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Politik: „Wenn das Licht ausgeht, töten wir“

Wie der Kinderarzt Leonid Roschal die Geiselnahme von Beslan erlebte

Der Kinderarzt Leonid Roschal hat schon viele Krisenherde dieser Welt erlebt. Doch wenn er vom Geiseldrama in Beslan spricht, ringt er um Fassung. Der 71-jährige Russe hat den Terror in der Schule aus nächster Nähe gesehen und mit den Geiselnehmern gesprochen. Jetzt reist er durch Europa, um der Welt seine Sicht der Ereignisse zu schildern. Das ist auch im Interesse der russischen Regierung - die Botschaft in Berlin flog ihn eigens zum Petersburger Dialog nach Hamburg ein.

Mit einem Geiselnehmer stand Roschal über Handy in Kontakt. Als die Terroristen hörten, dass die Behörden von nur 350 Geiseln sprachen, reagierte sein Gesprächspartner sofort: „Er sagte: Wenn hier Lügen verbreitet werden, dass nur so wenige Leute hier sind, fangen wir an, Geiseln zu töten.“ Roschal verteidigt die Angaben der Behörden. Es sei schwer gewesen, sich einen Überblick zu verschaffen.

Die Geiselnehmer waren von Anfang an nervös: „Sie haben gesagt: Wenn die Telefone abgeschaltet werden, töten wir. Wenn das Licht ausgeht, töten wir. Wenn Einsatzkräfte dem Gebäude zu nahe kommen, töten wir.“ Die Geiselnehmer drohten nicht nur: Sie ermordeten 21 Männer und warfen die Leichen aus den Fenstern.

Am wichtigsten war es Roschal zunächst,Wasser ins Gebäude zu bringen, Lebensmittel, Medikamente. Selbst die Geiselnehmer im Moskauer Theater „Nord- Ost“, wo der Arzt auch vermittelte, hatten ihm dies erlaubt. Die Terroristen in Beslan blieben hart. Auch freies Geleit lehnten sie ab. Sie wollten nur eines: Hochrangige Politiker sollten kommen, etwa der Tschetschenienberater von Präsident Putin, Aslachanow. „Bringen Sie uns Aslachanow, den Präsidenten von Nordossetien und den Präsidenten von Inguschetien, dann reden wir.“

Es ärgert Roschal, wenn Medien spekulieren, der Sturm könne geplant gewesen sein. „Es gab keine Erstürmung. Das war ein Unglück“, sagt er immer wieder. Die Geiselnehmer gestatteten die Leichenbergung. Zudem sollten Rettungskräfte einen toten Terroristen in die Schule tragen. Als sie herauskamen, gab es im Obergeschoss zwei Explosionen. Kinder und Erwachsene flohen, die Terroristen feuerten auf sie. Ein Mädchen wurde getötet, als es aus einem Fenster klettern wollte.

Den Einsatz der Sicherheitskräfte verteidigt der Arzt gegen jede Kritik. „Wenn Sie eine Waffe in der Hand haben und sehen, wie Kinder getötet werden: Was würden Sie tun?“ Die Eliteeinheit „Alpha“ kam erst dazu, als der Schusswechsel schon begonnen hatte. „Viele von ihnen sind ohne kugelsichere Weste losgerannt, als sie sahen, was passierte.“ Dies ist allerdings ein Zeichen dafür, dass bei dem Einsatz einiges schief gelaufen ist. „Ein furchtbares Durcheinander brach plötzlich über alle herein.“

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