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Politik: Wer ist Horst Köhler, Herr Gerhardt?

Der FDP-Fraktionschef über den Präsidentschaftskandidaten, unsichere Mehrheiten – und seine Ansicht, dass die Kür auch nicht schlimmer war als in früheren Jahren

Stören wir beim Auspacken?

Nein.

Sie hatten noch nicht die Umzugskartons in ein neues Leben gepackt, vorsorglich?

Aber nein! Ich weiß, dass man im politischen Leben Chancen hat, aber auch Risiken, sie realisieren zu können.

Es gab keine Momente im Leben des Wolfgang Gerhardt, wo er sich still gedacht hat: schönes Schloss eigentlich, dieses Bellevue?

Nein! (lacht laut) Man lebt so weiter wie bisher, man stellt sich darauf ein, dass es so bleibt – und ich mache das ja auch gern, was ich tue. Wenn man eine andere Chance hat, nimmt man sie wahr, aber nicht, indem man sich täglich damit beschäftigt.

Im Ernst: Haben Sie in der Kandidatensuche für das Amt des Bundespräsidenten für sich jemals eine reale Chance gesehen?

Es gab Gespräche, die Aussichten auf eine gute Außenseiter-Chance realistisch erscheinen ließen. Ich habe aber immer klar gesagt, auch der FDP, dass ich kein Zählkandidat bin.

Was heißt das konkret?

Ich wäre nur angetreten, wenn es gute Chancen gegeben hätte – nicht nur für ein oder zwei Wahlgänge.

Wenn es also nicht zu einer Einigung mit der Union gekommen und Sie bei der Bundesversammlung am 23. Mai angetreten wären, dann auch noch im dritten Wahlgang, wo die einfache Mehrheit genügt?

Wenn es Chancen gegeben hätte: ja. Für eine Zählkandidatur: nein. Dafür war mir das Amt des Fraktionsvorsitzenden zu wichtig. Das will ich gerne weiter führen.

War das nur eine theoretische oder – zu welchem Zeitpunkt auch immer – auch einmal eine ganz reale Option?

Es gab gemeinsame Beratungen, und die führten dazu, mich als Kandidaten der FDP in Betracht zu ziehen.

Und Sie wären der Bewerber gewesen, den die FDP aufgestellt hätte, wenn es nicht zur Einigung gekommen wäre?

Ja, diese Überlegung gab es. Allerdings nur dann, wenn reale Chancen bestanden hätten. Ich wäre angetreten, wenn man mich darum gebeten hätte. Dann allerdings aus ganzer Kraft. Allein nur aus persönlichem Ehrgeiz wäre das nicht in Frage gekommen.

Wurde die Option je ernsthaft erwogen, Cornelia Schmalz-Jacobsen mit Hilfe von Rot-Grün zur Präsidentin zu wählen?

Ich habe vor Frau Schmalz-Jacobsen, die ich auch persönlich sehr mag, den höchsten Respekt. Wir hatten nur nicht den höchsten Respekt vor Mitteilungen der Grünen, was deren Wahlverhalten angeht. Die Grünen versäumen keine Gelegenheit, sich abfällig über die FDP zu äußern. Wir wollten uns nicht auf Hinweise und Andeutungen insbesondere von den Grünen verlassen.

Sonst wäre das eine Option gewesen?

Mein Blick war auf das Jahr 2006 gerichtet. Wahlen zum Staatsoberhaupt haben fast immer eine Vorbotenfunktion für eine künftige politische Konstellation. Mir ist an einer Konstellation aus CDU, CSU und FDP gelegen.

Sie sagen „Vorboten“, die Union ist deutlicher: Man denke an eine „lange gemeinsame Arbeit“, hat Frau Merkel gesagt.

Ob man das Vorboten nennt oder täglich von Koalitionen spricht – man muss jetzt keine Aussagen dazu machen. Klar ist eins: Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer haben sich verabredet, ihre Arbeit über 2006 hinaus fortzusetzen. Wir möchten gerne diesem Treiben ein Ende setzen. Dass das gelingt, ist aus heutiger Sicht realistisch. Und so ist es auch vernünftig, dass man einen Kandidaten für das Amt des Staatsoberhaupts in Aussicht nimmt, der diese Konstellation zum Ausdruck bringt. Alles andere würde keinen Sinn machen.

