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Wolfgang Schäuble: Wenn die Gefühle kommen

Er war immer hart. Nicht zuletzt gegen sich. Brutal war er nie, deswegen ist er nicht Kanzler. Im Herbst der Entscheidungen wirkt er aber so, erst recht seit dem Vorfall mit seinem Sprecher. Dabei war er nie weicher. Zu Besuch bei Wolfgang Schäuble.

Er weiß es. Natürlich weiß er es, er ist ja nicht blöd. „Net blöd“, würde Wolfgang Schäuble in seinem badisch gefärbten Deutsch sagen, das gemütlich klingt, irgendwie liebenswürdig. Was ja ein falscher Eindruck sein kann. Wer Schäuble das sagt, der bekommt nur dieses schiefe Lächeln zur Antwort, halb mokant, halb genant. Denn natürlich spielt das an auf das, was war; mehr als eine Anspielung braucht es nicht bei ihm, dessen Kosmos der Kopf ist.

Zu Besuch bei einem, der eigentlich nicht auszog, andere das Fürchten zu lehren, sondern dem Land zu dienen. Ihm seinen letzten großen Dienst zu erweisen, so alt, wie er jetzt ist, 68. So denkt er, nur sagt Schäuble es nicht so, er mag dieses Pathetische gar nicht, dieses Aufgeladene, er mag sowieso nicht, wenn d’ Leut’ so viel reden, „schwätzen“, sollen sie doch lieber auf den Punkt kommen und sich vorher überlegen, was zu tun und was zu sagen ist. Das war bei ihm übrigens schon immer so, auch schon als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion unter Alfred Dregger, was ungefähr gefühlte hundert Jahre her ist.

Er hat damals, nach der „Wende“ 1982 in Bonn von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl, für Kohl und mit Kohl die Fraktion führen sollen, an Dregger vorbei. Da blieb nicht viel Zeit fürs Feuilleton oder netten Plausch. Schäuble sitzt immerhin seit 1972 im Bundestag, kam damals mit Franz Müntefering von den Sozialdemokraten; aber das ist eine andere Geschichte.

Wie also Wolfgang Schäuble jetzt seinen Pressesprecher behandelt hat, so kalt und hart und ätzend ironisch – das war alles andere als liebenswürdig. Da konnte man sich plötzlich auch ganz gut vorstellen, wie der Jogi Löw, der Badener Landsmann aus Freiburg, seine Nationalspieler anzischt, hinter geschlossenen Türen. Aber eben hinter geschlossenen Türen, nicht in aller Öffentlichkeit, dass es die Zuschauer frösteln lässt und nicht nur den Boulevard darüber räsonieren, ob der Bundesminister der Finanzen, der Vetominister der Regierung, der Schatzkanzler sich selbst noch so im Griff hat, dass man ihm das Amt zutrauen und anvertrauen kann.

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Der Vergleich mit Löw ist was für Schäuble, den Fußballfan, allerdings vom FC Bayern, wo es noch härter zugeht. Er versteht schon, ja, ja, sagen seine Miene und der geneigte Kopf. Keine Frage, so etwas macht man nicht, das sowieso nicht; und man macht es doch nie, dass alle zuschauen können. Hunderttausende Clicks auf das Video von der Veranstaltung bei Youtube – dem Minister muss kein Sprecher diese Zahl sagen, er weiß sie. Er weiß auch das.

So viele Menschen meinen, Wolfgang Schäuble zu kennen. So viele Jüngere kannten ihn nicht. Nicht so. Die sich jetzt ein Bild von ihm machen durch den Schnipsel auf Youtube, die werden zu einem Urteil kommen, das ihn abschreibt. So wie Franz Josef Wagner in der „Bild“- Zeitung: Schäuble, der Menschen der Lächerlichkeit preisgibt, der Wut in seiner „gemeinsten Weise“ exekutiert. Und die anderen, die ihn zu kennen glauben, weil sie noch eine Erinnerung an ihn haben im Amt des Fraktionsvorsitzenden, die werden sich bestätigt fühlen. Das war damals, Mitte der 90er Jahre, als er für Kohl als Fraktionschef nach Dregger die winzige Mehrheit im Bundestag zusammenhalten musste und wieder keine Zeit hatte fürs Feuilleton und netten Plausch, weil er jeden Dienstag in der Fraktionssitzung einen kleinen Parteitag im Zaum halten musste, mit Abgeordneten, die sich über ihn, den Binnenkanzler, aufregten und eigentlich den Bundeskanzler meinten, sich das aber nicht zu sagen trauten, weil der noch viel härter sein konnte. Und vor allem richtig nachtragend.

Er war immer so – und nie so. Er wirkte nur hart. Macht macht hart, und je mehr Macht man hat, desto härter macht sie. Manche, nicht alle, und viele in der Politik. Wer in die Politik geht und keine Macht haben will, wer sie, wenn er sie dann nach vielen Kämpfen endlich hat, nicht ausüben kann oder will, der kommt in ihr um. Das klingt brutal? Das ist es auch, das ist das politische Geschäft. Die Zuschauer sehen nur einen Ausschnitt, heute, in Zeiten von Youtube, allerdings mehr denn je. Wenn Helmut Kohl seinerzeit im Umgang mit engen Mitarbeitern gefilmt worden wäre oder Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder oder Joschka Fischer oder Wolfgang Clement oder Peer Steinbrück oder gar Otto Schily … das wäre eine Geschichte geworden: eine großer Demütigungen. Und ein noch größerer Renner im Internet.

