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Politik: Wer über den Tod entscheidet Von Gerd Appenzeller

Schon die Wortwahl sagt alles über die Heftigkeit des Streits und die Tragweite des Konflikts. Darf die amerikanische KomaPatientin Terri Schiavo sterben oder muss sie verhungern?

Schon die Wortwahl sagt alles über die Heftigkeit des Streits und die Tragweite des Konflikts. Darf die amerikanische KomaPatientin Terri Schiavo sterben oder muss sie verhungern? Hier ein menschenwürdiges Ende nach Jahren des Dahinvegetierens, dort die Tötung einer Hilflosen, deren Eltern immer noch auf das Wunder hoffen, die Tochter könnte eines Tages aus ihrer tiefen Bewusstlosigkeit erwachen. Tampa in Florida, wo dieser vielleicht letzte Akt im Leben eines kranken Menschen spielt, ist weit weg von Deutschland – und doch ganz nah. Denn wie sich Ärzte und Angehörige in dieser Grauzone zwischen Leben und Sterben entscheiden dürfen oder müssen, bewegt auch uns. Gerade hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries einen Gesetzentwurf zurückgezogen, mit dem der Wille von Patienten verankert werden sollte, lebensverlängernde Maßnahmen zu beenden. Wäre das Gesetz in Kraft getreten, hätte es auch das ermöglicht, was in Amerika jetzt so heftig umstritten und in Deutschland derzeit unmöglich ist: dass Angehörige eines Komapatienten die Entfernung einer Magensonde und damit letztlich den Tod des Kranken verlangen können.

Die Patientenverfügung, wie sie Zypries befürwortet, wäre auch bei Krankheiten möglich gewesen, die nicht unumkehrbar zum Tod führen. Eine solche Krankheit aber ist das Wachkoma, jene tiefe Bewusstlosigkeit, aus der nach übereinstimmender ärztlicher Erfahrung kein Mensch nach so vielen Jahren wieder die Ebene bewussten Lebens erreicht. Über fast alle anderen Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem apallischen Syndrom – im angelsächsischen Sprachraum wird es einleuchtender als vegetative state bezeichnet – hat mehrfach das Deutsche Ärzteblatt erbittert gestritten. Dass Menschen im Wachkoma keine Schmerzen empfinden, zu willkürlichen mimischen Reaktionen nicht in der Lage sind und über keinerlei Wahrnehmungsfähigkeit verfügen, ist zwar die Ansicht der ganz großen Mehrheit unter den Ärzten. Aber eine Minderheit, die alles andere als sektiererisch ist, zweifelt genau diese Aussagen alle an.

Wenn vor allem ältere Menschen Patientenverfügungen zunehmende Bedeutung beimessen, denken sie weniger an die Gefahr, nach einem Unfall oder Infarkt in ein Wachkoma zu fallen, als an unheilbare Krebserkrankungen. In jedem Fall wollen sie sich gegen sinnlose Therapien und lebensverlängernde Maßnahmen wehren. Sie werden dabei meist weniger von der Furcht vor dem Sterben als von der Angst vor Schmerzen getrieben. Sie zweifeln, ob die Palliativmedizin, deren Ziel nicht Heilung, sondern Leidenslinderung ist, wirklich den ihr zukommenden Rang hat.

Im Gegensatz zum schwer Demenzkranken und zum Komapatienten jedoch kann der unheilbar Krebskranke einen Willen äußern. Der Fall Terri Schiavo in den USA und das gescheiterte Gesetzesvorhaben von Ministerin Zypries müssen dazu führen, dass in Gesellschaft und Parlament offen diskutiert wird, welcher Entscheidungsspielraum den Ärzten zukommen soll und wie ernst Medizin und Rechtsprechung die klare Willensäußerung von Patienten, aber auch von deren Angehörigen zu nehmen haben. Daran fehlt es in Deutschland ganz offensichtlich. Vom „mündigen Patienten“ wird viel gesprochen – respektiert wird dessen Wille oft nicht. Wollen wir vermeiden, dass Grenzfälle, wie jetzt in Florida, in einer Atmosphäre öffentlicher Hysterie erörtert werden, müssen wir offen darüber reden. Bevor sie eintreten.

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