Keine vorgezogenen Koalitionsverhandlungen, aber das Versprechen, dass der Bürgerblock gemeinsam gegen die Regierung kämpft.

Wenn Sie den Begriff „Block“ ersetzen durch „bürgerliche Alternative“, stimme ich zu. So wird das ja auch in der öffentlichen Wahrnehmung gesehen. Man kann jetzt noch sagen, man entscheidet erst 2006 über Koalitionsaussagen. Das ist ja richtig. Aber im Grunde ist die Aussage durch Schröder und Fischer gemacht. Nun muss auch die Alternative ihre Karten zeigen. Der gemeinsame Präsidenten-Kandidat Horst Köhler ist die erste, die gespielt wird.

Stichwort öffentliche Wahrnehmung. Die sieht die Art der Kandidatenkür verheerend.

Kritik muss man ertragen. Man sollte aber die Kritiker daran erinnern, dass es nicht das erste Mal in der Geschichte von Präsidentenwahlen ist, dass die Kandidatensuche längere Zeit in Anspruch nimmt, Unsicherheiten mit sich bringt und Kontroversen um mehrere Personen beinhaltet.

Aber so schlimm wie diesmal …

Ich bitte Sie! Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich äußerst kontrovers und erst am Vorabend der Präsidentenwahl für Gustav Heinemann als Visitenkarte für die spätere sozialliberale Koalition von 1969 entschieden. Die Entscheidung für den dann sehr erfolgreichen Präsidenten Roman Herzog war mit dramatischen Akzenten gespickt – die Nominierung erst von Steffen Heitmann, dann der Abbruch, dann die Frage, ob CDU und CSU Herzog in der Bundesversammlung stützen würden … also, es ist nicht so, als wäre jetzt zum ersten Mal Streit. Man muss da doch der Vergesslichkeit vorbeugen.

Noch mal: aber so schlimm wie diesmal?

Wir hatten das früher genauso. Vermutlich verschafft jede zusätzliche Kamera, die bei jedem Treffen dabei ist, dem Ganzen eine neue Dimension. Aber an der Sache selbst hat sich nichts verändert.

Nun hätte man sich das Theater aber sparen können, wenn man gesagt hätte: Das Signal für eine bürgerliche Alternative geben wir mit einem ihrer hervorragendsten Repräsentanten, mit Wolfgang Schäuble.

Bei aller Wertschätzung für Wolfgang Schäuble, den ich aus guter Zusammenarbeit in der alten Koalition kenne, hatten wir nicht den Eindruck, dass eine Mehrheit für ihn gesichert ist. Und das war nicht nur eine Bewertung der FDP.

Angela Merkel und Edmund Stoiber verfälschen die Dinge, wenn sie insinuieren, Schäuble sei am Widerstand der FDP gescheitert?

Meine Kenntnis der Dinge war und ist, dass das einfache Bild, die FDP habe Schäuble verhindert, so nicht stimmt. Wenn sich drei verabreden, um jemanden vorzuschlagen, müssen sie sich selbst alle ehrlich die Frage beantworten, ob man mit diesem Vorschlag die Präsidentenwahl gewinnt.

Sind Sie davon ausgegangen, dass es in der Union Abweichler gegen Schäuble gibt?

Meine Wahrnehmung war – dabei will ich es belassen –, dass es riskant gewesen wäre, einen solchen Vorschlag zu machen. Ich war nicht sicher, ob Herr Schäuble eine Mehrheit haben würde – und das ist vorsichtig formuliert.

Frau Hamm-Brücher hat gesagt, wenn Frau Merkel ihn wirklich gewollt hätte, wäre Schäuble nicht an der FDP gescheitert.

Ich habe meinen Eindruck geschildert als jemand, der mit Entscheidungsträgern in Kontakt war. Andere Wahrnehmungen will ich nicht kommentieren.

Da es in dem Verfahren erkennbar auch um Machtfragen zwischen den Beteiligten ging: Wer hat gewonnen, wer verloren?

