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Andere Rollenverteilung. Ein afghanischer (oben) und ein US-Soldat bei einer gemeinsamen Patrouille. Künftig sollen die Nato-Truppen nur noch beraten. Foto: Shamil Zhumatov/Reuters

© REUTERS

Politik: Washington droht Kabul

Hamid Karsai soll den neuen Militärpakt sofort unterzeichnen – sonst ziehen die US-Truppen ab.

Der Ton der Unterhaltung, die am Montagabend im Präsidentenpalast in Kabul geführt wurde, sei diplomatisch und höflich gewesen, heißt es in Washington im Nachhinein. Zwei Stunden haben der afghanische Präsident, Hamid Karsai, und die nationale Sicherheitsberaterin von US-Präsident Barack Obama, Susan Rice, bei einem Dinner zusammengesessen und sich über das zwischen den beiden Staaten verhandelte Sicherheitsabkommen ausgetauscht. Doch in Washington weiß man: Wenn die Eskalationsstufe erreicht ist und Susan Rice anreist, dann ist die Zeit der Freundlichkeiten vorbei.

Die Botschaft, die Obamas Entsandte für ihr als kompliziert bekanntes Gegenüber im Gepäck hatte, ließ denn auch an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Die Vereinigten Staaten seien bereit, das bilaterale Abkommen jetzt zu unterschreiben, die Verhandlungen seien somit abgeschlossen – ungeachtet weiterer Forderungen von Karsai. Sollte der afghanische Präsident allerdings darauf bestehen, eine Unterzeichnung bis nach den afghanischen Wahlen im April 2014 hinauszuzögern, dann bliebe den USA wie auch der Nato keine andere Wahl, als die Truppen schon im Jahr 2014 komplett abzuziehen.

Nach Angaben des Weißen Hauses lehnte Karsai bei dem Arbeitsessen eine prompte Unterzeichnung dennoch ab und stellte stattdessen erneut Forderungen. Forderungen, die die USA nicht erfüllen werden können, wie beispielsweise die Überstellung der afghanischen Häftlinge aus dem US-Lager auf Guantanamo.

Der afghanische Präsident weiß, dass er zur Stabilisierung seines Landes weiterhin die Truppen im Land braucht. Er selbst hatte in einer Rede vor wenigen Tagen noch die Notwendigkeit des Abkommens deshalb zugegeben. Und dennoch sieht nun ein Krisenherd, der angesichts der Entwicklung in Syrien und der Fortschritte im Dialog mit dem Iran an internationaler Bedeutung verloren hatte, plötzlich wieder die Augen der Weltöffentlichkeit auf sich gerichtet. Könnte das Sicherheitsabkommen scheitern und Afghanistan an Stabilität verlieren? Die Geduld der USA kennt Grenzen, bis Ende des Jahres, also in gut vier Wochen, meinen Beobachter, müsse ein Abkommen geschlossen sein. Die zentrale Frage in diesem politischen Verwirrspiel scheint deshalb nun, welche Rolle Karsai bei dem Abkommen zu spielen bereit sein wird.

Die Forderungen des afghanischen Präsidenten sind altbekannt, im Verhandlungsmarathon um die künftige Rolle der US-Kräfte in Afghanistan sind sie nicht der entscheidende Faktor. Sie dienen einer weiteren Hinauszögerung eines Abkommens, das im Land nicht nur bei den Taliban auf Widerstand stößt. In der vergangenen Woche hat zwar bereits die Loja Dschirga, die große Ratsversammlung, der Vereinbarung zugestimmt und dem Präsidenten damit den dringend nötigen Rückhalt beschert. Doch noch immer zögert der Präsident. Karsai könnte die Unterzeichnung des Abkommens einem möglichen Nachfolger überlassen, interpretieren Beobachter. Der afghanische Präsident sei sehr auf seinen Platz in den Geschichtsbüchern bedacht – und eine eilfertige Unterschrift könnte ihm die Rolle eines Erfüllungsgehilfen Amerikas zuschreiben. Noch weiter ins Reich der Psychologie reicht eine andere Interpretation: Karsai genieße die Aufmerksamkeit, die ihm die Verhandlungen derzeit zuteilwerden ließen. Er werde die Chance nutzen und weitere Zeichen der Wertschätzung aus den USA einfordern.

Sollte Karsai jedoch darauf spekulieren, dass er am Ende noch Barack Obama im Präsidentenpalast in Kabul wird empfangen können, dann dürfte er sich vermutlich verrechnet haben. Obamas Vorgehen, das haben die Worte von Susan Rice deutlich gemacht, ist ein anderes: Er setzt auf Erpressung. Denn nichts anderes ist Rice’ Drohung, die Truppen komplett abzuziehen. Karsai weiß, dass die USA im Zweifel zu diesem Schritt bereit sind.

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