zum Hauptinhalt

Politik: Was kostet die Moral?

Von Harald Schumann

Nun also wieder die Ärzte. Bis zu 20 Milliarden Euro gehen durch Bestechung und Betrug im Gesundheitswesen verloren, behaupten die Korruptionswächter von „Transparency International“. Zu Beginn der Woche machten Berichte über bestechliche Bundesbeamte die Runde. Von „Korruption in neun Ministerien“ wusste ein Boulevardblatt. In den Monaten zuvor ereiferte sich die Republik über Bestechung beim Bau des Münchner Fußballstadions, bei der Deutschen Bank oder sogar bei deutschen Diplomaten. Versinkt das Land im Sumpf der Korruption?

Der Schluss liegt nahe und ist doch falsch. Genauso irreführend wäre die Behauptung, die Republik befinde sich auf dem Rückweg in die Unbestechlichkeit, nur weil die Zahl der Korruptionsermittlungen im Jahr 2003 um ein Drittel geringer ausfiel als im Jahr zuvor. Unbestreitbar ist nur: In Deutschland sind korrupte Praktiken weit verbreitet – wie fast überall auf der Welt. Aber ein anderer Trend ist erkennbar. Die öffentliche Wahrnehmung von Korruption nimmt seit Jahren zu, Politik und Bürger reagieren zusehends empfindlich. Vermutlich werden auch deshalb immer mehr Fälle publik.

Da geht die Veränderung der veröffentlichten Moral Hand in Hand mit der Verschärfung der Gesetze. So dürfen Staatsanwälte Bestechung in der Privatwirtschaft überhaupt erst seit 1997 verfolgen. Die Bestechung von ausländischen Amtsträgern ist für Deutsche sogar erst seit drei Jahren strafbar. Zuvor durften Unternehmen wie einst Thyssen beim Panzergeschäft mit Saudi-Arabien die Bestechungsgelder noch als „nützliche Aufwendungen“ von der Steuer absetzen. Und auch die illegale Parteienfinanzierung wurde erst nach den Spendenaffären strafbar. Insofern ist es ein gutes Zeichen, wenn viel über Korruption berichtet wird. Das stärkt die gesellschaftlichen Abwehrkräfte. Aber das ist kein Grund zur Beruhigung. Denn die Appelle an die öffentliche Moral erreichen all jene nicht, die sich ohnehin nicht mehr dem Gemeinwohl verpflichtet sehen, die sich durch Abzocker in Vorstandsetagen und Straffreiheit für die Sammler illegaler Parteispenden angespornt fühlen, ihren Anteil zu sichern.

Welchen Schaden sie anrichten können, offenbart eine Rechnung: Die öffentliche Hand vergibt jährlich für mehr als 500 Milliarden Euro Aufträge an Private. Wenn nur drei Prozent dieses Umsatzes in dunkle Kanäle fließen, ist das dreimal so viel, wie die Hartz-Reformen an Einsparungen bringen sollen. Darum lohnen sich Prävention und Fahndungsdruck. Umso ärgerlicher ist, dass Politiker wie Unternehmensführer dies auf die lange Bank schieben. Noch immer verhindern die Unionsländer die Einrichtung eines Bundeszentralregisters für korrupte Unternehmen, mit dem sie durch Ausschluss von öffentlichen Aufträgen bestraft werden könnten. Noch immer gibt es kein Akteneinsichtsrecht für Bürger, die fragwürdigen Praktiken auf die Schliche kommen könnten. Und noch immer sparen Justizverwaltungen ausgerechnet bei den Ermittlungsbehörden für Wirtschaftskriminalität. Gleiches berichten Mitarbeiter aus den Revisionsabteilungen vieler Unternehmen, wo zwar wohlklingende Sauberkeits-Codices unterzeichnet, deren Einhaltung aber kaum kontrolliert wird.

„Korruption ist der Feind der Gesellschaft und der Marktwirtschaft“, mahnt der Frankfurter Staatsanwalt und Korruptionsexperte Wolfgang Schaupensteiner. Der machte die Erfahrung, dass er und seine Leute überall fündig werden, wo sie graben. Sie verdienen alle Unterstützung, die wir mobilisieren können.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false