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Die neue Ausgabe von "Charlie Hebdo"

© dpa

Charlie Hebdo: Wer vergibt wem?

Lachen – auch nach der Pariser Tragödie. Was aber, wenn Bilder mit der Wirklichkeit verwechselt werden? Ein Kommentar

Ein Kommentar von Peter von Becker

Es erscheint ungeheuer human, dieses seit Mittwoch Millionen Mal publizierte Titelbild der neuen Ausgabe des Pariser Magazins „Charlie Hebdo“. Dem sonst so grimmbärtigen Propheten Mohammed rollt eine Träne über die Wange, über seinem Turbanhaupt steht auf Französisch „Alles wird vergeben“, und auch er, dessen Namen die Killer von Paris gegrölt hatten, hält der Welt die Botschaft entgegen „Je suis Charlie“.
Plötzlich bekommt die Aussage „Ich bin Charlie“, die sich nach dem Anschlag so viele Menschen voller Anteilnahme und manche auch ein bisschen wohlfeil angeheftet hatten, noch mal einen neuen Sinn. Der Prophet Gottes zeigt sich solidarisch, wird mitmenschlich. Zugleich wirkt die kleine Zeichnung auch auf geniale Weise komisch. So, als rufe sie allen ideologisch und terroristisch Verbiesterten zu: Hey, der wahre Islam ist auf unserer Seite, euer Prophet ist unser Abonnent!
Es ist in den Tagen der Trauer ein Zeichen des immer noch Lachenkönnens – eine wunderbar sanfte Provokation. Zum Nachdenken, auch über die etwas bewusst mehrdeutige Überschrift „Tout est pardonné“. Wer vergibt hier wem? Jedenfalls denkt man, nun werden die Scharfmacher – auf allen Seiten – erst mal schweigen. Schweigen, wenn sie noch einen Funken Verstand besitzen.

Die Weltreligionen haben wenig Sinn für Humor

Doch sie schweigen nicht. Allein auf das Titelbild (mehr konnten sie noch nicht gesehen haben) reagieren Großmuftis, Mullahs und selbst der türkische Ministerpräsident, der eben noch in Paris im Trauerzug mitmarschiert war, mit dem reflexhaften Vorwurf, es seien „zwei Milliarden Muslime in aller Welt gekränkt“ worden. Und ein Gericht der Türkei, die in die EU möchte, sperrt Internetseiten mit der „Charlie“-Zeichnung.
Diktaturen verstehen bekanntlich keinen Spaß. Aber außer einem lächelnden Buddha haben die großen Weltreligionen tatsächlich wenig Sinn für Humor. Zumindest nicht im Monotheismus. Gott, Jehova, Allah lachen nie, auch Jesus nicht – außer als nacktes (!) niedliches Christkind. Freilich hat sich das Christentum durch die Aufklärung über Jahrhunderte hinweg so bezähmt, dass Religion und Staat, Glaube und Gesellschaft sich sogar mit dem Recht auf Unglauben in friedlicher Koexistenz vereinbaren lassen. Über Gott und Teufel, Heiland und Jungfrau darf da gelacht werden. Scherz und Schmerz gehören oft zusammen.
Dieses Rechts- und Freiheitsverständnis müsste nun auch für gläubige Muslime gelten. Das tut es, solange Muslime in Demokratien und offenen, pluralistischen Gesellschaften leben. Aber was ist mit den Ländern und Kulturen, in denen es (noch) keinen aufgeklärten Islam gibt und keine Trennung von Staat und Religion? Dort können wir (müssen wir) gewiss die in der UN-Charta verbrieften Menschenrechte einfordern. Aber was ist, wenn Gläubige sagen, ein Abbild unseres Propheten verletzt, was uns heilig ist? Das Nicht-Bild des Propheten bedeutet für uns ein unantastbares Tabu, was dann? Auch amerikanische Medien drucken „Charlie“-Karikaturen, von denen sie annehmen, dass sie religiöse Gefühle tangieren könnten, nicht nach. Da mögen vielleicht vorauseilende Selbstzensur und politische Überkorrektheit im Spiel sein. Aber es ist so.

„Satire darf alles außer sterben“

Oder das: Bei indigenen Völkern in Afrika oder Südamerika hatten Forschungsreisende großen Schrecken verbreitet, als sie erstmals mit Fotoapparaten auftauchten. Die Menschen glaubten, das Bild von sich könne ihnen die Seele rauben. Der Schnappschuss mit der Kamera war also eine symbolische Hinrichtung. Das Problem ist, zwischen Symbol und Realität wird hier nicht unterschieden. Auch „unaufgeklärte“ Muslime nehmen selbst eine satirische Mohammed-Zeichnung noch für eine Verkörperung des Propheten, so, als schände man im Katholizismus eine Hostie, mit dem „wirklichen“ Blut des Herrn.

Ich respektiere das. Auch wenn ich dem nicht zustimme. Auch wenn ich das „Charlie“-Titelbild selber für respektvoll, barmherzig und komisch halte. Das ist ein Dilemma. Aber: Niemand wird gezwungen, „Charlie Hebdo“ zu kaufen oder zu lesen, genauso wenig wie „Die göttliche Komödie“ oder irgendeine Schundlektüre. Das ist die reale Freiheit. In der Unfreiheit der Islamisten und Terroristen aber geht es nicht mehr um Religion, Kunst, Symbolik, sondern um deren Instrumentalisierung. Um Gegenaufklärung und die eigene Macht. Sie morden und peitschen (auf). Dort endet jeder Respekt. „Satire darf alles außer sterben“, diesen Spruch, frei nach Tucholsky , hielt eine junge Frau in der Trauer hoch. Er stimmt nur halb. Aber manchmal auch ganz.

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