Das kann ich heute noch nicht bewerten. Ich erlebe in der FDP relative Zufriedenheit mit dem Ergebnis – wir hatten andere Wünsche. Jetzt ist aber entschieden. Wahrnehmbar ist ein Bedarf an Nachdiskussion in der Union. Wie das ausgeht, kann ich nicht vorhersagen. Ich muss aber hinzufügen, dass die CDU-Vorsitzende Merkel sich in den Gesprächen mit uns die ganze Zeit über fair verhalten hat.

Aus der Union kommt der Vorwurf, sie habe zusammen mit der FDP ein regelrechtes Doppelspiel betrieben.

Das muss die Union mit sich selbst ausdiskutieren. Es ist immer leicht, den Vorwurf gegen die Amtsinhaber an der Spitze zu erheben, sie würden den Interessen der Partei nicht richtig gerecht – vor allem von jenen in der Union, die gegenwärtig vor Kraft kaum noch gehen können und die anscheinend die Wahl 2006 für einen Spaziergang halten. Helmut Kohl hat immer gesehen – auch gegen Widerstände in der eigenen Partei –, dass ein Bündnis von CDU, CSU und FDP besser ist als andere Konstellationen.

Würden Sie der Interpretation zustimmen, dass die FDP mit diesem Verfahren immer auch das Signal an die Union gegeben hat: Was Schröder mit den Grünen gemacht hat, sich zum Koch und die zum Kellner zu ernennen, macht ihr mit uns nicht?

Ich halte viel von einer politischen Vorgehensweise, die Selbstvertrauen mit Bescheidenheit verbindet. Dabei sollte es bleiben. Aber Selbstvertrauen gehört dazu.

Noch eine Interpretation: Drei Parteien haben einen Kandidaten ausgehandelt, und jede durfte einmal Nein sagen. Die FDP zu Schäuble, die CSU zu Töpfer und Schavan, die Union zu Wolfgang Gerhardt.

Wenn man den Ausgang als Rechenspiel sieht, kann man das so sehen. Aber so war es nicht. Es ist eine politische Auseinandersetzung gewesen über Gewichtung und über die Chancen von Parteien. Unser Bestreben war natürlich, einen öffentlichen Akzent für die FDP zu setzen. Bei der CDU hat in der Abwägung eine Rolle gespielt, ob das für sie akzeptabel war. Es gab irgendwann eine spürbare Grenze, bei der Stärke der Union nach Hamburg Größe gegenüber der FDP zeigen zu können. Es gab eben zwei Bewerber, auf die man sich aus unterschiedlichen Gründen gegenseitig nicht einigen konnte.

So kam es zum Dritten. Aber was gibt Ihnen die Sicherheit, dass nach diesem Vorspiel mit seinen Verletzungen Horst Köhler am 23. Mai gewählt wird?

Ich habe keinen Zweifel, dass die Fraktion der FDP in der Bundesversammlung diesen Vorschlag unterstützen wird – und nach meinem Eindruck geschlossen.

Im ersten Wahlgang schon? Sind Sie Ihrer Frauen so sicher?

Die rot-grüne Koalition wird große Anstrengungen unternehmen, für ihre respektable Kandidatin Gesine Schwan mit diesem Argument zu werben. Es hat aber nicht die stärkste Glaubwürdigkeit, weil die SPD bei der letzten Präsidentenwahl nicht bereit war, dem starken Ruf auch aus den eigenen Reihen nach einer Frau nachzukommen.

Frau Hamm-Brücher berichtet von Frauen aus CDU und FDP, die mit Zustimmung zu Frau Schwan liebäugelten.

Solche Stimmen haben mich damals viele erreicht, auch aus der SPD, als Frau Hamm-Brücher selbst kandidierte. Es kam aber bekanntlich anders.

Kommen wir zum Kandidaten. Kannten Sie Horst Köhler?

Ich bin ihm mehrmals in Washington begegnet und habe ausführliche Gespräche über internationale Fragen mit ihm gehabt.

Was ist das für ein Mensch?

