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Politik: Wenig Teilnehmer, aber zufriedene Gesichter

Heute geht das zweite Sozialforum Deutschland in Cottbus zuende. Vor allem die Jüngeren blieben ihm diesmal fern

„Arm trotz Arbeit“, schreit es den Teilnehmern des Sozialforums Deutschland in schwarzen Lettern von einem roten Container entgegen. Die Gewerkschaft Verdi, neben Attac Deutschland einer der größeren Akteure des Forums, hat ihn vor der Stadthalle Cottbus aufgestellt. Es ist bereits das zweite Mal, dass in Deutschland ein nationales Sozialforum stattfindet. Es versteht sich als Teil des internationalen Sozialforumsprozesses. Seit im Jahr 2001 das erste Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre stattfand, haben zahlreiche weitere Foren auf regionaler und lokaler Ebene stattgefunden. Die Teilnehmer aus dem linkspolitischen Spektrum hatten dementsprechend globale Themen wie Frieden, soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz oder Europa ausgewählt, um sie auf der lokalen Ebene zu bearbeiten.

Doch es fehlten die Aktivisten: im Stadtbild, in den großen Konferenzsälen, deren Plätze zum Großteil frei blieben und auch bei der Demonstration am Samstag durch die Cottbusser Innenstadt. Waren beim ersten Sozialforum in Erfurt noch 3500 Menschen gekommen, um den Slogan „Eine andere Welt ist möglich“ inhaltlich zu füllen, kamen diesmal nach Veranstalterangaben etwa 1500 Menschen zusammen. Gerade die Jüngeren, die in Heiligendamm die Straßen blockiert hatten, blieben tendenziell fern. Zu teuer die Miete und Anfahrt für die Referenten, zu weit weg, zu wenig links, zu wenig Presse, meinten Kritiker. Dies hielt die Anwesenden aber nicht ab, in mehr als 150 Konferenzen, Seminaren und Workshops zu lernen und zu disktutieren. Die friedenspolitisch Engagierten kritisierten mit einer Resolution die „Aufrüstungspläne im Rahmen des EU-Reformvertrags“. Erwerbslose diskutierten über politische Strategien für Langzeitarbeitslosigkeit jenseits der 55 und gegen die Ausweitung von Ein-Euro-Jobs. Aber auch mit den Kohlekraftwerken der Lausitz, der Bildungspolitik in Cottbus oder neuen politischen Aktionsformen setzten sich einige auseinander.

Veranstalter Hugo Braun gewann der Lage in Cottbus viel Positives ab: Cottbus liege zwar nicht mitten in Deutschland, aber mitten in Europa. „Die Solidarität mit dem Osten ist in der globalisierungskritischen Bewegung bislang etwas vernachlässigt“, meinte er. Tatsächlich war in vielen Seminaren die flüsternde Simultanübersetzung für die anwesenden Polen und Tschechen zu hören, viele von ihnen Gewerkschaftler oder Kriegsgegner.

Bei einem Brainstorming zum „Global Action Day“, dem internationalen Tag der Sozialforumsbewegung, schneite dann auch der Brasilianer und Gründervater des Weltsozialforums Chico Whitaker herein. Die fünfzehn Aktivisten aus lokalen Sozialforen diskutierten gerade das Grundproblem der sozialen Bewegungen: Wie kann man ein möglichst breites Forum für politische Anliegen aller Art bieten, ohne andererseits durch die thematische Zerfaserung die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu verlieren? Da sprach der Brasilianer in langsamem Portugiesisch: „Das Forum ist ein offener Raum, in dem sich so viele unterschiedliche Gruppen wie möglich präsentieren und miteinander vernetzen sollen. Das ist ein fortlaufender Prozess.“

Trotz des Teilnehmermangels waren am Ende des Wochenendes viele zufriedene Gesichter zu sehen. Auch für Dorothea Härlin, die sich in der internationalen Wasserbewegung engagiert,war die ruhige Stimmung des Sozialforums kein Manko: „Hier findet man Menschen, mit denen man die ganz konkrete und kleinpuzzelige Arbeit in den Kommunen tun kann. Und das macht für mich die sozialen Bewegungen aus.“

Lu Yen Roloff[Cottbus]

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