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Politik: Weniger wird mehr

Sächsische Gemeinden schrumpfen – Ministerpräsident Milbradt sieht darin eine Chance, die Lebensqualität zu verbessern

Von Michael Schmidt

In Sachsen stehen 400 000 Wohnungen leer. Schuld ist der demografische Wandel. Denn im Freistaat kommt zum allgegenwärtigen Geburtendefizit die Abwanderung nach Westen. Vor allem die jungen Frauen gehen, die gut Ausgebildeten und jene, die einen Job suchen.

1990 hatte Sachsen fünf Millionen Einwohner. 2020 werden es voraussichtlich nur noch 3,8 Millionen sein. Mit regional sehr unterschiedlichen Folgen: Die großen Städte Dresden, Leipzig, Chemnitz wachsen. Der Rest schrumpft. Und altert. 2004 schon hatte Sachsen mit 44,4 Jahren den höchsten Altersdurchschnitt aller Bundesländer. Bis 2020 wird er auf 49 Jahre steigen. Dann wird jeder dritte Einwohner 65 Jahre oder älter sein.

Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) will aus der Not eine Tugend und den Freistaat zum Pionier im Umgang mit dem demografischen Wandel machen. Denn die Folgen sind unvermeidlich – allein für Kindergärten und Schulen, denen die Kinder ausgehen, für Betriebe, denen Auszubildende fehlen werden, oder für die Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur in einem sich entsiedelnden Land. Vor zwei Jahren hat Milbradt eine Expertenkommission ins Leben gerufen, die im November ihre Ergebnisse vorlegen wird. Alle Investitionen, sagt er, müssten schon daraufhin überprüft werden, ob sie die absehbaren demografischen Veränderungen genügend berücksichtigen. Im Koalitionsvertrag haben sich CDU und SPD auf den Rückbau von 250 000 Wohnungen verständigt.

2002 wurde für die neuen Länder ein Programm „Stadtumbau Ost“ aufgelegt. Es läuft bis 2009 und ist mit 2,5 Milliarden Euro ausgestattet. Davon kommt eine Milliarde vom Bund. Mit der Hälfte der Mittel wird der Rückbau leer stehender Wohnungen gefördert. Mit der anderen die Aufwertung betroffener Stadtteile, um die Wohnqualität zu erhöhen. Es geht um die Anpassung des Wohnungsbestandes an die tatsächliche Nachfrage, das heißt: Rückbau. Und um die qualitative Weiterentwicklung der bestehenden Quartiere. Milbradt spricht von der „Demografiedividende“, dem Zugewinn an Lebensqualität in den verbleibenden Vierteln.

Dabei ist ihm klar, dass Rückbau nur ein anderes, vermeintlich harmloseres Wort für Abriss ist, für das Verschwinden von Wohnungen, das Auslöschen von Quartieren, das Einstampfen ganzer Viertel. Und welch schwierige Aufgabe es ist, den Menschen zu vermitteln, dass ihr Zuhause dem Erdboden gleich gemacht und sie mehr oder weniger zwangsweise umgesiedelt werden sollen. Vor allem ist es mit dem Beschluss zum Abriss nicht getan. Oft beginnen dann erst die Probleme – mit Folgen für die technische wie für die soziale Infrastruktur eines Viertels, erläutert die Oberbürgermeisterin von Schwarzenberg im Erzgebirge, Heidrun Hiemer. Weniger Wohnungen, weniger Bewohner heißt zum Beispiel beim Trinkwasser: Die Durchflussmenge sinkt, das Wasser steht zu lange in der Leitung und verkeimt. Schwarzenberg ist Teil einer Modellregion, die erprobt, was „gesundschrumpfen“ in der Praxis bedeutet. Weniger Wohnungen, so Hiemer, heißt, dass technische Infrastruktur, Wasser-, Gas- oder Stromleitungen, Telekommunikationseinrichtungen aufwendig angepasst werden müssen. Dann kommt hinzu, dass sich das soziale Umfeld ändert: Kultur- und Freizeiteinrichtungen machen dicht. Kinos, Theater, Schulen, Kindergärten, Läden schließen. Zentrale Versorgungsfunktionen wie Post, Bank, Ärzte konzentrieren sich an anderen Orten.

Für Milbradt heißt das: „Wir müssen das Verfassungsgebot gleichwertiger Lebensverhältnisse neu interpretieren.“ Will sagen: Der jetzige Lebensstandard ist nicht überall zu halten. Aber er will die Zukunft nicht schwarz malen. Die skandinavischen Länder seien noch viel weniger dicht besiedelt und da gebe es keine massenhafte Abwanderung. Alles eine Frage der Organisation also.

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