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Politik: Was halten Sie von Saddam, Herr Schröder?

Wenn Politik auf Terror und Vertreibung reagiert – der Bundeskanzler über den deutschen Weg

Herr Bundeskanzler, wir sitzen in einer Ausstellung mit Bildern vom Balkankonflikt, aufgenommen von dem italienischen Fotografen Paolo Pellegrin. Sie haben den ersten militärischen Kampfeinsatz der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg außerhalb des Nato-Bündnisgebietes zu verantworten. Welche Rolle spielen Bilder bei der Entscheidungsfindung von Politikern?

Ich kann nicht ausschließen, dass Bilder eine Rolle spielen bei der Entscheidung. Aber bei Entscheidungen über Krieg und Frieden muss man jedenfalls versuchen, sich von den Bildern zu lösen, jedenfalls nicht unter dem direkten Einfluss von erschütternden Bildern zu handeln.

Das heißt, Sie kennen sehr wohl die Gefühle von Wut und Empörung, sagen aber, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen, müssen Sie diese Gefühle vernachlässigen?

Nicht vernachlässigen, man muss mit ihnen umgehen, denke ich. Eine Entscheidung solcher Tragweite nur im Angesicht von Bildern zu treffen, würde ich für mindestens problematisch halten. Also braucht es Beratung, braucht es auch eine Zeit des Sich-Lösens von diesen erschütternden Bildern, um eine rationale Entscheidung treffen zu können. Die wird nie ganz frei sein von Emotionen, denn es entscheiden ja Menschen.

Wie verarbeiten Sie Meldungen über so genannte Kollateralschäden?

Das ist ein Begriff, den ich gar nicht schätze. Kollateralschäden heißt ja immer, dass Ziele getroffen werden, die nicht militärisch sind, das können Menschen sein, das können Gebäude sein. Das ist im Krieg, und wir waren im Krieg, eine der Begleiterscheinungen, die, wo irgend möglich, minimiert werden muss, die man aber bedauerlicherweise nie wird ausschließen können. Ich finde nur, dass das Wort ziemlich brutal ist.

Zur Rechtfertigung des Einsatzes sind von deutschen Politikern oft Sätze gefallen, die an die deutsche Vergangenheit erinnert haben. Interessant ist, dass diese Bilder hier – vielleicht unfreiwillig – auch an ein anderes Kapitel der deutschen Geschichte erinnern, nämlich die massenhafte Vertreibung von Deutschen aus Ostdeutschland, aus Polen, aus der Tschechoslowakei, aus Ungarn, aus Rumänien. Warum hat dieses Thema so wenig Beachtung gefunden in der Nachkriegsgeschichte?

Wenn man sich mit der Geschichte der damaligen Bundesrepublik Deutschland beschäftigt, dann wird man finden, dass in den ersten zwei Jahrzehnten sehr viel darüber geschrieben worden ist, mehr als im Gedächtnis haften geblieben ist. Dass sich danach andere Themen in den Vordergrund gedrängt haben, etwa der Kalte Krieg und die Mauer, heißt nicht, dass in der ersten Zeit über diese Schicksale nicht geschrieben worden ist. Aber richtig ist, dass es dann eine lange Phase nicht des Schweigens, aber der zurückhaltenden Berichterstattung und Beschäftigung gegeben hat. Es hat ja in jüngster Zeit genau das Gegenteil dessen gegeben, und es gibt ja ein wichtiges Buch, das ist „Im Krebsgang" von Günter Grass, und möglicherweise deswegen ist es auch so eindrucksvoll.

Niemand erwartet von Ihnen, dass Sie bei Ihrem Terminplan noch Novellen lesen. Ich meine nicht Gesetzesnovellen, sondern literarische. Haben Sie das Buch Ihres Freundes tatsächlich gelesen?

Ja, er hat mir freundlicherweise ein so genanntes Autorenexemplar geschickt, und das habe ich wirklich in einer Nacht gelesen, und ich finde, es ist ein sehr eindrucksvolles Buch.

Vielleicht wird es Sie überhaupt wundern, dass ein Journalist, der, mit Verlaub, ein bisschen jünger ist als Sie und der dazu noch einen italienischen n trägt, auf das Thema Vertreibung zu sprechen kommt. Aber meine deutsche Familie, die Familie meiner Mutter, stammt ausnahmslos aus Ostpreußen, alle mussten fliehen, und die, die geblieben sind oder bleiben wollten, sind elendig umgekommen. Trotzdem ist das Thema auch in unserer Familie kaum behandelt worden, nicht mal bei Familientreffen. Was hat Ihre Generation, die ja in meine hineinragt, abgehalten von der Beschäftigung mit diesem Thema?

