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Der syrische Außenminister Walid al-Muallim.

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Update

Wenn der Westen in den Bürgerkrieg eingreift: Syrien droht mit Vergeltung

Am Donnerstag stimmt das britische Parlament über einen Militärschlag gegen das Assad-Regime ab. Gleichzeitig laufen in den USA die Vorbereitungen für Angriffe auf Ziele in Syrien und auch der französische Präsident Hollande droht, Syrien zu "bestrafen". Syrien beantwortet das mit eindeutiger Rhetorik.

Wegen des mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatzes im Syrien-Konflikt hat der britische Premierminister David Cameron eine Sondersitzung des Parlaments angesetzt. Das Unterhaus werde am Donnerstag über die Antwort Großbritanniens auf den Chemiewaffeneinsatz abstimmen, erklärte Cameron am Dienstag über den Kurznachrichtendienst Twitter. Ein Sprecher Camerons hatte zuvor gesagt, die britischen Streitkräfte arbeiteten an Plänen für einen möglichen Militäreinsatz gegen Syrien.

Die syrische Regierung will im Fall eines militärischen Eingreifens von außen entschieden zurückschlagen. „Wir werden uns verteidigen“, sagte Außenminister Walid al-Muallim in Damaskus. Dazu stünden militärische Mittel zur Verfügung, welche die Welt „überraschen“ würden. Syriens mächtigster Verbündeter Russland warnte vor einem Militäreinsatz ohne UN-Mandat. Dieser werde „neues Leiden in Syrien verursachen und hätte katastrophale Folgen“ für die Region, erklärte ein Sprecher des Außenministeriums. Russland hat im UN-Sicherheitsrat ein Vetorecht. Der Iran, ein weiterer enger Partner Syriens, warnte ebenfalls vor einem westlichen Eingriff, der die „Sicherheit und Stabilität“ der Region gefährde.

Die USA haben kaum noch Zweifel am Einsatz von Giftwaffen durch die syrische Regierung. „Für jemanden, der das logisch betrachtet, sollte es keine Zweifel geben“, sagte der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Jay Carney, am Dienstag. Noch diese Woche sei mit der Veröffentlichung der Geheimdiensterkenntnisse zu dem Vorfall zu rechnen. Obama berate derzeit mit seinem Nationalen Sicherheitsteam, dem Kongress und Alliierten über eine Antwort auf diese „eklatante Verletzung internationaler Normen“. Noch sei eine Entscheidung aber nicht gefallen. Aber „es muss eine Antwort geben“, sagte Carney.

US-Präsident Barack Obama gehe davon aus, dass die zur Verantwortung gezogen werden müssten, die “die abscheulichsten Waffen der Welt gegen die verletzlichsten Menschen der Welt“ einsetzten, sagte US-Außenminister John Kerry am Montagabend. Obama wolle vor einer Entscheidung über eine Reaktion mit Verbündeten sprechen. Die Beweise, dass Giftgas genutzt worden sei, seien unstrittig, sagte ein Sprecher des Präsidialamtes. Bei dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Vororten der Hauptstadt Damaskus waren am vergangenen Mittwoch Hunderte Menschen ums Leben gekommen. Auch die britischen Streitkräfte bereiten bereits Notfallpläne für einen Militäreinsatz als Antwort auf den Chemiewaffeneinsatz in Syrien vor. Das gab die britische Regierung am Dienstag bekannt.

Auch Frankreich erwägt Militäreinsatz

Auch Frankreich ist nach den Worten von Präsident François Hollande bereit, die Verantwortlichen des mutmaßlichen Chemiewaffen-Einsatzes in Syrien zu „bestrafen“. In einer außenpolitischen Rede bei einer Botschafterkonferenz am Dienstag in Paris hob der Staatschef hervor, das „Massaker“ an Zivilisten dürfe nicht ungesühnt bleiben. Alles deute darauf hin, dass die syrische Regierung für diese „schändliche Tat“ verantwortlich sei. Zugleich kündigte er an, dass das Verteidigungskabinett seiner Regierung am Mittwoch zusammenkommen werde und das Parlament bald informiert werde. Die Entscheidung über ein militärisches Eingreifen werde „in den kommenden Tagen“ fallen, sagte Hollande.