Ein Mann, der sich in internationalen Beziehungen auskennt. Ein Mann nicht nur mit ökonomischem Verstand, sondern auch mit kluger politischer Lageanalyse der großen Fragen der Weltpolitik und Globalisierung. Er hat die Fähigkeit, Sachverhalte durchdringend zu bearbeiten – weit über ökonomische Dimensionen hinaus. Er hat einen Blick auf gesellschaftliche Veränderungen, auch Chancen und Risiken. Ich traue ihm zu, für Deutschland eine gute Visitenkarte abzugeben – im Inneren wie nach außen.

Kann Horst Köhler die Notwendigkeit von Reformen auch den Menschen nahe bringen?

Ja, uneingeschränkt. Er ist niemand, der sich nur distanziert und kühl in internationalen Gremien bewegt hat. Ich schätze ihn persönlich, weil er die Fähigkeiten beherrscht und beherzigt, sowohl eine eigene Aussage zu machen als auch zuzuhören.

Sind Sie stolz auf diesen Kandidaten?

Stolz ist ein falscher Ausdruck. Aber er ist ein guter Vorschlag, und ich bin überzeugt, dass auch die Öffentlichkeit davon überzeugt werden kann.

Viele Deutsche haben Ende der Woche die Zeitung aufgeschlagen und sich überrascht gefragt, warum zwei so gut wie Unbekannte wie Horst Köhler und Gesine Schwan die Besten für das höchste Staatsamt sein sollen.

Das verstehe ich schon. Aber von den gleichen Zeitungslesern wird ja zugleich oft die Erwartung geäußert, dass politische Seiteneinsteiger eine Chance haben sollen. Dass Horst Köhler ein Unbekannter sei, lasse ich als Vorwurf nicht gelten. Niemand ist bekannt, der irgendwann politisch anfängt. Entscheidend ist, was er aus dem Amt macht.

Können wir das noch mal zulassen, dass der höchste Vertreter des Staates auf derart unwürdige Weise in sein Amt kommt, in dem er dann Würde repräsentieren soll?

Glücklicherweise haben wir in der Geschichte der Bundesrepublik trotz allen Streits immer sehr, sehr gute Bundespräsidenten gehabt. Wir sind offen für den Vorschlag, dass der Bundespräsident direkt gewählt werden könnte. Aber ehrlich gesagt, schlauer haben mich die Vorschläge dann auch nicht gemacht, wer das alles werden sollte. Es gibt begründete Vorhalte an die Politik, aber ich sehe ebenso begründete Vorhalte an die Gesellschaft, wenn ich sehe, wer da aus Modegründen alles genannt wird.

Trotzdem ist der Ruf nach Direktwahl Position der FDP.

Unsere Überzeugung als FDP ist das.

… trotz der Gefahr namens Dieter Bohlen.

(lacht) Ja. Wir als FDP wollen den Bürgern mehr zutrauen, aber ihnen auch mehr zumuten. Ich glaube, wenn man den Menschen diese Verantwortung auflädt, werden sie sie klarer annehmen, als wenn sie in einer Umfrage sagen sollen, ob sie Herrn Bohlen gut fänden.

Und dann gibt es einen Bundespräsidentenwahlkampf?

Das ist die Kehrseite der Medaille.

Das Vorschlagsrecht hat die Fernsehlotterie?

Wir wählen ja auch direkt zur Bundestagswahl. Die Parteien müssten natürlich mit einem präzisen Vorschlag in eine solche Wahl hineingehen und dürfen nicht sagen: Nun wählt mal schön.

Apropos wählen: Geht die FDP nach all diesen Vorgängen von einer Kanzlerkandidatin Merkel für die Wahl 2006 aus?

Das ist nicht unsere Entscheidung. Aber mein Eindruck ist, dass die Führungspersönlichkeit in der CDU Frau Merkel ist – trotz aller Kontroversen, die jetzt auch noch nachgearbeitet werden dürften. Mein Eindruck ist, dass sie sehr tatkräftig verhandelt hat und auch durchsetzungsfähig gewesen ist.

Mit Wolfgang Gerhardt sprachen Robert Birnbaum und Robert von Rimscha. Die Fotos machte Kai-Uwe Heinrich.

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