Vielleicht die Angst, dass das Zulauf geben könnte bei jenen Verbänden, die das Thema sehr einseitig und auch gelegentlich manipulativ behandelt haben. Da scheint sich eine Wandlung zu vollziehen. Ich habe selber beim Bund der Vertriebenen geredet, das war nicht nur erfreulich – wie auch nicht anders zu erwarten gewesen ist –, aber mein Eindruck ist, dass dort auch Ansätze von Nachdenklichkeit eingekehrt sind.

Es war ein Tabuthema, gesichert durch die dicke Kanone des Revanchismus-Vorwurfs.

Ja, wahrscheinlich war es so, und deswegen denke ich, kann man heute, nachdem das ja überwunden ist, auch historisch genauer und viel weniger in den alten Gräben sich befindlich darüber reden. Ich halte das für einen Fortschritt.

Aber darf ich ganz konkret fragen, die Benesch-Dekrete, das waren ja 143 Dekrete, nur wenige betreffen die Deutschen. Aber eins davon war, dass Menschen, die Deutsche erschlagen, gequält, ermordet haben, straffrei ausgehen. Was kostet es die tschechische Führung, davon heute Abstand zu nehmen?

Die tschechische Führung hat 1997, damals noch in den Verhandlungen, die Herr Kohl geführt hat, zur Wirkung und Wirksamkeit dieser Dekrete in der tschechisch-deutschen Erklärung Stellung genommen. Das ist immer noch die Basis der Politik gegenüber Tschechien. Ich habe dann 1998, damals mit Herrn Zeman geredet , und wir haben beide festgestellt, dass auf der einen Seite Tschechien von der Nicht-mehr-Wirksamkeit der Dekrete ausgeht. Das hilft den Betroffenen nicht, das weiß ich sehr wohl. Wir auf der anderen Seite als Bundesregierung haben unbeschadet der Rechte Dritter keine Vermögensansprüche. Mir scheint das der einzige Weg zu sein, wie man diese Frage in Europa so behandelt bekommt, dass darin Perspektive sichtbar wird. Wir wollen jedenfalls alle keine neuen Grenzen aufstellen und keine neuen Bedingungen formulieren für einen Beitritt Tschechiens. Ich sehe keine Möglichkeit zu einem Europa zu kommen, in dem die Vergangenheit nicht immer störend vor der Zukunft steht. Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – selbstverständlich.

Noch mal Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach und Ihr Parteifreund Peter Glotz haben die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibung“ eingerichtet, sie wollen eine Stätte der Dokumentation errichten in Berlin. SPD und Grüne haben gesagt, ja, aber in Breslau. Was spricht dagegen, das in Berlin zu machen?

Ich weiß nicht, ob beide Orte glücklich sind.

Aber hätten Sie nicht selber den Wunsch zu sagen, wenigstens ein Ableger in Berlin?

Berlin als Standort beinhaltet natürlich auch die Gefahr, dass es als eine deutsche Frage angesehen wird. Ich bin, was diese Frage Standort angeht, nicht festgelegt. Ich finde nur, dass man das mit großer Sensibilität behandeln muss und dass diese Fixierung des Vertriebenenverbandes auf allein die deutsche Vertreibung, wo unendlich viele Menschen – das kann ich nachvollziehen – gelitten haben, dass diese Fixierung die Diskussion in eine falsche Richtung bringen könnte, und deswegen bin ich nicht entschlossen, das zu unterstützen.

Wir haben gerade über die verdrängte Erfahrung der Vertreibung gesprochen, aber auch vorher über die sehr gegenwärtige Erfahrung, die Sie gemacht haben mit Militäreinsätzen, erst im Kosovo, dann folgten ja noch Mazedonien und Afghanistan. Nun gibt es eine von Ihnen mit geführte Debatte um einen mutmaßlichen Angriff auf den Irak. Erlauben Sie mir die Frage, was in Ihren Augen Milosevic von Saddam Hussein unterscheidet?

Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten. Beides sind sicher Gestalten in der internationalen Politik, die man nicht gerne dort sieht. Das kann ja gar keine Frage sein, was sie unterscheidet und worin sie sich gleichen. Sicher in der Form der Ausübung ihrer Herrschaft, auch in der Bereitschaft, das eigene Volk unter ihrer Politik leiden zu lassen. Man muss differenzieren zwischen dem, was wir als Folge des 11. Septembers gemacht haben, dass wir einem in seinem Land angegriffenen Bündnispartner, hier die Vereinigten Staaten von Amerika, als selbstverständliche Freundespflicht auch Beistand leisten. Das ist so gewesen, und das bleibt auch so. Ich habe, bezogen auf die Irak-Debatte, Grund gehabt und habe den noch, darauf hinzuweisen, dass „Enduring Freedom“ nicht beendet ist, das heißt, die Taliban sind nicht besiegt. Weder ist der Krieg dort zu Ende, noch ist das geleistet worden, was man „Nation Building“ nennt, also die Wiederaufbauarbeit eines Landes, das zurückkehren will und zurückgekehrt ist, formal mindestens, in die Staatengemeinschaft. Und ich denke, ganz viele Menschen in der Welt schauen jetzt darauf. Werden die Versprechungen, die die westliche Staatengemeinschaft gemacht hat, was die Rückkehr des Landes in den Kreis des Westens, was den Wiederaufbau angeht, erfüllt?