Nähere Angaben zu einer französischen Beteiligung an einem möglichen Militärschlag gegen Syrien machte Hollande nicht. Mit Blick auf den mutmaßlichen Chemiewaffen-Einsatz verwies er aber auf eine UN-Übereinkunft, dass es eine „Verantwortung zum Schutz von Zivilisten“ gebe. „Frankreich hat sich dazu entschlossen, überall seiner Verantwortung nachzukommen, für sich selbst und für den Rest der Welt“, erklärte der Präsident. Zuvor hatte er angekündigt, die militärische Unterstützung für die wichtigste syrische Oppositionsgruppe, die Nationale Koalition, auszuweiten.

Die USA könnten nach Informationen des US-Sender NBC bereits ab diesem Donnerstag mit Raketenangriffen auf Syrien beginnen. Das hätten namentlich nicht genannte ranghohe Regierungsbeamte in Washington mitgeteilt, berichtete NBC am Dienstag. Die Angriffe würden sich über drei Tage erstrecken und seien in ihrem Umfang begrenzt. Sie sollten eher als Warnung an das Regime von Machthaber Baschar al-Assad dienen und nicht seine militärischen Kapazitäten dezimieren. Der Donnerstag sei als frühestmöglicher Zeitpunkt genannt worden, nachdem Präsident Barack Obama mit Führern anderer Nationen telefoniert habe.

Langstreckenbomber könnten von Kriegsschiffen aus starten

Die “Washington Post“ berichtete bereits Details zu einer möglichen militärischen Intervention der USA. Diese könnte nur ein bis zwei Tage dauern, hieß es unter Berufung auf hochrangige Regierungskreise. Obama prüfe einen Militärschlag, dessen Umfang und Dauer begrenzt wären und die USA nicht tiefer in den syrischen Bürgerkrieg hineinziehen würde. Wie das Blatt weiter berichtete, hängt die Umsetzung des Plans von drei Faktoren ab: Der Abschluss der Geheimdienst-Ermittlungen zu dem mutmaßlichen Angriff nahe Damaskus, die Beratungen mit den Verbündeten und dem US-Kongress sowie das Vorhandensein einer juristischen Grundlage auf der Basis des internationalen Rechts. Ausgeführt werden sollte der Angriff mit von Kriegsschiffen abgefeuerten Marschflugkörpern oder Langstreckenbombern. Richten sollte sich die Attacke gegen militärische Ziele, die nicht direkt zum Chemiewaffen-Programm des Landes gehörten. Kriegsschiffe der US-Marine mit Marschflugkörpern befinden sich bereits im Mittelmeer.

Experten gehen davon aus, dass ein militärisches Eingreifen wohl erst nach der Ausreise der UN-Chemiewaffeninspekteure aus dem Land erfolgen würde.

Friedenskonferenz zu Syrien verschoben

Die Syrien-Krise belastet jedoch zunehmend die internationalen Beziehungen. So wurde eine internationale Friedenskonferenz zu Syrien von den USA unter Berufung auf “andauernde Beratungen“ über die Frage verschoben, wer für den mutmaßlichen Giftgasangriff verantwortlich ist. Die russische Regierung bedauerte die Verschiebung. “Es wäre besonders wichtig, die politischen Grundlagen für eine Lösung in Syrien zu einem Zeitpunkt zu legen, zu dem die Drohung mit einem Militärschlag über dem Land liegt“, erklärte der russische Vize-Außenminister Gennadi Gatilow per Twitter. Russland gehört zu den engsten Verbündeten Assads und macht die Rebellen für den Angriff verantwortlich.

Derzeit ermitteln Chemiewaffenexperten der Vereinten Nationen vor Ort, was am Mittwoch geschehen ist. Bereits am Montag habe das Team „wertvolle Daten“ zu den Giftgas-Vorwürfen gesammelt. Das UN-Team war zu Beginn ihres Einsatzes am Montag unter Beschuss von Heckenschützen geraten. Ihr Konvoi wurde beschossen, als die Fahrzeuge die imaginäre Frontlinie passierten. Rebellen berichteten, regierungstreue Milizen hätten vom Messe- Militärflughafen aus das Feuer auf das UN-Team eröffnet.

