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Kabinett will Rettungsschirm ausweiten: Was hat der Bundestag bei Euro-Hilfen noch zu sagen?

Das Bundeskabinett hat beschlossen, den Euro-Rettungsschirm auszuweiten. Wenn das Parlament zustimmt, verdoppelt Deutschland seine Garantien für Kredite an Euro-Krisenstaaten.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Robert Birnbaum

Das Gesetz ist so kurz wie sein Name lang: „Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus“ lautet der volle Titel der Vorschrift, deren Änderung das Bundeskabinett am Mittwoch auf den Weg gebracht hat. Das Wörtermonster, der Einfachheit halber nur noch „StabMech“ genannt, besteht inhaltlich aus genau einem Paragrafen. Der allerdings hat es in sich: Wenn das Parlament Ende September zugestimmt hat, verdoppelt Deutschland knapp seine Garantien für Kredite an Euro-Krisenstaaten, und es billigt neue Nothilfemechanismen für den Euro-Rettungsfonds EFSF.

Was genau sieht das Gesetz vor?

Praktisch werden damit die Beschlüsse des letzten Euro-Gipfels in nationales Recht umgesetzt. Der Kreditrahmen des EFSF für Not leidende Euro-Staaten soll auf 440 Milliarden Euro steigen; das bedeutet eine Aufstockung der Garantiezusagen auf 780 Milliarden Euro, von denen Deutschland etwas mehr als ein Viertel trägt. Diese 211 Milliarden Euro sind vorerst nur Bürgschaften, die erst bei Zahlungsunfähigkeit fällig würden.

Die Hilfen sind stets an Auflagen und harte Reformprogramme geknüpft, die die Krisenstaaten aus der Überschuldung führen sollen. Das gilt auch für die vier neuen Instrumente, die den EFSF zu einer Art Euro-Feuerwehr machen sollen. Als akute Brandbekämpfung kann der EFSF dann direkt oder über den Kapitalmarkt – den sogenannten Sekundärmarkt – Staatspapiere aufkaufen. Er darf Staaten auch helfen, kriselnde Banken zu retten. Schließlich darf er vorsorglich Staaten Kreditlinien einräumen, die in Gefahr stehen, als nächste das Vertrauen der Finanzmärkte zu verlieren.

Welche Bedingungen müssen Staaten erfüllen, um in den Genuss der Hilfen zu kommen?

Diese Bedingungen sind im Vertragswerk der Euro-Staaten unterschiedlich hart gefasst: Wer sich durch den Kauf von Staatsanleihen retten lassen muss, muss von da an ein volles Reformprogramm absolvieren und steht ab da praktisch unter Aufsicht der „Troika“ aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission. Wer vorsorglich Kredite zugesagt bekommt, muss zwar ebenfalls Spar- und Reformbemühungen einleiten, steht aber noch nicht unter Kuratel der Bürgen.

Festgesetzt hat diese Bedingungen der Euro-Gipfel; formuliert sind sie in einem völkerrechtlichen Vertrag. Der Bundestag kann inhaltlich also daran nichts mehr verändern – er kann zu dem Paket nur Ja oder Nein sagen. Noch nicht ausverhandelt sind auf europäischer Ebene die genauen Verfahrensvorschriften für die vier neuen Instrumente. Sie sollen aber fertig sein, bevor der Bundestag beschließt.

Technisch ist das, was das Kabinett beschlossen hat, übrigens nur eine „Formulierungshilfe“. Den Gesetzentwurf bringen nächste Woche die schwarz-gelben Fraktionen ein. Das Verfahren spart eine Beratungsrunde im Bundesrat und ist üblich, wenn es schnell gehen soll. Auch aus einem anderen Grund ist es diesmal praktisch: Wie der Bundestag über die Umsetzung des EFSF mitbestimmt, soll er ausdrücklich selbst festlegen.

Welche Mitwirkungsrechte wird der Bundestag künftig bei Euro-Hilfen haben?

Bis jetzt hatte die Regierung praktisch freie Hand: Der Finanzminister muss sich nur um „Einvernehmen“ mit dem Haushaltsausschuss „bemühen“, bevor der deutsche Beamte im EFSF-Aufsichtsgremium einem konkreten Kredit zustimmt. Theoretisch, sagt der CDU-Finanzexperte Michael Meister leicht sarkastisch, könnte Wolfgang Schäuble diese Bedingung dadurch erfüllen, dass er zwei, drei Mal im Ausschuss erscheint – und danach trotzdem tut, was er für richtig hält.

