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Politik: Was wir wollen

Von Bas Kast

Es geht um uns. Was sie herausfinden, betrifft unser Innerstes, unser Denken, unsere Gefühle. Wir glauben, wir könnten freie Entscheidungen treffen. Sie sagen: Der freie Wille ist eine Illusion. Wir glauben, wir seien Herr unseres Ich. Sie sagen: Nicht das bewusste Ich, sondern unbewusste Kräfte steuern uns.

Sie – das ist eine Gruppe von Hirnforschern, die bis zu den molekularen Bausteinen unserer Identität vordringt. Je weiter sie kommen, umso mehr stellt sich heraus, wie oft uns der gesunde Menschenverstand täuscht. Vertraute Vorstellungen geraten ins Wanken.

Aber wenn unsere Willensfreiheit nur eine Illusion ist, die unser Gehirn uns vorgaukelt – was bedeutete das? Könnte man einen Verbrecher dann noch für seine Taten verantwortlich machen? Die Antworten fallenverschieden aus. Da sind die Skeptiker. Sie sagen: Die Hirnforscher verkünden vollmundig ihre Thesen – überzeugende Belege aber gibt es kaum, und somit keinen Grund zur Beunruhigung. Richtig ist, dass die Hirnforschung am Anfang steht. Der Großteil unserer grauen Masse ist nach wie vor eine terra incognita. Aus dieser Sicht erscheint eine skeptische Haltung vernünftig. Es wäre voreilig, tief greifende Änderungen für unsere Gesellschaft zu proklamieren auf Grund erster, unsicherer Erkenntnisse.

Auf der anderen Seite stehen die Überzeugten. Sie meinen: Die Erkenntnisse nehmen rasant zu, es bedarf nur noch einer Art Einstein des Bewusstseins, um die Puzzlesteine zusammenzufügen. Wir stehen kurz vor einer Revolution, die unser Menschenbild erschüttern wird. Die Vorboten zeichnen sich ab. Nehmen wir sie ernst! Mag sein, dass auch in dieser Haltung ein Quäntchen Wahrheit liegt. Das Problem ist nur: Wir können es nicht wissen, prinzipiell nicht. Da es in der Natur revolutionärer Entdeckungen liegt, dass sie uns unerwartet treffen, lässt sich auch hier nicht abschätzen, ob und wann uns das Unerwartete bevorsteht.

Wahrscheinlicher ist ein drittes Szenario. Es sieht, grob skizziert, so aus: Die Hirnforschung wird, als ein Wissenschaftszweig unter vielen, zu einigen Änderungen unseres Menschenbilds beitragen. Aber diese Veränderungen werden sich langsam vollziehen. Einen Einstein, der auf einen Schlag alles ändert, wird es nicht geben. Vieles spricht für diese Position. Immer mehr Hirnforscher selbst schließen sich ihr an. Sie sind, nach einer Periode der Euphorie, die sich nicht selten in Überheblichkeit steigerte, bescheidener geworden. Sie merken, dass sich die letzten Geheimnisse unseres Ich doch nicht so leicht knacken lassen. Vielleicht werden sich diese Rätsel namens Bewusstsein, Ich und freier Wille niemals restlos klären. Ungewöhnlich wäre das nicht. Selbst Einstein war weit davon entfernt, das Universum restlos erklären zu können. Und auch mit der Entdeckung der DNS-Doppelhelix haben Biologen das Mysterium Leben noch lange nicht vollkommen verstanden.

Und was ist mit den gesellschaftlichen Konsequenzen? Auch sie würden sich eher langsam entfalten. Sie müssen nicht nur negativ oder schockierend sein. So galten zum Beispiel schizophrene Menschen oder Epileptiker im Mittelalter als vom Teufel Besessene. Verrückt ist, was wir nicht verstehen. Insofern die Hirnforschung auch da zu mehr Verständnis beiträgt, liegt in ihr nicht nur das Potenzial einer Herabsetzung unseres Ich, sondern auch ihr Gegenteil: die Möglichkeit zu einem Hauch mehr Humanität.

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