Der ehemalige UN-Chefwaffeninspekteur Hans Blix vermutet Assads Truppen hinter dem mutmaßlichen Giftgasangriff der vergangenen Woche. „Die Indizien sprechen derzeit eher dafür, dass es einen Chemiewaffeneinsatz gab, hinter dem die Regierung in Damaskus steckt“, sagte Blix dem Tagesspiegel. Gleichzeitig warf er den USA, Großbritannien und Frankreich angesichts eines möglichen Militäreinsatzes vor, im Syrien-Konflikt die Rolle „einer Art Weltpolizei“ spielen zu wollen, anstatt den UN-Sicherheitsrat einzuschalten. „Eine einmütige Verurteilung durch den UN-Sicherheitsrat und eine verstärkte Anstrengung, auf dem Weg über Friedensgespräche zu einer Übergangsregierung in Syrien zu kommen, wäre besser“, sagte Blix weiter.

Arabische Liga verurteilt die Angriffe als "furchtbares Verbrechen"

Die Arabische Liga hat die syrische Führung beschuldigt, für den mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz in der vergangenen Woche verantwortlich zu sein. Die Führung in Damaskus trage die „volle Verantwortung“ für den Angriff vom 21. August, hieß es in einer Erklärung des Staatenbundes nach einer Sondersitzung am Dienstag in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Die Verantwortlichen seien „Kriegsverbrecher“ und müssten vor ein internationales Gericht gestellt werden. In der Erklärung verurteilten die Vertreter des Staatenbundes die Angriffe als „furchtbares Verbrechen“, das mit „international verbotenen Chemiewaffen ausgeführt“ worden sei. Bei den schweren Angriffen im Großraum Damaskus wurden am vergangenen Mittwoch nach Darstellung der Opposition mehr als 1300 Menschen getötet worden sein. Derzeit sind UN-Experten im Land, um Beweise für den Einsatz von Chemiewaffen zu sammeln. Mehrere westliche Staaten erwägen eine militärische Antwort auf den Einsatz der geächteten Waffen im syrischen Bürgerkrieg.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hatte davon berichtet, dass bei dem Angriff am vergangenen Mittwoch binnen weniger Stunden mehrere Tausend Menschen mit Symptomen einer Nervengasvergiftung in Krankenhäuser eingeliefert worden seien, Hunderte starben. Die Rebellen sprechen von bis zu 1300 Toten. Es wäre der schwerste Angriff mit Giftgas seit 1988, als der damalige irakische Präsident Saddam Hussein mit derartigen Waffen Tausende Kurden getötet hatte.

US-Außenminister John Kerry: Assad-Regime vernichtet Beweise

Die USA könnten Luftangriffe von Flugzeugträgern aus koordinieren.
Die USA könnten Luftangriffe von Flugzeugträgern aus koordinieren.

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US-Außenminister John Kerry beschuldigte die Regierung Assad, mit der Bombardierung der Vororte, in denen möglicherweise das Gas eingesetzt wurde, Beweise zu vernichten. Anwohner berichteten, dass der Bombenbeschuss nur wenige Stunden nach der Abfahrt der UN-Inspekteure wieder aufgenommen wurde. “Das ist nicht das Verhalten einer Regierung, die nichts zu verstecken hat“, sagte Kerry. Die Waffenexperten könnten allenfalls beweisen, dass Chemiewaffen eingesetzt worden seien, aber nicht, wer sie eingesetzt habe. Allerdings sei es die Regierung Assad, die derartige Waffen besitze und auch die Möglichkeiten habe, sie zu nutzen. Die Regierung in Washington verfüge über zusätzliche Informationen zu dem Angriff und werde diese bald veröffentlichen, sagte Kerry weiter.

In Israel deckten sich unterdessen viele Menschen mit Gasmasken ein. Sie befürchten, dass bei einem Militärschlag auf Syrien sich die Regierung mit einem Angriff auf das Nachbarland Israel rächt, wie es Saddam Hussein beim zweiten Golfkrieg 1991 getan hatte. Dem Bericht der “Washington Post“ zufolge würde ein möglicher Angriff der USA mit Marschflugkörpern von See aus oder durch Langstreckenbomber erfolgen. Ziele wären Armee-Einrichtungen, die nicht direkt in Verbindung mit dem Chemiewaffen-Arsenal des Landes stehen.