Diskutieren ja, aber alle versichern ja, es sei noch lange nichts entschieden. Haben Sie Informationen, die Sie dazu bewegt haben, das Thema jetzt schon in Deutschland zu erörtern?

Es gibt die Diskussion im amerikanischen Senat, die wird öffentlich geführt. Es gibt ganz schlicht die Frage, die mir natürlich in jeder Veranstaltung gestellt wird von Journalisten, aber auch von besorgten Bürgerinnen und Bürgern, wie verhaltet ihr euch denn, wir leben nicht im Zeitalter der Geheimdiplomatie. Fragen mit dieser Dimension, darauf haben Menschen einen Anspruch, von ihrem Bundeskanzler Antwort darauf zu erhalten, so dass die Bundesregierung, dass auch ich als Regierungschef natürlich sagen musste, wo ich in der Frage stehe.

Schmerzt es Sie in diesem Zusammenhang nicht, dass Sie im irakischen Fernsehen in diesen Tagen gefeiert werden?

Aber schauen Sie, ich weiß nicht, was die sich unter feiern vorstellen. Ich kann es weder sehen noch interessiert es mich. Ich habe eine Position einzunehmen für Deutschland, das tue ich.

Muss man nicht manchmal mit dem Krieg drohen, um den Frieden zu erzwingen?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Man hat natürlich auch über die Folgen einer Intervention nachzudenken. Und eins ist klar, wer das tut, braucht eine Vorstellung, wie der Nahe Osten denn politisch geordnet sein soll danach und welche Folgen das hat. Der braucht eine Vorstellung davon, welche Folgen eine Intervention für die Weltwirtschaft hat. Mein Eindruck ist, dass das alles nicht zureichend debattiert worden ist, und deswegen sage ich, ich habe keinen Grund, dem amerikanischen Präsidenten zu misstrauen, der mir gesagt hat, es finden Konsultationen statt. Aber ich denke, die Konsultationen müssen sich auch auf das Ob beziehen, nicht nur auf das Wie und auf das Wann. Und was die öffentliche Debatte angeht, Sie sind versiert genug, um zu wissen, dass gelegentlich auch durch eine Diskussion Fakten gesetzt werden, die dann stehen und nur schwer oder gar nicht mehr veränderbar sind.

Sie haben mal gesagt, Sie seien ein Mensch, der in der Lage ist, Fehler einzugestehen. Nach der Aufregung um das Wort vom „deutschen Weg“, an dem man festhalten wolle – würden Sie heute sagen, Sie nehmen das zurück?

Nein, warum sollte ich das? Das bezog sich auf das, was Deutschland wirtschaftlich stark gemacht hat, auch gesellschaftspolitisch stark gemacht hat, nämlich darauf, dass wir es hinbekommen haben, eine sorgfältige Balance zwischen Kapital und Arbeit…

Das war nach innen gerichtet, das war nach außen verstanden worden.

Ja, es war nach innen gerichtet, Sie haben es auf die Außenpolitik verstehen wollen, das ist ja ein Unterschied, und es war nach innen gerichtet. Aber nicht nur, das wäre ja auch ganz falsch. Ich denke, es ist doch für eine sozialdemokratisch geführte Regierung völlig selbstverständlich, die eigenen gesellschaftspolitischen Vorstellungen, die sorgfältige Balance zwischen Kapitalinteressen einerseits, Arbeitnehmerinteressen andererseits, angesichts der Integrationsfortschritte in Europa nicht nur als ein deutsches Problem, sondern auch als eins zu begreifen, das wir gerne in Europa so verwirklicht sehen würden, wie wir das für richtig halten. Etwa zu sagen, wo die deutsche Position ist, durchaus auch mal kritisch gegenüber der Europäischen Kommission, das hat doch nichts damit zu tun, dass wir uns abwenden wollten vom Integrationsgedanken, im Gegenteil. Ein Land, das selbstbewusst seine Interessen formuliert, ist im Zweifel ein besserer Partner als eines, das durch Leisetreterei repräsentiert wird.

Meine letzte Frage. Würde es Sie schrecken, als der Bundeskanzler in die Geschichtsbücher einzugehen, der mehr als ein halbes Jahrhundert deutscher Zurückhaltung bei kriegerischen Einsätzen wegkommandiert hat?

Das kann mich nicht schrecken, ich habe ja die notwendigen Entscheidungen treffen müssen. Und ich bin damals der Auffassung gewesen, dass das richtig war, als die Entscheidungen anstanden, ich bin es jetzt noch, und insofern muss ich den Historikern, wenn die das denn überhaupt für eine so entscheidende Frage halten werden, was ich schon glaube, muss ich ihnen freie Hand lassen.

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