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Strahlend. Behälter mit hoch radioaktiven Abfällen (hinten) im Zwischenlager. Foto: dpa

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Politik: Weniger Mädchen rund um Gorleben Niedersachsen kündigt weitere Studien an

Seit im Zwischenlager Gorleben hoch radioaktiver Atommüll eingelagert worden ist, sind im Umkreis der Anlage deutlich weniger Mädchen zur Welt gekommen als früher. 1995 begann die Einlagerung von Castorbehältern ins Zwischenlager Gorleben.

Seit im Zwischenlager Gorleben hoch radioaktiver Atommüll eingelagert worden ist, sind im Umkreis der Anlage deutlich weniger Mädchen zur Welt gekommen als früher. 1995 begann die Einlagerung von Castorbehältern ins Zwischenlager Gorleben. Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt sind seither in der Umgebung der Anlage zu wenige Mädchen zur Welt gekommen. Das geht aus einem noch unveröffentlichten Bericht des niedersächsischen Landesgesundheitsamtes hervor. Die Studie bestätigt damit weitgehend vorangegangene Untersuchungen einer Wissenschaftlergruppe des Helmholtz-Zentrums München.

Von 1991 bis 1995 wurden dem Gesundheitsamt zufolge in einem 35-Kilometer-Umkreis um die Atomanlagen auf 100 Mädchen 101 Jungen geboren, von 1996 bis 2009 verschob sich das Verhältnis auf 100 Mädchen zu 109 Jungen. Für die gesamte Bundesrepublik gilt ein statistischer Wert von 105 Jungen zu 100 geborenen Mädchen.

Die vom Amt untersuchte Region umfasst Dörfer und Kleinstädte in vier Bundesländern. Damit gebe es nunmehr einen „unabhängigen Nachweis, dass um das Transportbehälterlager Gorleben Verschiebungen im sekundären Geschlechterverhältnis seit 1996 zu beobachten sind“. Einen Beweis, dass die von Castorbehältern ausgehende Strahlung die Veränderungen verursacht hat, sieht das Gesundheitsamt allerdings damit nicht als erbracht an. Das Zwischenlager Gorleben war zuletzt wegen erhöhter Radioaktivitätswerte in den Schlagzeilen. Der für November geplante Castortransport aus Frankreich steht deshalb infrage.

Die Helmholtz-Wissenschaftler sind dagegen überzeugt, dass radioaktive Strahlung das Geschlechterverhältnis beeinflussen kann. Das Team fand nämlich heraus, dass auch in der Umgebung anderer Atomanlagen weniger Mädchen geboren werden als statistisch zu erwarten wären. So sei etwa in Remlingen in der Samtgemeinde Asse, dort liegt das marode „Versuchsendlager“ für schwach und mittel radioaktiven Atommüll, der Jungenanteil unter den geborenen Babys „extrem überhöht“. So betrug in der Betriebsphase des Atommülllagers Asse in den 70er Jahren das Verhältnis 142 Jungen zu 105 Mädchen. Dem offiziellen Krebsregister zufolge erkrankten in der Gemeinde Asse zwischen 2002 und 2009 zudem zwölf Männer und sechs Frauen an Leukämie – doppelt so viele wie im statistischen Durchschnitt.

Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurden in den von der radioaktiven Wolke am meisten betroffenen Gebieten Zehntausende Mädchen „zu wenig“ geboren. Dieser Anstieg sei „proportional zu der Fall-out-Menge“, also der Menge radioaktiver Partikel, die in einer Region abgelagert wurden, sagt Ralf Kusmierz, einer der Autoren der Helmholtz-Studie. Deshalb sei es „höchstwahrscheinlich so, dass die radioaktiven Emissionen dazu führen, dass weibliche Embryonen absterben. Also es gibt sozusagen nicht mehr Jungen, sondern weniger Mädchen“.

Die Linksfraktion im niedersächsischen Landtag wertet die im Raum Gorleben gewonnen Erkenntnisse als besorgniserregend. Umweltexperte Kurt Herzog fordert, die radiologische Überwachungspraxis einer genauen Prüfung zu unterwerfen. Offensichtlich reiche es nicht aus, den größten Teil der Überwachungsmessungen den Betreibern der Atomanlagen und -lager zu überlassen. „Dieser Effekt der niedrigeren Geburtenraten von Mädchen im Umfeld von Atomanlagen wird von den Wissenschaftlern eindeutig festgestellt, nicht nur um Gorleben, sondern zum Beispiel auch um das Atomkraftwerk Krümmel“, sagt Herzog. Die lapidare Aussage von Betreibern und Aufsichtsbehörden zu dem Thema lautet: Die Strahlenbelastung gebe dafür keine Erklärung, sei angesichts der Fakten auch nicht zu akzeptieren. Die niedersächsische Landesregierung reagierte am Mittwoch und kündigte an, sie wolle weitere Studien dazu in Auftrag geben.

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