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Politik: Wer wackelt, der kippt - der kraftvolle Auftritt des Kanzlers überrascht den Kongess

Gerhard Schröder ist angeschlagen. Eine Grippe.

Gerhard Schröder ist angeschlagen. Eine Grippe. Termine werden abgesagt, der Bundeskanzler braucht Erholung. Und rafft sich doch auf zu einem schweren Gang nach Hamburg zur IG Metall. Beziehungsarbeit ist angesagt, denn es knirscht schwer zwischen Genossen und Kollegen. So mancher Gewerkschafter fühlt sich von Schröder verkohlt. Schlimmer noch: Das Schröder-Blair-Papier, das Sparpaket oder die Rentenreform - der "Genosse der Bosse" verrät die Arbeitnehmer und pfeift auf die Traditionen aus der Arbeiterbewegung. So war es zu hören von den Gewerkschaftern. Der erkältete Schröder überrascht die Delegierten mit einem kraftvollen Auftritt. Mit erstaunlichem Selbstbewusstsein zieht der Kanzler eine Erfolgsbilanz der vergangenen zwölf Monate. Zugeständnisse an die große IG Metall, gar ein Einlenken bei der "Rente ab 60"? Keine Spur.

SPD und Gewerkschaften verbinden historische Wurzeln und politische Grundorientierungen, immer noch. Doch das Verbindende schrumpft. Im ersten Überschwang des Regierungswechsels sah das noch anders aus, Rot-Grün setzte Gewerkschaftsforderungen um. Aber diese Zeit war eine Episode. Längerfristig bestimmen Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung die Zeit. Schröder, den die Gewerkschaften mit ihrer Wahlkampf-Kampagne unter dem Motto "Arbeit und soziale Gerechtigkeit" unterstützten, gilt als Modernisierer. Ein Wort, das heutzutage in Gewerkschaftskreisen Wutausbrüche provoziert: Die totale Wettbewerbsgesellschaft, Individualisierung und Rückzug des Staates sind mit den gewerkschaftlichen Vorstellungen von Solidarität und von sozialer Marktwirtschaft nur schwer vereinbar.

Die Gewerkschaften bemühen sich um das deutsche Konsensmodell. Deshalb bemühen sie sich auch um das Bündnis für Arbeit. Wo Politik, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammensitzen, geht es um einen fairen Ausgleich. Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und Modernisierung der Gesellschaft müssen keine Gegensätze sein. Eines muss den Gewerkschaften dabei klar sein: Wer sich einbinden lässt, der wird in Mithaftung genommen, zum Beispiel für eine rigorose Sparpolitik zur Sanierung des Haushalts. Und auch für eine weitere Liberalisierung sozialer Sicherungssysteme, die womöglich Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslose belastet. Also schnell weg vom Bündnis-Tisch? So empfehlen es viele Metaller ihrem wiedergewählten Chef Klaus Zwickel.

Nein. Denn dann würde die IG Metall in der Gesellschaft an Gewicht verlieren und zur bloßen Interessenorganisation verkümmern. Viel gewinnen können die Gewerkschaften zwar nicht in Schröders Bündnisrunde. Aber sie haben, insbesondere die IG Metall mit ihren immerhin 2,7 Millionen Mitgliedern, noch immer beträchtlichen Einfluss auf den Gang der Dinge in Deutschland: Eine in ihrer Substanz gegen Gewerkschaften und Arbeitnehmerinteressen gerichtete Politik ist kaum möglich. Das scheinen auch die Wahlergebnisse zu belegen.

Bei ihrer Suche nach der "neuen Mitte" gewinnt die SPD gegenwärtig keine neuen Mehrheiten, sondern wird mitunter zur 20-Prozent-Partei. Und die CDU gebärdet sich plötzlich als Garant sozialer Gerechtigkeit. Muss Schröder umsteuern? Keineswegs, sagt der Kanzler. Wer wackelt, der kippt. Ausgerechnet auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall liefert Gerhard Schröder ein überzeugendes Bekenntnis zu seiner Sparpolitik ab: Wer jetzt nicht spart, kann in der Zukunft nicht gestalten. Darum geht es, und das beeindruckt nicht wenig. Nachdem sie ihn mit Pfiffen begrüßt hatten, verabschieden die Delegierten der IG Metall den Kanzler mit Applaus. Vielleicht ist doch alles nur ein Vermittlungsproblem.

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