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Politik: Was macht Berlin falsch, Frau Künast?

Die Verbraucherministerin über korrupte Beamte, Sparen ohne Ziel – und die Chance, dank deutscher Türken mit Ankara ins Geschäft zu kommen

Die Berliner gelten als ruppig und schlecht gelaunt. Haben sie auch Grund dazu?

So schlecht gelaunt sind die Berliner gar nicht. Die Laune der Menschen hier erscheint mir erheblich besser als die Zukunftsaussichten der Stadt.

Zu lachen hat man in Berlin aber nicht viel. Immer weniger Leute glauben an den Erfolg der Sanierungspolitik des Senats. Woran liegt das?

Ich sehe viele Scherben und vermisse Pläne und Zukunftsvisionen. Der Senat sagt: Das größte Problem der Stadt seien die Ausgaben. Also wird gespart. Allerdings stellen sich viele die Frage: Folgt das einem Plan? Wo sind die Prioritäten? Außerdem ist das Ausgabenproblem doch nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist: Berlin hat zu wenig Einnahmen. Daran gilt es zu arbeiten. Wo sind Potenziale? Was lässt sich entwickeln?

Welche Potenziale sehen Sie denn? Die Öffentlichkeit sieht nur ein paar Ansiedlungserfolge der Musikindustrie.

Es reicht nicht zu sagen: Wir sind Ost- West-Metropole. Wir müssen fragen: Wo gibt es international langfristig Wachstumsbranchen? Sicherlich nicht in der klassischen Industrie. Aber zum Beispiel in der Umwelttechnologie. Das geht von der Forschung bis zur Produktion. Von ökologischen Lebensmitteln über die Solarzelle bis zu alternativen Kraftstoffen. Aber was macht Berlin daraus? Was kann man, eine Stunde Fahrzeit von der polnischen Grenze entfernt, aus der Solartechnik machen? Welches Potenzial gibt es dort? Oder: Berlin und die EU-Perspektive der Türkei. Der wirtschaftliche Kontakt wird intensiver. Und Berlin hat Menschen, die die deutsche und die türkische Sprache beherrschen und beide Kulturen kennen. Da muss man sich doch ansehen, welche deutsch-türkischen Unternehmer es gibt, welche Beziehungen man ausbauen kann. Auch die Türkei muss sich modernisieren, neu bauen, Energie sparen, Solarenergie nutzen. Wer da zuerst kommt, der verdient zuerst. Da ist man doch verrückt, wenn man sich nicht fragt: Wie nutzen wir das? Das sind Dinge, die die Stadt selbst machen muss. Die kann sie nicht wegschieben und sagen: Es läuft die Klage beim Bundesverfassungsgericht, wir warten auf Geld vom Bund und sparen einfach nur.

Diese Standortqualitäten sieht der Senat zu wenig?

In Berlin fallen politische Entscheidungen, hier finden internationale Konferenzen statt. Hier haben Verbände und Konzernrepräsentanzen ihren Sitz. Da ist jede Menge Raum für Kontakte, um zu besprechen, wo nachhaltiges Wachstum möglich ist. So etwas muss allerdings gepflegt und zur Stärkung der Wirtschaftskraft aktiv betrieben werden. Ich sehe eigentlich nichts, was der Senat da unternimmt. Ich sehe jede Menge Feste und jede Menge Fotos davon, aber nicht das Bild, das den Senat zum Beispiel an einem Tisch mit polnischen oder türkischen Unternehmern zeigt.

In einem Standortvergleich liegt Berlin auf dem drittletzten Platz, nur noch vor Leipzig und Halle. Ist Berlin besonders wirtschaftsunfreundlich?

Die Schlüsselressorts, bei denen es um Arbeitsplätze geht – Wissenschaft und Wirtschaft – sind in der Hand der PDS. Die entwickeln hier nichts Zukunftsweisendes. Und die SPD kümmert sich scheinbar auch nicht drum. Eine moderne Verwaltung muss doch Wirtschaftsförderung aktiv betreiben. Andere Städte in dieser Republik machen das. In Köln gibt es eine Beratungsstelle, um EU-Gelder abzuschöpfen. Das ist doch keine Schande. Deutschland zahlt immerhin ein Viertel des EU-Haushalts. Aber dafür braucht man eine Institution, die einen berät. Bewerbungen um EU-Gelder sind komplizierter als jede Steuererklärung.