Politik ist eben auch so, wie sich Klein-Fritzchen Politik vorstellt. „Machtmenschen müssen hart und rücksichtslos sein, gegen sich selbst und andere“, schreibt Thomas Steg, lange Jahre Vizeregierungssprecher zu rot-grünen und schwarz-roten Zeiten, im „Handelsblatt“. Doch „abseits der Öffentlichkeit entlädt sich gelegentlich die Anspannung. Dann werden schon einmal Referenten, Büroleiter oder Sprecher, also servile Mitarbeiter und Unterlinge aus dem engsten Arbeitsumfeld, geschurigelt, in den Senkel gestellt, zusammengestaucht und für Fehler verantwortlich gemacht, selbst wenn andere sie begangen haben“.

Schäuble war immer auch so wie die – und zugleich nie so. Er war schon vor dem Attentat und dem Rollstuhl ein Kopfmensch, beherrscht vom Denken, darunter auch dem Gedanken der Überlegenheit. Aber den hat er, aus Klugheit, höchstens auf Parteitagen in Reden öffentlich ausgestellt, sonst, wenn er hart wurde, hinter geschlossenen Türen im Büro oder im Fraktionssaal. Nie so, so öffentlich, nie. Und nie brutal. Könnte er brutal sein, wäre Kohl schon Mitte der 90er kein Kanzler mehr gewesen; er hätte ihn ablösen können. Aber er konnte nicht. Darum ist es so: Dieses Bild, das die Menschen, die ihn nicht kennen, sich jetzt von ihm machen – er wird es sich als allerletzter verzeihen. Was heißt: nie.

Denn er wirkt doch plötzlich so, wie er sich nach diesen Wochen der Krankheit gar nicht mehr fühlt, so schwach, so wie das Opfer einer institutionalisierten Überforderung. Es gehe ihm jetzt viel besser, erzählt Schäuble, er nimmt auch wieder zu, zehn Kilo hatte er verloren, es geht wieder aufwärts, gar so hager schaut er auch nicht mehr aus, nicht wahr? Wie die Hemdkragen um ihn herumschlotterten, er weiß, wie das aussah, nur waren das die Muskeln, die ihm fehlten, weil er so lange liegen musste. Normalerweise trägt er die Größe 44/45, als Rollstuhlfahrer hat er am Nacken diese vielen Muskeln, da braucht man diese Größe. Und wie Schäuble das alles erzählt, so gelassen, so entspannt vor aufgeräumtem Schreibtisch – da könnte man meinen, es komme alles wieder in Ordnung.

Und jetzt, kommt es jetzt wieder in Ordnung? Schäuble kann schweigen, dass es eine Pein wird. Manchmal ist es besser, zu schweigen, wo Worte alles zerstören würden. Kein Mensch badet im selben Fluss zum zweiten Mal, sagt der Grieche Heraklit. Das muss ihm keiner sagen, das weiß er doch auch. Natürlich hat er sich verändert, haben ihn die Zeiten verändert. Spricht er nicht immer badischer? Aber nein, härter ist er nicht geworden. Was er nicht öffentlich sagen würde, niemals bestätigen: Er ist eher weicher geworden, und anfällig für Gefühle.

Dass, zum Beispiel, Angela Merkel ihm jetzt schon mehrmals gesagt hat, dass ein Rücktritt, den er auch schon mehrmals angeboten hat, nicht infrage kommt, berührt ihn sehr. Dass die Kanzlerin sogar seine Frau angerufen hat, damit die ihm das ausredet – ja, das weiß er auch. Und seine Augen sind blank. Ein tiefes Gefühl von Respekt und Wertschätzung steht plötzlich im Raum.

Trotzdem muss Wolfgang Schäuble die Dinge jetzt in Ordnung bringen. Schnell. Mit Michael Offer, dem Sprecher, hat er gesprochen, nicht nur ein Mal. Er hätte es schon lange tun sollen, dem Sprecher sagen sollen, dass sie beide nicht zusammenpassen. Der eine redet eben mehr als der andere. Aber Schäuble hätte reden sollen, wo er geschwiegen hat, weil er nicht so hart sein wollte. Genau umgekehrt ist es gewesen, nicht wie das Bild von ihm auf Youtube. Eine Ironie dieser Geschichte ist das. Die andere ist doppelt ironisch. Er hatte seinem Sprecher vorhergesagt, wie es kommen werde, dass er die Zahlen für die Journalisten über die Steuerschätzung nicht rechtzeitig bereit haben werde. Schäuble hatte eine Wette darauf angeboten. Wie er halt so ist. Und hat recht bekommen.

So, und jetzt muss er weitermachen. Muss der FDP – nur nicht Rainer Brüderle, der hat es verstanden – erklären, dass die Reform der Kommunalfinanzen alles das sein könnte, was sie will, Freiheit und Wettbewerb und Steuersenkung. Und den Amerikanern, dass sie den Markt nicht mit Geld fluten dürfen, weil das die Welt zu viel kostet. Das erwartet die Kanzlerin auch von ihm. Und sie will er nicht enttäuschen. Fürs CDU-Präsidium, hat sie gesagt, soll er auch wieder kandidieren.

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