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Politik: Wegen Überfüllung geschlossen

Britische Gefängnisse sind voll – deshalb will Innenminister Reid nur Schwerverbrecher in Haft nehmen

Großbritanniens Gefängnisse sind zum Bersten voll. Was aber nichts daran ändert, dass der Hof-Korrespondent des britischen Boulevardblatts „News of the World“ hinter Gitter muss: Weil er die Mailbox von Prinz William, der Nummer zwei in der britischen Thronfolge, abhörte, wurde der Reporter Clive Goodman zu einer Strafe von vier Monaten Gefängnis verurteilt. Zwei Pädophile hingegen wurden in Großbritannien am Freitag auf Bewährung freigelassen: ein Nutzer illegaler Pornoseiten im Internet und ein Mann, der wegen Sexualstraftaten mit Minderjährigen verurteilt worden war. Auch für einen Drogenhändler war keine Zelle mehr frei.

Wegen der Überbelegung der britischen Gefängnisse werden seit Wochen Häftlinge notdürftig in Polizeirevieren untergebracht, andere vorzeitig freigelassen. Aber als in der vergangenen Woche die Zahl der Insassen in den britischen Gefängnissen auf 80 0000 stieg, musste Innenminister John Reid die Alarmglocke läuten: In einem Schreiben erinnerte er die Richter des Landes daran, dass Haftstrafen nur für die schwersten Straftaten und die gefährlichsten Verbrecher wirklich zwingend seien.

Das britische Massenblatt „Sun“ rief am nächsten Tag in gewohnter boulevardesker Manier zur landesweiten Suche nach dem „verlorenen“ Gehirn des Innenministers auf. Richter beriefen sich bei milden Urteilen auf das Schreiben Reids. „Gerichtsurteile werden nun von der Kapazität der Gefängnisse diktiert“, kritisierte Schatteninnenminister David Davies. Der „Daily Telegraph“, die Stimme der konservativen Opposition, forderte Premier Blair am Samstag zum Rücktritt auf: „Um unserer und um ihretwillen – treten sie ab.“

Reid steht so stark unter Druck wie seit Jahren kein Innenminister. Am Samstag wurde bekannt, dass Beamte versäumten, die Reisepässe aus der Haft entlassener Drogenhändler einzuziehen – und ein neuer Sturm brach los.

Allerdings steht nicht nur Reid, sondern die gesamte Politik der Labour-Regierung zur Verbrechensbekämpfung in der Kritik. Die Blair-Regierung kommt dabei von zwei entgegengesetzten Seiten unter Beschuss. Konservative werfen dem Premier vor, nach seinem Amtsantritt den Bau neuer Gefängnisse gestoppt zu haben. Damit sei die Überbelegungs-Krise vorhersehbar gewesen. Andere sehen Labours Politik zur Verbrechensbekämpfung nun an ihrem Populismus scheitern. Immer mehr vergleichsweise geringfügige Vergehen werden mit Gefängnis bestraft, statt die Möglichkeit zur Rehabilitierung zu nutzen, lautet die Kritik. Nirgendwo in Europa werden so viele Straftäter eingesperrt, aber die britischen Gefängnisse tun immer weniger für Fortbildung und Rehabilitierung.

Am Freitag trat der Direktor der Jugendgerichte, Rod Morgan, aus Protest zurück. Er kritisiert, dass mehr und mehr Jugendliche wegen Bagatellfällen, die man früher informell behandelte, ins Strafsystem hineingezogen werden. In drei Jahren stieg die Zahl der betroffenen Jugendlichen um 26 Prozent.

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