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Weltpolitik: Warum Europa von den USA abhängig bleibt

Angela Merkel distanziert sich offen von Donald Trump und will die Beziehungen zu China, Lateinamerika und Indien stärken. Doch Europa bleibt auf absehbare Zeit auf die USA angewiesen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Was für eine Woche! Die Kanzlerin erklärt den USA unter Donald Trump öffentlich das Misstrauen und fordert mehr europäische Eigenverantwortung. Sie trifft Indiens Premier Narendra Modi, der schwärmt, man sei „wie geschaffen füreinander“. Sie trifft Chinas Premier Li Keqiang und bekennt sich gemeinsam mit ihm zum Multilateralismus. Trump steigt aus dem Pariser Klimaabkommen aus, was Li an der Seite der EU in Brüssel scharf kritisiert.

Die Weltpolitik verschiebt sich - und auch wieder nicht

Man könnte das so lesen: Es war eine Woche, die im Zeitraffer gezeigt hat, wie sich die Weltpolitik verschiebt. Trumps Absage an internationale Kooperation ist eine machtpolitische Entleibung. Die Welt wendet sich mit Grausen ab und wird in neue Allianzen getrieben. Das europäisch-asiatische Zeitalter beginnt.

Doch zunächst bleibt diese Lesart eine Projektion – die Beschreibung einer möglichen und sehr weit entfernten Zukunft. Blickt man zunächst auf das Heute, klaffen die Bekenntnisse zur Neuordnung der Welt auf der Ebene der Staatenlenker und die alltägliche Realität weit auseinander. Ein paar Hierarchiestufen unter Trump und Merkel nämlich laufen die transatlantischen Beziehungen unverändert gut. Innerhalb der Nato, berichten Beobachter aus Thinktanks, habe sich an der Zusammenarbeit eigentlich wenig verändert, abgesehen davon, dass auf US-Seite immer noch einige Stellen unbesetzt sind. Auch auf diplomatischer Arbeitsebene ist offenbar wenig Veränderung zu spüren an der Bereitschaft der amerikanischen Seite, sich in Umwelt-, Wirtschafts- und Wissenschaftsfragen auszutauschen. Jürgen Hardt, Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, sagt, in Washington sei die Offenheit für Gespräche weiterhin überaus groß. Und Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries, die in der vorvergangenen Woche in die USA reiste, vereinbarte eine gemeinsame Initiative mit US-Handelssekretär Lightizer – um China zu faireren Handelsbedingungen zu bewegen.

Ein militärisch eigenständiges Europa bleibt auf absehbare Zeit eine Utopie

Um zu sehen, wie utopisch hingegen eine von den USA unabhängige EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist, reicht ein Blick in die Zahlen. Die EU27 geben nur halb so viel für Verteidigung aus wie die USA. Experten wie Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik meinen: Autonomie wird Europa in absehbarerer Zeit nicht erlangen.

Die neuen Partner wiederum sind keine einfachen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Chinas Ministerpräsident Li machten beim Abschluss des EU-China-Gipfels keinen Hehl aus ihren Meinungsverschiedenheiten. Europäische Unternehmen fühlen sich in China weiter benachteiligt – von Differenzen in Wertefragen ganz zu schweigen.

Dennoch liegt in den zarten Anfängen der Neuordnung der Welt eine Chance für Europa. Der Druck, solidarisch zu handeln – ohnehin seit Russlands Krim- Annexion groß – steigt durch Trumps Abkehr vom Multilateralismus. Es ist vernünftig, dass sich Europa um den Ausbau anderer Handelspartnerschaften bemüht, solange Trump mit Importzöllen droht. Doch die europäisch-asiatischen Beziehungen als Ersatz für die europäisch-amerikanischen zu sehen, hieße, sich auf Trumps Denken einzulassen und die Welt als Nullsummenspiel zu betrachten. Das ist sie nicht. Im besten Fall könnten die USA von einem gestärkten Europa mit guten Beziehungen zu China und Indien profitieren.

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