Das soll völlig anders werden. Dass es nicht angehen werde, dass der Bundestag nur ein einziges Mal zustimmt und den Rest der Regierung überlässt, haben führende Koalitionspolitiker schon lange gefordert – vorweg Norbert Lammert. Der Bundestagspräsident sah das Budgetrecht als „Königsrecht“ des Parlaments in Gefahr, wenn es ein Bürgschaftspaket im Umfang von zwei Dritteln eines Bundeshaushalts als Blankoscheck vergibt.

Andere in den Führungen von Union und FDP denken weniger prinzipiell als taktisch. Da ist das Verfassungsgericht. Das will am nächsten Mittwoch das Urteil über die Klagen gegen die erste Griechenlandhilfe verkünden. Alle erwarten, dass es eine Stärkung der Parlamentsrechte fordert. Die schwarz-gelben Koalitionäre würden dem gern zuvorkommen, um den Eindruck zu vermeiden, dass der Bundestag sich vom Gericht zur Wahrung seiner eigenen Rechte tragen lassen muss.

Noch wichtiger dürfte ein zweites Motiv sein: die Kritiker der Euro-Rettung in den eigenen Reihen zu beruhigen. Wenn das Parlament jederzeit dem EFSF in den Arm fallen kann, fällt die Zustimmung zum erweiterten Rettungsfonds vermutlich manchem leichter. Diese Rechnung scheint aufzugehen. Als die FDP-Fraktion in ihrer Klausur in Bensberg in einem Grundsatzbeschluss einen weitgehenden Parlamentsvorbehalt forderte, gab es dagegen gerade mal eine Enthaltung und eine Gegenstimme. Die Fraktionsspitze nahm das als Indiz dafür, dass die Zahl der Kritiker eher abnimmt, die am 29. September in der Schlussabstimmung eine eigene Mehrheit der Koalition gefährden könnten.

FDP wie Union wollen dem Bundestag nämlich das Recht verschaffen, allen „wesentlichen“ Entscheidungen im EFSF-Rat vorher zuzustimmen. Lehnt das Parlament ab, soll der deutsche Vertreter beim EFSF mit Nein stimmen müssen. Da dort Einstimmigkeit vorgeschrieben ist, läuft das auf ein Veto-Recht des Bundestags hinaus.

Dauert das im Ernstfall nicht viel zu lange?

In der Tat: Das Verfahren kostet mehr Zeit, als an nervösen Finanzmärkten oft bleibt. Der EFSF hat einen Teil seiner neuen Vollmachten ja genau zu dem Zweck bekommen, rasch reagieren zu können. Kenner der Materie halten es für völlig praxisfern, dass der EFSF jedes Mal auf den Bundestag warten soll, bevor er Staatsanleihen durch Aufkauf stützt.

Die FDP hat deshalb in ihrem Beschluss dem strengen Prinzip eine weichere Fußnote angefügt: „Der Bundestag kann sein Zustimmungsrecht für bestimmte Fälle auf seine Untergliederungen delegieren.“ Der konkrete Vorschlag, den die Haushälter Norbert Barthle (CDU) und Otto Fricke (FDP) erarbeitet haben, sieht ein gestuftes Verfahren vor. Das gesamte Parlament soll jedes Mal zustimmen müssen, wenn der EFSF eins seiner Instrumente aktiviert. „Immer, wenn es um das Geld des Steuerzahlers geht, muss das Parlament entscheiden“, sagt Fricke. Für nachträgliche Änderungen an einer Hilfsmaßnahme soll, wenn sie im genehmigten Finanzrahmen bleibt, dann die Zustimmung des Haushaltsausschusses reichen. Der Ausschuss soll auch kontrollieren, ob der EFSF die Vorgaben einhält. Fricke brachte überdies ein Notfallgremium ins Gespräch, das in Eilfällen stellvertretend für den Bundestag entscheiden soll.

Der Opposition hat die Koalition am Mittwoch zugesagt, sie in die Beratungen zu den Parlamentsrechten einzubinden – auch als Gegenleistung dafür, dass SPD und Grüne dem Euro-Rettungspaket zustimmen wollen.

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