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Politik: Wer bezahlt digitale Kopien?

Gegen die geplante EU-Richtlinie laufen Lobbyisten SturmVON MARIA JANSENWer studieren wollte, wie Lobbyismus in seiner aufdringlichsten Form funktioniert, mußte zuletzt zur EU-Kommission nach Brüssel schauen.Dort stapeln sich Briefe mit fast identischem Inhalt.

Gegen die geplante EU-Richtlinie laufen Lobbyisten SturmVON MARIA JANSENWer studieren wollte, wie Lobbyismus in seiner aufdringlichsten Form funktioniert, mußte zuletzt zur EU-Kommission nach Brüssel schauen.Dort stapeln sich Briefe mit fast identischem Inhalt.Absender sind Telekomunternehmen, Kabelnetzbetreiber, Internet-Service- und Access-Provider aus der ganzen Welt.Sie verlangten, die Verabschiedung der "EU-Richtlinie zum Urheberrecht und verwandten Schutzrechten in der Informationsgesellschaft" vorerst auszusetzen.Und hatten dabei vorerst Erfolg.Im Oktober hatte die federführende Generaldirektion XV das Papier den anderen Dienststellen zur Stellungnahme zugeleitet.Aber erst heute steht die Besprechung des Entwurfs auf der Tagesordnung der EU-Kommission.Auf den Weg gebracht werden soll die europäische Gesetzgebungsinitiative, die klären wird, wer für den erwarteten Boom digitaler Kopien urheberrechtlich geschützter Werke zur Kasse gebeten werden kann.Zudem wird geklärt, ob sich künftig ein Privatmensch strafbar macht, wenn er bedenkenlos einen Cartoon oder einen Videoclip aus dem Internet kopiert oder der Freundin den neuesten Lovesong mailt.Zum Ärger der Lobbyisten sollen Autoren, Verleger und Produzenten dieser Werke dabei nicht leer ausgehen.Denn der Richtlinienentwurf unterstützt Modelle, bei denen Pauschalabgaben erhoben werden auf Datenautobahnen, Speicherhardware und allen erdenklichen Errungenschaften zur digitalen Vervielfältigung von Kulturgütern.Daß dies bei der Industrie kaum auf Begeisterung stößt, war zu erwarten.Beachtenswert ist jedoch die Vehemenz, mit der Unternehmen wie Netscape, Nokia, Philips International und Telekomgesellschaften sich dagegen auflehnen.Der "unausgewogene" Entwurf sei "eine bedeutende Gefahr für die digitalen Möglichkeiten", formulieren die Konzerne.Er blockiere den zügigen Aufbau der Infrastruktur und damit die wirtschaftliche Zukunft ­ so wird mit Kanonen auf diejenigen geschossen, die das Urheberinteresse auf angemessene Entlohnung im Blick haben.Nach wie vor und trotz Milliardengewinnen pochen die Telekomunternehmen und Provider auf ihre Rolle als schützenswerte Schlüsselindustrie.In Brüssel finden sie Gehör.Warum, das erläuterte Urheberrechte-Vertreter Gerhard Pfennig von der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst vor kurzem im "Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel": "Es gibt eine politische Grundannahme.Die geht davon aus, daß die Informationsgesellschaft Arbeitsplätze schafft und viele soziale Probleme löst, indem sie unermeßliche neue Chancen bietet für die Herstellung und Abnahme von Produkten.Wenn aber zu viele Urheber sagen, diese Industrie interessiert uns nicht, weil sie uns nicht vernünftig bezahlen will ­ dann gibt es Versuche, den Zugang zu Urheberrechten zu erleichtern." Unter diesen Vorzeichen ist klar, warum den selbsternannten Hoffnungsträgern der Richtlinien-Entwurf nicht reicht, wonach Kopien, die bei der Übermittlung aus rein technischen Gründen anfallen und die ökonomisch bedeutungslos sind, ausdrücklich nicht urheberrechtlich geschützt werden sollen.Die Telekoms und Provider wollen mehr: Genutzt wird die Gunst der Stunde sogar, um einen Freibrief in sämtlichen Haftungsfragen einzufordern.Neu ist der Lobbyismus in Urheberrechtsfragen nicht.Uraufgeführt wurde das Spektakel vor genau einem Jahr zur diplomatischen Konferenz der Welturheberrechtsorganisation (WIPO) in Genf.Damals bildete sich kurzfristig eine "Ad Hoc Alliance for a Digital Future", ein Zusammenschluß von Telekomunternehmen, Kabelnetzbetreibern, Providern und auch Bibliotheken.Im Vorfeld zur Konferenz lief in Brüssel eine hochkarätige Delegation von 25 Industrieführern auf, darunter Amerikaner, Japaner und Koreaner.Ein wirtschaftlicher Interessenkonflikt zwischen Europa, den USA und Asien hat dann auch die Diskussion in Genf geprägt.Seinerzeit hatte ein Beobachter gesagt: "Wenn die Raubkopiererei nicht bald sanktioniert werden kann, kommt das Asien zugute.Und die Amerikaner wären einen Schritt weiter bei ihrem Vorstoß in den europäischen Markt."Nun steht die EU-Kommission vor der Entscheidung: Will sie dem massiven Drängen der Telekoms und Provider nachgeben, deren durch nichts belegten Versprechen, Arbeitsplätze zu schaffen, Glauben schenken und die bewährten Marktregeln im Geschäft mit den "geistigen Schöpfungen" über Bord werfen? Sie riskiert damit den Verlust real bestehender Arbeitsplätze."Der Markt für Waren und Dienstleistungen, deren Inhalt urheberrechtlichen Schutz genießen, macht in der Gemeinschaft etwa fünf bis sieben Prozent aus," schätzte die EU-Kommission vor einem Jahr.Tendenz steigend.Ob dieser Markt sich auch ohne rechtlichen Schutz vor Piraterie wird halten können, ist zu bezweifeln.Die Verleger befürchten unterdessen, daß ihnen die Servicemöglichkeiten im Online-Bereich beschnitten werden, wenn die von Brüssel geschaffenen Ausnahmeregelungen zu weit gefaßt werden.Doch die Lobbyarbeit der Verleger beginnt erst, nachdem die Kommission den Entwurf angenommen hat.

MARIA JANSEN

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