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Politik: Was zählt, ist die Zählweise

Bei den Parlamentswahlen in Georgien befürchten Beobachter massive Wahlfälschungen / Für den Präsidenten geht es um die Wiederwahl

Beobachter rechnen nach den georgischen Parlamentswahlen am heutigen Sonntag mit allem. Einschließlich Ausnahmezustand, Einsatz von Militär und sogar Staatsstreich. Der Grund: massiver Wahlbetrug, wie ihn nicht nur die Opposition befürchtet, sondern auch die OSZE, die sich sonst mit derartigen Urteilen eher schwer tut. Die Organisation machte in Georgien und anderen Ex-Sowjetrepubliken im Transkaukasus – Aserbaidschan und Armenien – schon mehrfach die Feststellung: Wichtig war nicht, wie gewählt wurde, sondern wie gezählt wurde.

Für Georgiens Staatschef Eduard Schewardnadse verbindet sich mit der Parlamentswahl die einzige Chance, einen Machtwechsel zu verhindern. Bei den Wahlen werden die Weichen für die Präsidentschaftswahlen in eineinhalb Jahren gestellt: Georgiens 225 Volksvertreter haben größeren Einfluss auf die Politik als ihre Kollegen in Russland und den meisten anderen Staaten der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS.

Doch Umfragen unmittelbar vor dem Urnengang lassen befürchten, dass in dem einstigen Sowjet-Paradies – damals war die Republik eine der reichsten innerhalb der UdSSR – keine Partei eindeutige Mehrheiten hinter sich bringen kann.

Schewardnadses Block „Für ein neues Georgien“, dem zusehends die Wähler abhanden gekommen sind, bringt es nach den Prognosen auf gerade einmal 8,7 Prozent. Für die vier stärksten Oppositionsparteien wollen zwar insgesamt über 60 Prozent stimmen. Der kleinste gemeinsame Nenner der Präsidentengegner lautet „Georgien ohne Schewardnadse“, wie ein Wahlspot verkündet. Weiter geht die Gemeinsamkeit zwischen den Oppositionsparteien aber nicht, weil Ex-Parlamentschef Zurab Schwanija und Michail Saakaschwili, Chef des Stadtparlaments in der Hauptstadt Tiflis, gleichermaßen die Führung der Opposition für sich beanspruchen. Beide gehörten einst zu den Günstlingen von Schewardnadse, kündigten dem Präsidenten anschließend aber wegen dessen zunehmend autoritärem Führungsstil vor zwei Jahren die Gefolgschaft auf.

Zum Königsmacher könnte sich nach den Wahlen ein Provinzfürst aufschwingen – Aslan Abaschidse. Er verfügt über das Machtmonopol in Adscharien – einer Autonomie am Schwarzen Meer, wo ethnische Georgier muslimischer Konfession leben. Ob die voraussichtlich neun Prozent Stimmen seiner „Union für die Wiedergeburt Georgiens“ am Ende der Regierung oder der Opposition zufallen, hängt davon ab, wer Abaschidses Plänen für Sonderwirtschaftszonen am weitesten entgegenkommt.

Das gegenwärtige Parlament hatte in seltener Einmütigkeit von Regierung und Opposition eine entsprechende Vorlage erst im Mai abgeschmettert. Beide wollten damit weitere Absetzbewegungen der Region vom Zentrum stoppen, das Anfang der neunziger Jahre bereits die Kontrolle über die abtrünnige Schwarzmeerrepublik Abchasien und die Bergregion Südossetien verlor. Die Regierung drohte indes an, mit harter Hand auf etwaige Unruhen während oder nach der Wahl am Sonntag zu reagieren. „Der georgische Staat hat die Möglichkeiten und auch die Stärke, um im Notfall für Ordnung zu sorgen“, sagte Awtandil Dschorbenadse, Staatsminister im Range eines Regierungschefs.

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