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Anhaltender Dissens. Viele in der Union fragen sich, ob nicht auch das Dauerfeuer Horst Seehofers eine Ursache für das Wahldebakel am Wochenende war.

© Peter Kneffel/dpa

Angela Merkel und Horst Seehofer: Wer trägt die Schuld?

Nach dem Wahldebakel vom Sonntag droht der Union ein harter - und lauter - Machtkampf. Denn beide Seiten beharren auf ihren Standpunkten.

Von Robert Birnbaum

Volker Kauder versucht keine Miene zu verziehen. Der Chef der Unionsfraktion steht am Dienstag im vierten Stock im Reichstag und gibt Durchhalteparolen aus. „Es bleibt dabei, dass die Bundesregierung eine europäische Lösung sucht“, sagt Kauder. „Wir bleiben bei unserem Kurs.“ Nein, keine nationalen Schritte, auch nicht der CSU zuliebe oder der AfD oder wem auch immer – man sehe ja gerade in Griechenland, wohin das einseitige Handeln führe.

Rechts von ihm streben seine Abgeordneten in den Sitzungssaal. Etliche sehen das völlig anders. Am Mittwoch wollen sich die Spitzen von CDU und CSU zum Krisengespräch nach dem bitteren Super-Wahlsonntag treffen. Wenn man alles ernst nimmt, was davor gesagt wird, kann das nur im offenen Krieg enden. Die CDU rüstet nicht ab im Streit um die Flüchtlingspolitik, und die CSU rüstet weiter auf.

Es geht vordergründig um die Frage, wer welche Schuld daran trägt, dass die CDU-Kandidaten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gescheitert sind und die Rechtspopulisten von der AfD mit zweistelligen Ergebnissen in drei weiteren Landtagen sitzen. Für die CSU und ihren Chef war das am Montag schon glasklar. „Wir brauchen eine andere Politik“, forderte Horst Seehofer von Angela Merkel. Auch er kündigte an, „unbeirrt Kurs“ halten zu wollen, denn die „Existenz“ der Union stehe auf dem Spiel.

Für viele in der CDU ist allerdings umgekehrt klar: Dass sich so viele Wähler irritiert von der CDU abgewandt haben, das hat auch mit Seehofers Dauerfeuer zu tun. Selbst Christdemokraten, die ihre eigene Chefin kritisch sehen, regt Seehofers Dauerkanonade auf. „Was soll das denn helfen, wenn der dauernd schreit: Die schwarze Katze ist immer noch da!“, schimpft ein Parteivorstandsmitglied. Auch Kauder wird deutlich: Man wäre schon viel weiter, „wenn wir uns nicht ständig darüber unterhalten, was nicht geschehen ist“. Teilweise werde so getan, als ob sich noch gar nichts getan habe.

Da ist etwas dran. Wer in den letzten Wochen und Monaten nur Seehofer zugehört hätte, könnte tatsächlich zu dem Schluss kommen, in Berlin sitze immer noch die Willkommenskanzlerin vom vorigen Herbst, und in Bayern strömten immer noch massenhaft Flüchtlinge über die Grenze.

Die bayerische Landesregierung könnte sich, wenn sie wollte, am Dienstag leicht vom Gegenteil überzeugen. Seehofers Kabinett tagt zwecks Volksnähe auswärts im Kloster Alderbach in Niederbayern, Bezirk Passau. Bis Jahresanfang war hier das Zentrum der Flüchtlingskrise. Inzwischen tröpfeln Flüchtlinge infolge der Grenzzäune auf der Balkanroute täglich oft nicht mal mehr in dreistelliger Zahl über die Grenze. Für die CSU kein Grund, den Ruf nach nationaler Grenzabdichtung auch nur zurückzustellen. Dieser Zustand sei nicht dauerhaft, sagt Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt in Berlin; man müsse die Frage „grundsätzlich“ klären. Auch Seehofer bleibt beim Grundsätzlichen. „Verantwortlich sind nicht diejenigen, die auf Fehler hinweisen, sondern diejenigen, die sie machen“, richtet er der CDU-Führung aus den Klostermauern heraus aus.

Hinter der Schuldfrage steht die Frage nach der Macht

Spätestens der Satz zeigt auf: Die Schuldfrage ist wirklich bloß vordergründig. Dahinter steht ein harter Machtkampf. Auch die weiteren Züge aus Bayern machen das deutlich. Für den EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag hat die CSU rote Linien gegen die Türkei gezogen: Kein EU-Beitritt, keine „volle“ Visafreiheit, keine Umverteilung von Flüchtlingen nur nach Deutschland, und außerdem müssten die Türken „bei jedem Kontakt“ auf Menschenrechte, Presse- und Religionsfreiheit angesprochen werden. Europa, sagt Hasselfeldt, dürfe sich von den Türken nicht die Bedingungen „diktieren“ lassen, zu denen Ankara beim Eindämmen der Flüchtlingsströme hilft.

Der Katalog liest sich wie der Versuch, Merkel ihren europäisch-türkischen Weg möglichst schwer zu machen. Und das „diktieren“ ist die nächste Misstrauenserklärung. Man dürfe nicht „ein Problem lösen und ein anderes uns zusätzlich einkaufen“, schiebt Hasselfeldt noch nach. Wenn wir nicht aufpassen würden, lautet der Text hinter diesem Text, dann gibt diese Kanzlerin noch alle Prinzipien preis. Hasselfeldt will das wahrscheinlich so gar nicht gemeint haben, dafür schätzt sie Merkel viel zu sehr. Aber die Landesgruppenchefin kann sich dem seehoferischen Ton nicht entziehen, den am Montagabend in der Landesgruppe viele ihrer Abgeordneten angestimmt haben.

Und so fordert sie wieder, was die CSU seit Monaten verlangt: Ein „Signal“ von Merkel, so eins wie es EU-Ratspräsident Donald Tusk neulich gegeben hat, als er den Flüchtlingen vom Balkan aus zurief: „Kommt nicht nach Europa!“ Den Einwand, dass die Kanzlerin längst die gleichen Botschaften sende, lässt sie nicht gelten. Das merke keiner: „Ich weiß nur, dass die Menschen im Land auf ein derartiges Signal warten.“ Für Merkel käme es der Kapitulation gleich. Die CSU-Frau hofft den Krieg trotzdem zu verhindern. „Die Kanzlerin ist Argumenten gegenüber immer aufgeschlossen“, sagt sie. „Aber es müssen fundierte sein!“

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