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Politik: Will Clement lieber mit der FDP koalieren? In den 70er Jahren wäre das richtig gewesen - heute kaum (Gastkommentar)

Die FDP hat bei der NRW-Landtagswahl am vergangenen Sonntag ein hervorragendes Ergebnis erzielt und ihren Stimmenanteil nahezu verdoppelt. Sogleich schossen Spekulationen darüber ins Kraut, ob die SPD in Düsseldorf nicht ihren Partner wechseln und für die nächsten vier Jahre eine Koalition mit der FDP statt mit den Grünen bilden sollte.

Die FDP hat bei der NRW-Landtagswahl am vergangenen Sonntag ein hervorragendes Ergebnis erzielt und ihren Stimmenanteil nahezu verdoppelt. Sogleich schossen Spekulationen darüber ins Kraut, ob die SPD in Düsseldorf nicht ihren Partner wechseln und für die nächsten vier Jahre eine Koalition mit der FDP statt mit den Grünen bilden sollte. Manche redeten sogar schon davon, dass es demnächst auch in Berlin wieder eine sozialliberale Koalition geben könnte. Einige erinnerten sich dabei geradezu nostalgisch an die 70er Jahre.

Ich rate zur Bedachtsamkeit.

Selbstverständlich liegt die Entscheidung, mit wem sich die Sozialdemokraten in Düsseldorf für die neue Wahlperiode letzten Endes verbündet, bei den Landesgremien der Partei und damit insbesondere bei Franz Müntefering und Wolfgang Clement. Sie wollen jetzt vernünftigerweise Koalitionsgespräche mit den Grünen führen. Es bleibt aber mehr oder weniger deutlich die Variante im Raum, dass die SPD auch mit den Freidemokraten spricht, wenn es mit den Grünen zu keiner Verständigung kommen sollte. Das ist eben der Vorteil dessen, der zwei Optionen hat, und es wäre jedenfalls taktisch unklug, diesen Vorteil sogleich aus der Hand zu geben.

Diejenigen, die mehr wollen und tatsächlich einen Partnerwechsel anstreben, werden indes einige Fragen in der Sache zu beantworten haben. Insbesondere die, ob es in Nordrhein-Westfalen zwischen der SPD und der FDP wirklich mehr Übereinstimmung gibt, als zwischen der SPD und den Grünen. Gewiss - manchmal mögen grüne Eigenheiten nerven. Aber bei aller Notwendigkeit auf neue Entwicklungen neue Antworten zu geben, darf gerade die Sozialdemokratie den Grundwert der sozialen Gerechtigkeit nicht aus den Augen verlieren.

Einiges spricht dafür, dass bei der niedrigen Wahlbeteiligung und dem Rückgang der Zahl der für die Sozialdemokraten abgegebenen Stimmen, der noch schwerer wiegt als der prozentuale Verlust, gerade diese Sorge eine Rolle gespielt hat. Und man sollte in diesem Zusammenhang auch nicht übersehen, dass die Begeisterung für die neoliberalen Elemente des so genannten Dritten Weges in jüngster Zeit offenbar selbst in Großbritannien nachgelassen hat.

Wenn die SPD dem die gebotene Beachtung schenken und die Menschen zurückgewinnen will, ohne deren Vertrauen sie gerade in Phasen rapider Veränderungen ihre Aufgabe nicht erfüllen kann - und das will sie ja gerade auch in Nordrhein-Westfalen, ihrer traditionellen Hochburg - ist dann die FDP der bessere Partner? Hat sich die NRW-FDP unter Jürgen Möllemann wirklich auf Dauer und nachhaltig von den Positionen der Bundes-FDP getrennt, die doch bis heute eher die Interessen derer vertritt, die ohnehin schon auf der Sonnenseite leben? Zweifel sind da erlaubt.

In diesem Punkt verdienen die Bündnisgrünen wohl mehr Vertrauen. Und dass sie sich - erfreulicherweise - immer wieder für den Schutz der Umwelt stark machen, muss ja nicht heißen, dass sie notwendige Kompromisse grundsätzlich ablehnen. Das haben die Bündnisgrünen auf Bundesebene inzwischen ja gelernt und auch in Nordrhein-Westfalen ist manche Lektion nicht spurlos an ihnen vorübergegangen.

Außerdem - und das betrifft dann auch die Bundesebene: Welche Konsequenzen hätte ein Bündnis der SPD mit den Liberalen für das Abstimmungsverhalten Nordrhein-Westfalens im Bundesrat? Wahrscheinlich müsste sich NRW dann viel öfter der Stimme enthalten und das liefe auf eine handfeste machtpolitische Schwächung der Berliner Regierungskoalition hinaus. Von der generellen Belastung des Klimas für die Schröder/Fischer-Regierung einmal ganz abgesehen.

Diejenigen, denen das gerade recht ist, weil sie den Wechsel auch in Berlin wünschen und dabei nostalgische Erinnerungen an die sozialliberale Koalition der 70er Jahre wecken, sollten bedenken, dass die beiden Parteien damals in einer zentralen Frage - nämlich in der Ostpolitik - nahtlos übereinstimmten und diese auch zum Erfolg führten. Wo gibt es eine solche Übereinstimmung gegenwärtig? Etwa bei den Schwerpunkten des Bündnisses für Arbeit oder beim Atomausstieg? Oder bei der Frage, welcher Rahmenbedingungen der Markt bedarf, um als Instrument optimal zum Gemeinwohl beizutragen? Da müsste sich bei den Liberalen dann doch noch sehr viel ändern.

Noch etwas kommt auf der Bundesebene hinzu: Verlässlichkeit hat sich letzten Endes noch immer ausgezahlt. Das gilt auch für Koalitionsvereinbarungen und den Umgang mit einem kleineren Partner, der es derzeit ohnehin nicht leicht hat. Aber das weiß man in Berlin wohl ohnehin und gerade bei Gerhard Schröder bin ich sicher, dass er sich von nostalgischen Gefühlen nicht übermannen lässt.

Der Autor war Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei, 1983 ihr Kanzlerkandidat und 1981 Regierender Bürgermeister von Berlin.

Hans-Jochen Vogel

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