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Politik: Wende im Stasi-Streit?

Behörde könnte für Forscher-Vorwürfe haften.

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Berlin - Im Streit um eine angebliche Stasitätigkeit des Bonner Ehepaars Barbara und Werner Deuling vor dem Hamburger Landgericht zeichnet sich eine Weichenstellung ab, die auch für andere vergleichbare Verfahren bedeutsam sein kann. Nach Angaben eines Sprechers erwägt das Gericht derzeit, den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht abzugeben. Derzeit würden Stellungnahmen der Parteien dazu abgewartet, ein Beschluss sei allerdings noch nicht getroffen, hieß es am Montag. Eine Verweisung des Streits hätte zur Folge, dass sich die Stasi-Unterlagenbehörde direkt vor Gericht zu verantworten hätte – und nicht, wie im bisherigen Verfahren, allein der Stasi-Forscher Helmut Müller-Enbergs als Privatperson.

Müller-Enbergs hatte in einer Veröffentlichung, die im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit entstanden und von der Stasiunterlagenbehörde herausgegeben worden war, formuliert, dass die inoffiziellen Mitarbeiter (IM) „Bob“ und „Petra“, die zahlreiche Berichte aus Vorstand und Fraktion der SPD an die Stasi-Hauptverwaltung Aufklärung geliefert hatten, von der Stasi mit dem Ehepaar Deuling in Verbindung gebracht werde. Barbara und Werner Deuling haben hingegen eidesstattliche Versicherungen abgegeben, dass sie „zu keiner Zeit bewusst oder gewollt mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zusammengearbeitet“ hätten. Sie klagten vor dem Hamburger Gericht auf Unterlassung.

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, hatte sich aus dem Rechtsstreit zurückgezogen. Wer im dienstlichen Auftrag tätig sei, habe „jederzeit und selbstverständlich“ die volle Unterstützung der Behörde, sagte Jahn dem Tagesspiegel. „Aber wir hatten uns als Behörde angesichts der juristischen Lage in diesem Fall entschieden, die geforderte Unterlassungserklärung zu akzeptieren. Wenn ein Wissenschaftler sich entscheidet, privat einen anderen Weg zu gehen, dann darf ich ihn als Behördenleiter gar nicht unterstützten, das verbietet das geltende Recht.“ Genau diese rechtliche Ausgangsbasis könnte sich für die Behörde nun ändern, wenn das Verfahren tatsächlich vor einem Verwaltungsgericht ausgetragen würde. Zu dieser Möglichkeit wollte sich die Behörde jedoch nicht äußern. Bislang sei dazu kein offizielles Schriftstück bei der Behörde eingegangen, sagte eine Sprecherin auf Anfrage.

Behördenchef Jahn weist den vor allem in Wissenschaftlerkreisen erhobenen Vorwurf zurück, er verweigere einem seiner renommiertesten Mitarbeiter die Unterstützung. „Ich knicke nicht vor der Justiz ein, und ich verweigere auch keine Schützenhilfe“, sagte er. Aber man müsse Fälle immer in aller Konkretheit betrachten. Dieser Fall sei in einem anderen Verfahren „schon bis in die letzte Instanz durchgefochten“ worden, und die Entscheidung der Gerichte sei gewesen, dass eine solche Tatsachenbehauptung nicht erfolgen dürfe. „Vor diesem Hintergrund gilt es für mich, sorgsam mit den Ressourcen unserer Behörde umzugehen und nicht in einen Rechtsstreit zu ziehen, der sich wiederholt“, sagte er.

Zahlreiche Wissenschaftler hatten sich mit Müller-Enbergs solidarisiert und ihn mit Spenden für die Prozesskosten unterstützt. Forscher und Publizisten befürchten, dass die öffentliche Nennung von Klarnamen von Stasi-Mitarbeitern, die in Aufarbeitungskreisen für unabdingbar erachtet wird, durch Jahns Verzicht auf eine juristische Auseinandersetzung einen Rückschlag erleiden könnte.

J. Müller-Neuhof/M. Schlegel

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