Wie müsste eine Verwaltung arbeiten, die Unternehmer nicht bremst, sondern ihnen hilft?

Aktives Tun ist der Punkt. Beratung anbieten, wie Auflagen eingehalten werden können, aktiv einwerben anstatt nur zu bremsen. Dazu muss man sich allerdings auch mal überlegen, wie Berlin vor dem Rest der Republik dastehen will.

Haben die Berliner den geforderten Mentalitätswechsel vollzogen und sehen, dass man nicht immer nur Geld ausgeben kann?

Die Leute haben akzeptiert, dass Standards gesenkt werden müssen und dass gespart werden muss. Aber Sparen allein reicht nicht. Es muss auch Werte und Ziele geben. Man muss sich doch überlegen, wo die Zukunft liegt und überlegen, wo man zum Beispiel bei der Bildung sparen kann und wo auf gar keinen Fall. Ich habe den Eindruck, dass immer ins Nichts hinein gespart wird.

Also ist es falsch, an der Bildung zu sparen?

Bildung ist ein Zukunftsthema – mit dem wir massive Probleme haben. Es wäre gut für Berlin, Modelle zu entwickeln und zu sagen: Wir machen vor, wie Bildung heute aussehen muss. Das fängt mit dem Ausgleich von sprachlichen Defiziten an – egal ob bei deutschen oder Einwandererfamilien. Dazu gehört die entsprechende Bildungsarbeit bis hin zu Kongressen, die bundesweit ausstrahlen. Berlin könnte eine Art Leuchtturm werden, an dem man sieht, was man in großen Städten anders machen kann. Jetzt komme ich endlich mal dazu, etwas Gutes zu sagen: Ich finde, dass Bildungssenator Klaus Böger einige gute Ansätze entwickelt hat. Weil er das sprachliche Problem erkannt hat, soll es die Verpflichtung zur Vorschule geben. Man muss daraus noch mehr machen, die Schule weiter reformieren. Es gibt aber noch ein zweites massives Problem: die Ernährung der Kinder und die chronischen Erkrankungen, die dadurch verursacht werden. Wenn man das weiß, muss man sich eben überlegen: Wo machen wir dafür Geld locker?

Im Haushalt wird es sich nicht finden.

Es gibt genug Institutionen, die Modellprojekte unterstützen würden, damit unsere Kinder topfit und gesund werden. Aber wir müssen auch überlegen, wie kommen wir zu Einnahmen, wo privatisieren wir weiter? Wir trinken hier Tee und Kaffee aus KPM-Geschirr. Ich bin denen sehr verbunden. Aber man kann nicht einen Landesbetrieb wie KPM über Jahrzehnte mit finanziellen Spritzen bedenken. Da muss auch die KPM so innovativ sein und sagen: Wenn es die Portemonnaies nicht gibt, die dieses teure Porzellan regelmäßig kaufen, müssen wir uns selber etwas überlegen.

Wie erfolgreich vertritt denn der Regierende Bürgermeister die Berliner Interessen auf der Bundes- und der Länderebene? Klaus Wowereit will, dass sich die Föderalismuskommission mit der Frage befasst, ob die Hauptstadtfunktion Berlins im Grundgesetz festgeschrieben wird.

Drittletzter beim Städteranking, Korruptionsprobleme wie nun auch wieder beim Tempodrom – die Begeisterung für die Hauptstadt und die Bereitschaft, sich zu engagieren, sind nicht gerade gewachsen. Warum sagt Wowereit nicht: Berlin wird eine Stadt ohne Korruption. Der Senat könnte erklären, Großprojekte nur noch gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation Transparency International zu machen. Auch das wäre ein Modellvorhaben, mit dem die Stadt ihr Ansehen verbessern und vom Filz-Image wegkommen könnte. Der grüne Fraktions-Chef im Abgeordnetenhaus Volker Ratzmann und ich haben vorgeschlagen, dass Berlin das Gesicht des föderalen Staates werden soll. Das ist etwas ganz anderes als Wowereits Ansatz. Ich würde mich jedenfalls nicht hinstellen und sagen: Die anderen Länder müssen endlich einsehen, was sie an uns Berlinerinnen und Berlinern und an ihrer Hauptstadt haben.

Sondern?

