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Politik: Wer regiert Deutschland? Von Tissy Bruns

Noch schlechter als die Gesundheitsreform ist die politische Haltung, die sich in ihr ausdrückt. Sie senkt jede weitere Erwartung unter den Nullpunkt.

Noch schlechter als die Gesundheitsreform ist die politische Haltung, die sich in ihr ausdrückt. Sie senkt jede weitere Erwartung unter den Nullpunkt. Mindest- oder Kombilöhne, eine vernünftige Hartz-IV-Korrektur – vergessen wir es lieber gleich. Wichtiger als Sozialsysteme oder Arbeitsmarkt sind immer noch die nächsten Wahlen und die Frage, wer gegen wen gewinnt.

Wer regiert Deutschland? Eine große Koalition, geführt von einer Kanzlerin? Keineswegs. Das erledigen drei Ministerpräsidenten mit einer CDU-Vorsitzenden, die sich mit ihnen arrangiert, bevor sie sich mit ihrem Koalitionspartner abspricht. Und von Regieren kann keine Rede sein. Die Herren reagieren – auf die Macht der Boulevardmedien, die ihnen die Chancen verhageln könnten, wenn im Jahr ihrer Landtagswahlen Steuern erhöht würden. Hessen, Bayern und Niedersachsen wählen 2008. Deshalb gab es für Edmund Stoiber, Roland Koch und Christian Wulff kein wichtigeres Anliegen als das, Steuererhöhungen zu diesem Zeitpunkt zu verhindern.

Ehrenhaft wäre das, wenn es um Grundsätze ginge. Man kann darüber streiten, ob und wann die sozialen Sicherungssysteme auf Steuerfinanzierung umgestellt werden. CDU und CSU haben nicht nur vor Beginn der großen Koalition beschlossen, bei der Gesundheit diesen Weg zu gehen. Angela Merkel hat außerdem nach Beginn ihrer großkoalitionären Kanzlerschaft für die steuerfinanzierte Kinderversicherung öffentlich Pflöcke eingeschlagen – ohne Widerspruch aus den Reihen der Unions-Ministerpräsidenten.

Die große Koalition hat monatelang zäh verhandelt, der Ertrag war bescheiden. Doch drei Tage vor der langen Nacht des Spitzentreffens bestimmte nicht mehr das Tauziehen der Fach- und Führungsleute von Union und SPD das Geschehen. Angesichts einer schwindelerregenden Diskussion über neue Steuerlasten drohten die Unions-Ministerpräsidenten der Bundeskanzlerin offen mit Veto – und die gab dem Druck auf der Stelle nach. Von einem echten Einstieg in eine steuerfinanzierte Kinderversicherung von 2008 an konnte keine Rede mehr sein, schon bevor die Koalitionsparteien im Kanzleramt eingetroffen waren.

Das ist lächerlich und zum Verzweifeln. Lächerlich, weil die starken Jungs der Union sich im Ernstfall auch nur zu dem Maulheldentum verstehen, das sie jahrelang anderen vorgeworfen haben. Zum Verzweifeln, weil nicht einmal eine große Koalition die lähmende Blockade durchbricht, mit der zwei Kanzler einer kleinen Koalition im Bundesrat Schiffbruch erlitten haben. Das Vetopotenzial des Föderalismus ist nicht nur im Kampf der Parteien gegeneinander instrumentalisierbar. Es kann sogar zur Waffe innerparteilichen Intrigantentums werden – der eine oder andere Ministerpräsident der CDU möchte ja noch werden, was Merkel derzeit ist. Oder es wird zum Mittel für die ganz gewöhnliche Besitzstandswahrung von Politikern, die ihre nächste Wahl gewinnen wollen.

Die große Koalition hat mit ihrem zweiten Großprojekt Gesundheit vorgeführt, wie schlecht das erste ist, die Föderalismusreform. Die Ministerpräsidenten bestimmen im Bund mit, und das verwandelt unter der Hand die proklamierten Ziele der großkoalitionären Bundesregierung. Reformiert wird am Ende nicht, damit es dem Land besser geht. Die guten Absichten haben wieder einmal verloren gegen ein stärkeres Motiv: Die Akteure müssen unter dem Druck der Strukturen den Nachweis der Reformfähigkeit der Koalition führen. Sie kämpfen mithin nur noch um die Selbsterhaltung.

Angela Merkel muss sich nicht mehr messen lassen an ihrem Wahlprogramm, durch diese Pläne haben die Wähler einen Strich gemacht. Jetzt aber hat sie sang- und klanglos aufgegeben, wofür sie als Kanzlerin einstehen wollte. Da gibt es keine Ausrede. Ein stärkeres Gewicht als eine mit Zweidrittelmehrheit legitimierte Kanzlermacht gibt es nicht. Merkel hat die Vetospieler nicht einmal auf die Probe gestellt. Was will sie? Bundeskanzlerin sein und bleiben. Das wissen wir. Mehr nicht.

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