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Oft werden nötige Maßnahmen in Kliniken vergessen - auch das sind Behandlungsfehler.

© Tsp

Mehr als 4000 Behandlungsfehler allein 2014: Wenn der Arzt sein OP-Tuch vergisst

Die gemeldeten Fälle von Behandlungsfehlern nehmen zu. Ursache könnten Stress und Kommunikationsmängel in den Kliniken sein. Die Krankenkassen fordern Zentralregister

Bei einer – eigentlich lange geplanten – Operation wird ein Tuch in der Bauchhöhle des Patienten vergessen. Einem anderen Patienten setzen Chirurgen nach einem Schlüsselbeinbruch eine Stützplatte ein – doch die ist zu kurz, der Patient wird nach monatelangen Schmerzen erneut operiert. Beim Abtasten erkennt ein dritter Arzt einen Knoten in der Brust seiner Patientin – vergisst aber, die Frau wegen Tumorverdachts zur Mammografie zu schicken. Das sind drei von 4282 in 2014 durch die gesetzlichen Krankenkassen festgestellten Behandlungsfehler: 1294 Patienten haben deswegen Dauerschäden, 155 starben an den Folgen der falschen Therapie. In fast 3000 Fällen wurde die Schuld beteiligter Ärzte nachgewiesen.

Ein Drittel der Fehler bei OPs, ein Viertel schon beim Befund

Zunächst wurden 2014 bei den Kassen bundesweit 14 663 Behandlungsfehler registriert – etwas mehr als 2013. Weil die Kassen die Versorgung ihrer Versicherten bezahlen, überprüfen deren regional tätigen Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) auch mögliche Behandlungsfehler. In jedem vierten Fall stellten Gutachter tatsächlich Falschbehandlungen fest. Ein Drittel der Fehler passiert demnach bei einer Operation, ein Viertel bei der Erhebung des Befundes, acht Prozent bei der Pflege – oft werden Maßnahmen unterlassen, andere kämen zu spät. Meist in Kliniken, wo ohnehin oft Stress herrscht.

Zu diesen Zahlen kommen pro Jahr allerdings noch rund 2000 für begründet erklärte Beschwerden von Patienten bei den ebenfalls regionalen Ärztekammern, die über die Berufsstandards der Zunft wachen. Zudem landen weitere Fälle gleich bei Gerichten und Haftpflichtversicherungen. Da 70,5 Millionen Bundesbürger gesetzlich versichert sind, gelten die MDK-Zahlen zwar als Gradmesser. Doch weil Patienten eben auch andere Wege gehen, dürften sich 2014 schätzungsweise bis zu 7000 Behandlungsfehler bestätigt haben.

Fehlerquote dennoch klein? Allein 19 Millionen Klinikbehandlungen im Jahr

„In jedem Fall gibt es zudem eine hohe Dunkelziffer“, sagte Stefan Gronemeyer am Mittwoch in Berlin. Gronemeyer ist Mediziner und Vize-Geschäftsführer des MDS, des Spitzenverbands der regionalen MDK. Bekannt würden nur wenige Fälle, etwa weil Patienten sie gar nicht als Behandlungsfehler erkennen: Während Schmerzen nach einer missglückten Operation oft eindeutig seien, könnten Laien das Verschreiben falscher Arzneien kaum beurteilen. „Die wissen nicht“, sagte Gronemeyer, „dass die Medikamentenkombination zu ihrem Nierenversagen geführt hat.“ Nach wie vor gilt das deutsche Gesundheitswesen als eines der weltweit besten. Und die Fehlerquote ist bei fast 19 Millionen Behandlungen pro Jahr allein in den Kliniken gering. Man rechne künftig aber mit mehr Beschwerden, sagte Gronemeyer, eine „neue Sicherheitskultur“ entstehe allenfalls gerade erst. Seit 2013 gilt das Patientenrechtegesetz, das Kassen verpflichtet, Versicherte bei Ansprüchen nach Fehlern zu unterstützen. Gronemeyer forderte wie in den USA ein Zentralregister darüber, wie viele Patienten tatsächlich Opfer von Behandlungsfehlern geworden seien. So lasse sich durch Vergleiche aus Fehlern lernen.

Bei der AOK, der größten Krankenkasse in Berlin und Brandenburg, berät ein eigenes Team die Versicherten, sollten sie den Verdacht haben, in einer Praxis oder Klinik falsch behandelt worden zu sein: 2014 habe man 529 Patienten aus Berlin und 315 aus Brandenburg beraten, teilte die AOK mit, 80 Prozent der Fälle wurden dem MDK zur Begutachtung vorgelegt.

Wie im Bundesschnitt bezogen sich auch in Berlin die meisten Vorwürfe auf Fälle aus der Chirurgie, Orthopädie, inneren Medizin und Zahnmedizin. In 666 Fällen haben die regionalen MDK-Prüfer 2014 tatsächlich Behandlungsfehler festgestellt, 455 davon waren schuldhaft verursacht worden.

Überlange Arbeitszeiten und ständiger Leistungsdruck

Am Mittwoch hatte der Berliner MDK auch Walter Schaffartzik, ärztlicher Leiter des Unfallkrankenhauses Berlin, eingeladen. Schaffartzik führte aus, was auch die Analysen aus anderen Städten ergaben: Oft folgen Behandlungsfehler nicht aus Verstößen einzelner Ärzte, sondern sind Folge falscher Kommunikation und schlecht organisierter, komplexer Abläufe in den Kliniken. Dazu passt, dass 65 Prozent der Fehler in Krankenhäusern festgestellt wurden. Das weiß man unter Ärzten und Pflegern, zumal die Arbeitsbedingungen in den Kliniken wieder stärker diskutiert werden.

Zwar liege die Fehlerhäufigkeit im Promillebereich, sagte Andreas Crusius, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer, dennoch: „Jeder Fehler ist einer zu viel.“ Man müsse aber das Gesundheitswesen als Ganzes betrachten: „Überlange Arbeitszeiten und ständiger Leistungsdruck erhöhen die Fehlerwahrscheinlichkeit.“ Dazu, inwiefern der oft festgestellte Personalmangel auf den Stationen konkret Fehler begünstige, äußerten sich die MDK-Experten am Mittwoch nicht. Der Berliner MDK kooperiert seit vergangenem Jahr mit dem Unfallkrankenhaus und den Kliniken Frankfurt (Oder) und Brandenburg (Havel). Bei Fortbildungen in den Häusern sollen fehleranfällige Abläufe identifiziert werden.

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