Es hat den Beschluss gegeben, dass Berlin Hauptstadt ist – und ihr sollt mitbestimmen und diskutieren, was euch diese Stadt wert ist. Was klassische Hauptstadtaufgaben sind und wie sie finanziert werden, wird über ein zustimmungspflichtiges Bundesgesetz geregelt. Das ist die Einladung zum Mitdiskutieren in der Föderalismuskommission. Wenn es da nicht geregelt wird, dann wird es über lange Jahre gar keine Regelung geben.

Können Sie sich für Berlin einen grünen Bürgermeister vorstellen?

Eines Tages wird es so weit sein. Logisch wäre es.

Wieso?

Weil wir die besseren Vorschläge für Berlin haben. Warum sollen die Grünen nur in Freiburg den Bürgermeister stellen. Übrigens ein gutes Beispiel – die Solarhauptstadt Deutschlands. Die haben etwas aus sich gemacht.

Regierende Bürgermeisterin von Berlin – wäre das etwas für Sie?

Ich hab’ hier meinen Traumjob gefunden und auf der Bundesebene noch einiges zu tun.

Trotzdem mischen Sie sich wieder stärker in Berliner Angelegenheiten ein. Warum?

Weil ich Berlinerin bin. Und weil ich langsam unruhig werde. Als Mitglied der Föderalismuskommission ist es übrigens geradezu meine Pflicht, über die Hauptstadt zu reden.

Die Grünen haben beim Verbraucherschutz Profil gewonnen, auch in der Familienpolitik. Wie wichtig sind diese Themen im Vergleich zu den klassischen grünen Thema, Frieden und Umwelt?

Umwelt, Verbraucherschutz, Kinder gehören zusammen. Diese Themen lassen sich kaum trennen. In allen drei Bereichen geht es um die Zukunft der Menschen und um Wirtschaftspotenziale. Da sind die Grünen verankert. Da wird ihnen auch viel zugetraut.

Man hat den Eindruck, dass der grüne Umweltminister Jürgen Trittin sich weder bei den Rußfiltern für Dieselautos noch in dem neuen Streit um Steuervergünstigungen für schwere Geländewagen durchsetzen kann. Wie bewahren Sie da Ihr Profil als Umweltpartei?

Da könnte ich noch zwanzig, dreißig Detailprobleme mehr aufzählen. Gerade die vergangenen Wochen haben jedoch gezeigt: wenn es ernst wird und der Wind von vorn kommt, stehen allein die Grünen für ökologische Modernisierung. Ich glaube, dass die Leute genau sehen, dass wir die zentralen Aufgaben anpacken. Schauen sie, was wir bei den erneuerbaren Energien geschafft haben. Wir wollen Biokraftstoffe fördern. Da schließt sich der Kreis mit der Frage: Was kann eine Großstadt dazu leisten? Man muss die neue Technologie entwickeln. Da gibt es jede Menge Forschungsprojekte. Und wer zuerst kommt, hat einen dauerhaften Vorteil.

Die Grünen werden in Berlin in absehbarer Zeit keine absolute Mehrheit bekommen und die SPD wird immer schwächer. Können Sie sich Schwarz-Grün vorstellen?

Im Augenblick habe ich wenig Lust, über Koalitionen zu diskutieren. Weil ich überhaupt nicht erkennen kann, wer da ein Konzept hat. Bei der Berliner CDU wüsste ich auch am wenigsten, wofür die überhaupt steht.

Sie haben aber doch in Berlin dasselbe strategische Problem wie im Bund. Ihr Koalitionspartner, die SPD, wird immer schwächer. Was heißt das für die Grünen?

Das heißt: Kämpfen, kämpfen, kämpfen. Ich glaube auch nicht, dass die grüne Stärke ein Ergebnis der sozialdemokratischen Schwäche ist. Wir profitieren im Augenblick von uns selbst. Es war wichtig und richtig, vor zwei Jahren ein Grundsatzprogramm zu beschließen. Da haben wir viele Auseinandersetzungen geführt, die andere jetzt diskutieren müssen. Etwa die Frage, was soziale Gerechtigkeit heute bedeutet. Es geht ja längst nicht mehr nur um Verteilungsgerechtigkeit, sondern auch um Gerechtigkeit zwischen den Generationen.

Trotzdem kommt Ihnen der Koalitionspartner abhanden.

Wir leisten gute Regierungsarbeit. Und wir gehen davon aus, dass auch der Koalitionspartner sich darauf vorbereitet, 2006 das Eisen wieder zu reißen.

Das Interview führten Werner van Bebber, Dagmar Dehmer und Gerd Nowakowski. Die Fotos machte Mike Wolff.

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