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Politik: Wechsel an der Weichsel

Am Sonntag wählen die Polen ein neues Parlament. Von Wahlfieber ist wenig zu spüren.

Am Sonntag wählen die Polen ein neues Parlament. Von Wahlfieber ist wenig zu spüren. Die Mehrheit der politikmüden Polen wird den Wahlurnen fernbleiben. Während die Linke um ihre parlamentarische Zukunft bangt, sind Probleme für eine neue Rechts-Koalition trotz des erwarteten Wahlsiegs programmiert.

Auf der Zielgeraden des müden Stimmenstreits steigt selbst Polens Präsident in die Wahlkampfbütt. Das Land drohe politisch aus der Balance zu geraten, begründet der offiziell parteilose Staatschef Aleksander Kwasniewski, warum er seinen krisengeschüttelten Ex-Genossen der sozialdemokratischen SLD im Endspurt des Wahlkampfs zur Seite steht: Im Sejm müsse die Linke auch künftig eine „ausgleichende Rolle“ spielen.

Zur Sorge hat der im Herbst abtretende Landesvater allen Grund. Hatte die von ihm mitbegründete SLD bei den Wahlen vor vier Jahren mit 42 Prozent der Stimmen noch einen überwältigenden Triumph errungen, droht der Regierungspartei nach einer endlosen Kette von Skandalen der Absturz ins Nichts. Ein deutlicher Wahlsieg der bürgerlichen Opposition gilt bei dem Urnengang am Sonntag als sicher. Begeisterung kann die Aussicht auf ein Comeback der vor vier Jahren abgewählten Rechten indes beim ermatteten Wahlvolk kaum entfachen: Es wird mit einer Wahlbeteiligung von deutlich unter 50 Prozent gerechnet. „Guten Tag, ich möchte mich für die Sünden meiner Vorgänger entschuldigen“, wirbt der neue SLD-Chef Wojciech Olejniczak reumütig in 8,5 Millionen Tonbandtelefonaten für seine Partei. Doch die durch Affären und Parteispaltung geschwächte SLD muss trotz der Trennung von ihrer diskreditierten Führungsriege um ihre parlamentarische Zukunft bangen. Denn seit ihr Präsidentschaftskandidat Wlodzimierz Cimoszewicz vergangene Woche entnervt das Handtuch warf, sind die Umfragewerte der verjüngten SLD erneut am Sinken. Den nationalistischen Eiferern der rechtsklerikalen LPR und der Bauernprotestpartei Samoobrona ist der Wiedereinzug in den Sejm hingegen sicher. Ihr Aufstieg scheint allerdings gestoppt: Auf Zugewinne wie bei der Europawahl können die Populisten kaum mehr hoffen.

Von Anfang an stand der fast ausschließlich über die Medien geführte Wahlkampf im Schatten der im Oktober steigenden Präsidentschaftskür. Ihre Präsidentschaftsanwärter dienten den großen Parteien denn auch als die eigentlichen Zugpferde im Parlamentswahlkampf. Den heftig schwankenden Meinungsumfragen zufolge können die Wunschkoalitionäre der rechtsliberalen PO und der nationalkonservativen PiS gemeinsam mit satten 60 Prozent der Stimmen rechnen. Spannung kommt nur bei der Frage des Kräfteverhältnisses der lange nahezu ebenbürtigen Partner auf. Die meisten der keinesfalls zuverlässigen Wahlprognosen sehen die PO vorn. Die PiS hat in den letzten Tagen zwar aufgeholt. Doch die größten Hoffnungen auf das Premieramt hegt nach wie vor PO-Spitzenkandidat Jan Rokita.

Thomas Roser[Warschau]

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