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Politik: Wie du mir, so ich dir

Der einstige Blockierer Schröder braucht für seine Reformen den Bundesrat. Die Unions-Mehrheit gibt sich sperrig

Gelegentlich geht es im Bundesrat philosophisch zu. Zum Beispiel, wenn der Kanzler redet. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, hat Gerhard Schröder von Karl Marx gelernt. Für seinen gegenwärtigen Seinszustand als deutscher Regierungschef hat dieser Lehrsatz bewirkt, dass Schröder sein Bewusstsein im früheren Seinszustand als niedersächsischer Ministerpräsident sozusagen einer überwundenen historischen Phase zuordnet. Der Grund für Schröders Exkurs: Am Freitag hatte der Magdeburger Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) in seiner Antrittsrede als Bundesratspräsident sich den Spaß gemacht, Schröders Antrittsrede als Bundesratspräsident von 1997 zu zitieren. Die Situation war wie heute: Die Opposition, damals die SPD, hatte eine Mehrheit in der Länderkammer. Und damals, so Böhmer, habe Schröder deutlich gemacht, dass es kein Versagen der bundesstaatlichen Ordnung sei, wenn der Bundesrat Vorgaben der Bundesregierung oder des Bundestages ablehne, sondern ein Beweis der Funktionsfähigkeit und der Selbstregulierung in einem föderalen Bundesstaat. Fast ein politischer Lehrsatz mit Ewigkeitswert, aber Schröder enttäuschte Böhmer mit Marx und dem Hinweis auf die Lernfähigkeit, die er sich in seinem jetzigen Amt als Kanzler habe aneignen müssen.

Und deshalb machte Schröder den versammelten Ländervertretern der Union unmissverständlich klar, was er angesichts der wirtschaftlichen Lage Deutschlands trotz der Mehrheit in der Länderkammer von ihnen erwartet: Der Bundesrat dürfe die rot-grünen Reformen zwar kritisch begleiten, aber nicht verzögern oder gar verhindern. Eine „historische Aufgabe“ stehe an, die Hartz-Vorschläge seien die „größte Arbeitsmarktreform der Nachkriegszeit“, Renten- und Gesundheitswesen müssten überholt werden. Da bedürfe es einer „Wirtschaftspolitik aus einem Guss“ und „strategischer Investitionen“ in Bildung und Forschung. Die nötigen Reformen würden nicht einfach sein. „Wir werden allen etwas abverlangen müssen, auch dem Bundesrat.“ Vor allem solle es zügig vorangehen, damit die ersten Gesetze schon Anfang 2003 umgesetzt werden könnten. Es müsse gelten: „Erst kommt das Land, dann die Partei.“ In seinem Seinszustand als deutscher Kanzler hat Schröder mit Land natürlich nicht Bayern oder Sachsen-Anhalt gemeint, sondern das große Ganze. Eine Verantwortungsgemeinschaft von Bund und Ländern mahnte Schröder an, der Bundesrat sei nicht das Gegenstück des Bundestages, sondern ein Integrationsorgan.

Der Union war das zu viel des kooperativen Tons: Roland Koch, Hessens CDU-Ministerpräsident, dem nachgesagt wird, dass er ähnlich dem jüngeren Schröder einen Wechsel des Seinszustandes nicht ausschließt, hielt dem Kanzler dessen Ansichten von 1997 entgegen. „Bundestreue der Länder heißt nicht, dass der Bundesrat dem folgt, was der Kanzler will.“ Die Union werde der Bundesregierung die Hand reichen, wenn sie bereit sei, Wachstum und damit Beschäftigung zu fördern. Doch habe er Zweifel, ob die rot-grünen Gesetze diesem Ziel dienten. „Hartz schafft keine Arbeit und kein Wachstum“, sagte Koch, die Vorschläge zur Leiharbeit etwa würden wegen der Bindung an die Tarifverträge keine zusätzliche Beschäftigung bewirken. Die Vorhaben von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt bezeichnete Koch als wirtschaftsfeindlich.

Zur Forderung des Bundeskanzlers nach schneller Gesetzgebung sagte Koch: „Sie können vom Bundesrat nicht erwarten, dass er im Schweinsgalopp Gesetze mitmacht, die falsch sind.“ Rot-Grün brauche Kontrolle, „das ist die Aufgabe des Bundesrats“. Kurzum: Schröder darf erwarten, was er selbst vor fünf Jahren der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung in Aussicht stellte: einen sperrigen Bundesrat.

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