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Afghanistan: Wie funktioniert die neue Strategie?

Nicht nur Taliban bekämpfen, sondern auch die Bevölkerung schützen. Wie soll die neue Strategie der Bundesregierung funktionieren?

Von Robert Birnbaum

Die Kanzlerin tritt am Morgen vor die Kameras, der Außenminister am Mittag und der Verteidigungsminister am frühen Nachmittag – es gibt viel zu erklären am neuen Afghanistankonzept der Koalitionäre, und das tut dann doch lieber jeder für sich selbst. Die Kanzlerin tut es staatsfraulich-nüchtern: Von „Realitäten“ spricht Angela Merkel und von „Notwendigkeiten“. Der Außenminister tut es eher FDP-Chef-mäßig: Mehrfach hebt Guido Westerwelle hervor, wie groß sein eigener Anteil an dem neuen Konzept sei. Der Verteidigungsminister schließlich tut es eher fachlich: „Ein wirklicher Strategiewechsel“ sei das neue Konzept. Ach ja, und der Entwicklungsminister Dirk Niebel tritt auch noch auf.

Aber eine Botschaft verkünden, unterschiedlich deutlich, alle vier: Möglichst ab 2011 soll für die ersten deutschen Soldaten der Einsatz vorbei sein. Und wenn alles gut geht, endet das Abenteuer am Hindukusch um das Jahr 2014 herum. Der innenpolitischen Bieterwettbewerb um den schnellsten Abzug aus Afghanistan ist damit, kaum angefangen, schon beendet. Etwa vier, fünf Jahre noch – das ist seit Montag überparteiliche Marschlinie von CSU bis hin zur SPD.

Wie sieht das neue deutsche

Afghanistankonzept aus?

Das Konzept ähnelt im Grundansatz – nicht zufällig – der neuen Strategie, die US-Präsident Barack Obama ausgegeben hat: Verstärkt afghanische Sicherheitskräfte ausbilden und die Bevölkerung schützen statt den Kampf gegen Taliban zu forcieren. Dem entspricht die verstärkte Polizeiausbildung ebenso wie die Verdopplung der Entwicklungshilfe.

Das Ganze ist mehr eine Akzentverschiebung als etwas völlig Neues; in gewisser Weise ist es sogar eine Rückkehr zum ursprünglichen deutschen Ansatz: Sicherheit schaffen durch enge Kooperation mit den Einheimischen. Die Taliban sollen aus ihren Einflusszonen hinausgedrängt werden. Die Bundeswehr gruppiert dafür ihre Einsatzkräfte in zwei „Ausbildungs- und Schutzbataillone“ mit je etwa 700 Mann um. Möglich wird das, weil das reguläre Mandat um 500 Mann aufgestockt wird, zudem wird die bisherige Einsatztruppe „Quick Reaction Force“ (QRF) aufgelöst.

Diese Truppen sollen zusammen mit je einer afghanischen Brigade – etwa 200 bis 300 Mann – einen begrenzten Raum unter Kontrolle bringen und ihn gegen jeden weiteren Versuch der Taliban abriegeln, die heimliche Herrschaft zu übernehmen. Im Blick der Isaf sind vor allem sechs Zonen rund um Kundus, in denen derzeit die „gegnerischen Kräfte“ das Sagen haben. Dort rekrutiert eine relativ kleine Gruppe „harter“ Taliban in den Dörfern ihre Kämpfer. Wenn die „Harten“ nicht mehr da sind, so das Kalkül, kehren ihre Helfer wieder ins normale Leben zurück. Ist eine Zone befriedet, soll die afghanische Armee die Kontrolle alleine übernehmen, und die gemischte deutsch-afghanische Truppe zieht eine Region weiter. Der Trick, so erläutert es der neue Generalinspekteur und bisherige Isaf-Stabschef Volker Wieker, bestehe in der Begrenzung. Anders als die Amerikaner, die große Flächen auf einmal zum Operationsgebiet erklären, wollen die Deutschen Stück für Stück vorgehen.

Wird der Einsatz nun gefährlicher?

Auf den ersten Blick ja: Die Bundeswehr hat sich in Kundus lange im Lager verschanzt und ist nur schwer gepanzert auf Patrouille gegangen. Jetzt sollen die Soldaten „in der Fläche“ Präsenz zeigen. Das deutsche „Partnering“ unterscheidet sich aber von der US-Version, bei der die amerikanischen Ausbilder mit den Afghanen, so Guttenberg, „Poncho und Isomatte teilen“. Es ist an Arbeitsteilung gedacht: Die Afghanen, so erläutert ein hoher Militär, sollen Patrouillen und Sicherung in der Kontrollzone übernehmen, die Deutschen nur „in der Peripherie“. Auf den zweiten Blick könnte darum Guttenberg Recht behalten. Der betont, der Einsatz werde weder zwingend gefährlicher noch notwendigerweise ungefährlicher. Wieker betont, dass es für die Taliban ungemein schwer sei, in einem massiv gesicherten Raum zu agieren. Schwerer, als mit Sprengfallen auf die tägliche deutsche Patrouille zu warten.

Reicht die Aufstockung?

Dass mancher Militär, anfangs auch Guttenberg sich mehr Soldaten gewünscht hat, ist kein Geheimnis. Aber Westerwelle wollte keine massive Aufstockung verkünden müssen. Die 500 Mann zusätzlich sind eine politische Zahl. 350 weitere werden als „Reserve“ eingeplant für begrenzte Aufgaben: Wahlen absichern oder den Einsatz von israelischen „Heron“-Aufklärungsdrohnen. Vor dem Einsatz der Reserve soll sich der Verteidigungsausschuss jeweils damit befassen.

Um das neue Konzept der Raumsicherung trotzdem realisieren zu können, hat das Verteidigungsministerium die gesamte Einsatztruppe darauf durchforstet, welche Posten entbehrlich sind. Der Großteil der benötigten Truppen wird durch die QRF-Auflösung frei. Diese war mangels Transportmöglichkeiten so „Quick“ nämlich nicht. Jetzt kommen 5000 US-Soldaten als Polizeiausbilder in die Nordregion und 48 US-Hubschrauber. Das PRT Kundus, so die Hoffnung, wird sich durch dieses neue Konzept wieder auf seine ursprüngliche Arbeit konzentrieren können: Aufbauhilfe leisten statt nur sich selbst zu verteidigen.

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