen nuklearer Bewaffnung - Pakistan ist der Beleg für eine These: Der schwächste Punkt in der globalen Sicherheit ist dort, wo Massenvernichtungswaffen in die Hand von nicht legitimierten Regimen, von Außenseitern oder Terroristen fallen.

Der neue Machthaber Pervez Musharraf scheint dies gut zu verstehen. Er versichert, dass Pakistan seine Truppen einseitig von der indischen Grenze abziehen und beim Testen des Nukleararsenals äußerste Zurückhaltung üben werde. So weit, so gut. Die Urangst der globalen Psyche im Zeitalter nach dem Kalten Krieg lindert er damit nicht. Fast ein halbes Jahrhundert lang wurde die Verrücktheit der Bombe durch die Doktrin namens MAD in Schach gehalten: "mutually assured destruction", die garantierte gegenseitige Auslöschung. Für die Regierenden der klassischen Atommächte in Washington und Moskau galt, dass Abschreckung nicht durch ein aktives Drohen mit Interventions-Potenzialen verkörpert wurde, sondern durch jenen defensiven Rest, der auch im Falle des Überfalls der anderen Seite genug Nuklearwaffen überleben ließ, um den Angreifer noch in die Apokalypse zu schicken. Im Schatten von MAD lebte es sich gruselig, aber sicher. Nur langsam dämmerte es uns allen, dass ein anderes Muster viel gefährlicher ist. Was, wenn jemand sich als Underdog im verzweifelten Abwehrkampf vorkommt, wenn jemand glaubt, nichts mehr zu verlieren zu haben? Wäre nicht eine israelische Bombe gegen die arabischen Anrainer oder eine südafrikanische auf dem Sterbebett der Apartheid riskanter? Und was, wenn die Bombe eine kleine, eine taktische ist, und von Tschetschenen gegen Russland ins Spiel gebracht wird? Oder von Terroristen, die "nur" erpressen oder "nur" vernichten wollen? Solche Angreifer lassen sich schlecht abschrecken.

Das Gespenst an der Wand heißt Proliferation: Weiterverbreitung. Die USA können es sich zugute halten, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen - und da sind B- oder C-Waffen nicht harmloser als atomare Sprengsätze - seit der Zeitenwende 1989/90 auch gegen europäisches Schulterzucken wieder und wieder auf die Tagesordnung gesetzt zu haben. Geholfen hat das punktuell: Argentinien und Brasilien, die Rivalen in Südamerika, haben erkannt, dass das Wettrennen um den Erstbesitz von Atomwaffen in eine Rüstungsspirale mündet. Beide Staaten haben in weiser Einsicht verzichtet. Indien und Pakistan waren nicht so klug. Der Westen protestiert und ist alarmiert, wenn der Falsche an die Schalthebel kommt. Aber sonst?

Vor wenigen Tagen hat der US-Senat die Unterschrift unter das Verbot von Atomtests verweigert. Eines der wenigen Instrumente der Politik gegen die Proliferation landete im Mülleimer. Das Nein beweist zweierlei: Dass Bill Clintons Außenpolitik sprunghaft ist - und dass die Republikaner keine haben. Seit es das Reich des Bösen nicht mehr gibt, besteht die Außenpolitik der Kongress-Mehrheit darin, mehr Verteidigungsausgaben zu fordern. Und die Demokraten tun wenig mehr, als auf Fernseh-Katastrophen zu reagieren. Clinton hat den Rüstungs-Kontroll-Vertrag mit Minimalaufwand durchzusetzen versucht und kein einziges Gespräch mit der Parlaments-Spitze für nötig befunden. So belegt der gestoppte Teststopp, dass die letzte Weltmacht dabei ist, sich als einzige Ordnungsmacht zu verabschieden. Dieses Adieu bedeutet keinesfalls, dass Amerika nicht zuweilen die Muskeln spielen lässt. Es bedeutet, dass den USA eine strukturierte Außenpolitik abhanden kommt. Damit wird das verlässlichste aller unzuverlässigen Bollwerke gegen die Proliferation eingerissen. Es bleibt: die Bombe. Und viele kleine Bömbchen. In Pakistan und anderswo.

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