Reaktionen aus Deutschland

Der Grünen-Verteidigungsexperte Omnid Nouripur schloss eine Beteiligung Deutschlands an einem Militäreinsatz nicht aus, wenn ein entsprechender Beschluss der Vereinten Nationen vorliege. “Das ist die Grundvoraussetzung, über die man erst einmal reden muss“, sagte er der ARD.

Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, lehnte hingegen eine militärische Intervention eindeutig ab. „Wir wären nicht nur nicht dabei, sondern wir würden wirklich Proteste dagegen organisieren“, sagte er. Riexinger forderte, deutsche Soldaten und Patriot-Raketen aus der Türkei abzuziehen. „Würde ein Angriff von der Türkei auf Syrien gestartet, wären wir kriegsbeteiligt“, warnte er. Der Linke-Politiker setzt auf politische Lösungen wie Waffenembargos und Friedenskonferenzen sowie auf humanitäre Hilfe vor Ort.

Einer Umfrage zufolge lehnt eine klare Mehrheit der Deutschen einen Militärschlag ab. Nur 23 Prozent der Befragten seien für ein militärisches Eingreifen des Westens in Syrien, berichtete der “Stern“ am Dienstag unter Berufung auf eine Umfrage des Forsa-Instituts. 69 Prozent lehnten eine Intervention ab. Die Stimmung in Deutschland ähnelt damit der in den USA: Einer Reuters-Umfrage vom Wochenende zufolge lehnen etwa 60 Prozent der US-Bürger einen amerikanischen Angriff auf Syrien ab. Nur neun Prozent der Befragten plädierten für eine Intervention. Das Forsa-Institut befragte für die Studie nach Angaben des “Stern“ am 26. August 502 Bürger.

Polizeigewerkschaft fürchtet bei Syrien-Intervention Anschläge

Eine militärische Intervention des Westens in Syrien könnte nach Einschätzung des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, eine Welle von Terrorakten weltweit auslösen. Zwar sei die deutsche Zurückhaltung hinsichtlich einer Beteiligung zu begrüßen und liege in der Tradition deutscher Bündnispolitik der vergangenen Jahrzehnte, sagte Wendt gegenüber Handelsblatt Online. „Das bedeutet aber nicht, dass Deutschland als Freund und Partner der USA und treuer Bündnispartner in der Nato von Terroristen geschont würde, wenn es dazu käme, Ziele für Vergeltungsanschläge zu suchen.“ Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, forderte seine Partei auf, „sich in der Syrienfrage der Wirklichkeit zu stellen“. „So wie sich die USA positionieren, wird es mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu mindestens punktuellen militärischen Aktionen kommen“, sagte Arnold den „Stuttgarter Nachrichten“.

Wenn sich herausstelle, dass die Führung unter Präsident Baschar al-Assad durch den Einsatz von Giftgas das Völkerrecht massiv gebrochen habe, „dann gilt die Schutzverpflichtung der Staatengemeinschaft“, sagte Arnold. Er rechne allerdings nicht damit, dass bei einem militärischen Einsatz des Westens in Syrien aktive militärische Leistungen von Deutschland verlangt würden.

Während sich die USA auf einen Militäreinsatz in Syrien vorbereiten, sorgen Berichte über die frühere amerikanische Beteiligung an Chemiewaffenangriffen des Iraks für Aufsehen. Nach einem Artikel des renommierten Außenpolitik-Magazins „Foreign Policy“ hätten die Amerikaner im irakisch-iranischen Golfkrieg 1988 Giftgasangriffe des Iraks auf den Iran nicht nur geduldet, sondern sogar mit strategischen Informationen über iranische Truppenbewegungen unterstützt. Das Magazin bezieht sich auf bisher unveröffentlichte Dokumente des US-Geheimdienstes CIA, die ein neues Licht auf die Rolle der USA bei diesen Angriffen würfen.

Die Iraker hätten bei vier Angriffen in dem Jahr Senfgas und das Nervengift Sarin eingesetzt und dabei auf Satellitenbilder, Karten und andere Informationen der USA zurückgegriffen. „Die Angriffe haben geholfen, den Krieg zum Vorteil des Iraks zu drehen und den Iran an den Verhandlungstisch zu bringen“, schreibt „Foreign Policy“. Die Regierung des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan habe die Angriffe verschwiegen, die viel schlimmer gewesen seien als der jüngste in Syrien mit Hunderten Toten, so das Magazin. (AFP/dpa/Reuters)

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