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Politik: „Wir brauchen eine neue Radikalität“

Grünen-Chefin Claudia Roth fordert eine neue Umweltpolitik – und sieht keine Annäherung an die CDU

Frau Roth, der Parteitag am Wochenende in Köln wird darüber streiten, ob die Grünen künftig radikalere ökologische Forderungen stellen sollen. Wo steht die Parteiführung in der Debatte, ob die Grünen nun noch grüner werden sollen?

Die Herausforderung des Klimawandels ist so wichtig, dass neue Lösungen nötig sind. Wir brauchen in der Umweltpolitik eine neue Radikalität, damit meine ich nicht die Beschwörung von Katastrophen. Wir werden es Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) nicht durchgehen lassen, dass er sich als großer Klimaretter inszeniert, aber gleichzeitig von der EU-Kommission abgemahnt wird, weil er bei den Emissionszertifikaten zuerst an die Großindustrie denkt und den Klimaschutz vernachlässigt.

Wirtschaftspolitiker der Grünen-Fraktion wollen mehr Wettbewerb, wollen Deutschland zum attraktivsten Standort für Wagniskapital machen: Gehen Sie da mit?

Die Grünen sind keine Anbeter von Heuschrecken. Am Anfang der Debatte wurden missverständliche Signale ausgesandt, als ob der freie Wettbewerb und der freie Markt automatisch zu mehr Umweltschutz und mehr sozialer Gerechtigkeit führen würde. Nun ist klargestellt, dass ein freier Markt einen starken staatlichen Ordnungsrahmen braucht, damit sich eine nachhaltige Umweltpolitik durchsetzt und soziale Rechte geachtet werden.

In dem Antrag der Grünen-Führung zur deutschen G-8-Präsidentschaft im kommenden Jahr kritisieren Sie die Architektur der internationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ist das ein Zeichen der Annäherung an die Globalisierungskritiker von Attac?

Wir singen tatsächlich nicht das hohe Lied auf G8. Wir kritisieren die fehlende demokratische Legitimation dieser Organisation. Sie bildet auch nicht die globalen Verhältnisse ab, weil mit China, Indien und Brasilien wichtige Schwellenländer mit hohem Wirtschaftswachstum fehlen. Es ist dringend notwendig, die internationalen Strukturen von IWF, Weltbank und WTO zu verbessern. Wir sind ein Teil der globalisierungskritischen Bewegung, wir sind über die grüne Jugend und über gute Kontakte an der Vorbereitung der Gegenveranstaltungen zum deutschen G-8-Gipfel in Heiligendamm beteiligt.

Um Mehrheiten zu gewinnen, brauchen die Grünen Partner. Werden Sie in Köln eine neue Koalitionsdebatte führen?

Nein. Zwar leidet die große Koalition an einem Ermüdungsbruch, aber es stehen zumindest im Bund keine Verhandlungen über eine neue Regierung an. Wir wollen unsere Inhalte umsetzen. Aber wir wollen nicht Macht um der Macht willen.

Der hessische Grünen-Chef Matthias Berninger will jetzt schon die Voraussetzungen für ein Jamaika-Bündnis mit Union und FDP schaffen.

Das steht jetzt doch gar nicht an. Die Grünen haben zu SPD und Union keine Äquidistanz, die SPD ist uns immer noch viel näher. Das hat auch der Parteitag in Oldenburg vor einem Jahr festgestellt. Die Union ist in diesem Jahr keinesfalls auf uns zugegangen, weder in der Umwelt- noch in der Gesellschaftspolitik. Die Bleiberechtsregelung der Innenminister ist das Gegenteil von dem, was wir unter einer humanitären Lösung verstehen. Das heißt aber nicht, dass wir für alle Zeiten Koalitionen mit der CDU ausschließen. Aber das entscheiden wir dann, wenn es ansteht.

Zur Wahl der Parteichefs gibt es bislang keine Gegenkandidatur zu Ihrer Bewerbung und zu der von Reinhard Bütikofer. Kannibalisiert die Konkurrenz von zwei Partei- und zwei Fraktionschefs nicht das rare Gut Aufmerksamkeit?

Ich bin keine Vegetarierin, aber Kannibalin bin ich auch nicht. In der Debatte über unsere Führungsstruktur wird viel rumgeunkt, tatsächlich hat sie sich bewährt. Ein Gradmesser für den Zustand der Partei ist für mich immer die Frage, ob wir es schaffen, eine lebendige Auseinandersetzung über grüne Fragen zu führen. Da zeigt sich: Grüne Inhalte und grüne Themen sind nicht out, sondern mega-in. Wir werden dadurch stark, dass wir das grüne Profil schärfen, nicht dadurch, dass wir anderen Parteien hinterherhecheln.

Die CDU wird am Dienstag über den Antrag von Jürgen Rüttgers abstimmen, älteren Arbeitslosen länger Arbeitslosengeld I zu zahlen. Überholt Bundeskanzlerin Angela Merkel nun die Grünen links?

Die Bundeskanzlerin verhält sich wie das Fähnchen im Wind. Sie hat nicht gewagt, gegen den Vorstoß von Jürgen Rüttgers zu kämpfen, obwohl sie genau weiß, wie unsinnig er ist. Sie lässt ihre Partei diesen Unsinn sogar noch absegnen. Rüttgers appelliert auf populistische Weise an ein älteres Männerklientel. Es hat mit linker Politik überhaupt nichts mehr zu tun, wenn man den Großteil der Arbeitslosengeldempfänger schlechter stellen will. Rüttgers will bei der jüngeren Generation und bei den Frauen zulangen. Das ist extrem ungerecht.

Die Fragen stellte Hans Monath

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