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Was den Terror anziehend macht: IS verheißt eine einzige Deutung

Junge Menschen aus aller Herren Länder fühlen sich von der Terrormiliz "Islamischer Staat" angezogen. Warum eigentlich? Caroline Fetscher kommentiert.

Von Caroline Fetscher

Attentäter und Terroristen verfolgen meist klare, aktuelle Ziele. Ihr Tun ist lokal oder regional begrenzt: Sie wollen einen Staatsmann stürzen, das System eines Landes ändern, die Abspaltung eines Territoriums erwirken. Demgemäß rekrutieren sie ihre Gefolgschaft typischerweise aus den eigenen überschaubaren Reihen: sprachlich, politisch, ideologisch.

Mit den Milizen des selbst ernannten Kalifats „Islamischer Staat“ (IS), die den Mittleren Osten terrorisieren, scheint ein neuer Typus nicht-staatlicher Akteure auf den Plan getreten zu sein. Allein 15 000 Freiwillige aus 80 Staaten sollen sich der irregulären Armee in die Arme geworfen haben. In Bussen und Flugzeugen überqueren sie Grenze um Grenze, um bei einer in ihren Augen großen Sache mitzumachen. Unter den Dschihadisten sind Männer und Frauen aus arabischen Staaten, aus der Europäischen Union, Russland, Tschetschenien, Bosnien und Herzegowina und sogar von den Malediven. Ihre Zahl steige noch, warnt ein alarmierender UN-Bericht.

Was macht die marodierenden Milizionäre mit ihrem Phantasma vom erbarmungslosen „Allah“ so magnetisch? Drei Faktoren scheinen zentral: Inhaltlich das Angebot ideologischer Eindeutigkeit und Schlichtheit, technisch die Nutzung des Internets, finanziell der Zugang zu Geldmitteln aus äußerst lukrativen Quellen.

Eindeutigkeit: Der IS bietet die spezifische Variante einer Konfession. Der Koran, die Hadithen können, dürfen demnach nur so gelesen werden, „wie wir das tun“. Seine Autorität bezieht dieses „Wir“ aus einem Zeitkollaps, es korrespondiert direkt durch die Jahrhunderte mit jenem Allah, der durch den Propheten Mohammed sprach. So beansprucht das „Kalifat“ in Syrien und Irak das Deutungsmonopol über heterogene und widersprüchliche Texte, die für anderthalb Milliarden Muslime weltweit Geltung besitzen. IS verheißt eine einzige Deutung, ein großes Angebot in einer überfordernden Gegenwart, eins, das sich über die babylonische Wirrnis hinwegzusetzen scheint, ohne Skrupel oder Zweifel.

Technik: Vereinfacht wird das globale Rekrutieren von Zeitgenossen durch ein Informationsnetzwerk, das sekundenschnell Nachrichten oder Aufrufe von einem Smartphone in Jakarta in ein Londoner Büro schickt. Soziale Netzwerke werden zu antisozialen Netzwerken pervertiert, eine im Kern basisdemokratische Option bietet dezidiert antidemokratischen Kräften die Plattform. Technisch spielt auch das Know-how der Veteranen aus Saddam Husseins zerschlagener Armee eine Rolle.

Was den IS und die RAF unterscheidet

Finanzen: So religiös fanatisch ihre Ideologie sich gibt, die Kämpfer lockt nicht nur der Lohn im Paradies, sondern auch irdischer Sold. Die Söldner werden offenbar vor allem durch den illegalen Verkauf von Rohöl, Menschenhandel und Handel mit Raubkunst finanziert.

Diese Faktoren unterscheiden die IS-Terroristen von gewaltfreien wie gewalttätigen Bewegungen anderer nichtstaatlicher Akteure der Moderne, seien es Studentenproteste der 1960er Jahre oder der politische Terrorismus von IRA, RAF, Brigate Rosse, mag deren Anspruch noch so groß gewesen sein. Hier breitet sich anderer Terror aus. Da er derart global und virulent ist, fordert er globale Antworten und Gegenstrategien. Das weckt immerhin die Hoffnung, dass ausgerechnet diese Bedrohung den Globus enger, demokratischer zusammenbringt.

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