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Die Einbeziehung Russland lohnt sich, trotz allem, sagt unser Gastautor, der CDU-Außenpolitikexperte Franz Josef Jung. Das Bild zeigt Wladimir Putin, Angela Merkel, Francois Hollande und Petro Poroschenko bei den Minsker Gesprächen im Februar 2015.

© dpa

Petersburger Dialog: Wir brauchen Russland

Die Zusammenarbeit mit Russland lohnt sich, trotz allem, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag.

Dieser Text ist Teil unserer Debatte zur deutschen Russlandpolitik. Hier finden Sie die übrigen Debattenbeiträge.

Wir haben ein großes Interesse an einem Neuanfang in den Beziehungen zu Russland. Denn es gibt zu viele Themen und Herausforderungen, die wir besser mit einem Partner Russland regeln können. Aber auch Russland muss dazu bereit sein.

Wir kommen nicht an der Feststellung vorbei, dass Russland mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im März 2014 und der militärischen Intervention im Donbass Grundnormen der internationalen Beziehungen wie die Unverletzlichkeit der Grenzen sowie die Achtung der Souveränität und der territorialen Integrität von Staaten verletzt hat. Auch hat es bestehende Vereinbarungen und Verträge (u.a. der KSZE/OSZE,  die Nato-Russland-Akte, das Budapester Memorandum) gebrochen. Russland erhebt den Anspruch, ethnische Russen in anderen Ländern unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft mit Waffengewalt zu „schützen“. Dadurch sind insbesondere in den östlichen EU- und NATO-Staaten erhebliche Ängste und massives Misstrauen gegenüber Russland entstanden. Russland hat die in den letzten 40 Jahren aufgebaute europäische Friedensordnung erheblich infrage gestellt.

Es gibt einfach zu viele Herausforderungen, die wir besser mit als ohne Russland regeln können

Auch wenn der Waffenstillstand im Osten der Ukraine derzeit hält, so deutet doch vieles darauf hin, dass das politische Ziel und das Handeln Moskaus darauf gerichtet sind, die Ukraine weiter zu destabilisieren und ihre Annäherung an die Europäische Union zu verhindern. Zugleich fordert Russland damit die EU heraus. Und aus Moskau hören wir immer wieder, die EU sei schwach und kein relevanter Partner.

Das wirft die Frage auf, ob Russland einen Neuanfang in den Beziehungen zum Westen will. Wenn der Wille da ist, wie kann ein Neuanfang gestaltet werden?

Franz Josef Jung ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag für Außen- Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
Franz Josef Jung ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag für Außen- Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.

© promo

Der erste Schritt muss der Wiederherstellung der europäischen Friedensordnung mit ihren grundlegenden Normen dienen. Das bedeutet, dass Moskau seine Verpflichtungen aus dem Minsker Abkommen vollständig erfüllt: Abzug der bewaffneten Formationen und der militärischen Ausrüstung, Wiederherstellung der vollen Souveränität und Kontrolle der Ukraine über seine Staatsgrenze im gesamten Konfliktgebiet im Osten des Landes, sowie politische Einflussnahme auf die Separatisten, damit auch diese ihre in Minsk vereinbarten Verpflichtungen erfüllen. Dann können auch die Wirtschaftssanktionen der EU aufgehoben werden. Es ist selbstverständlich, dass auch die Ukraine ihre Minsker Verpflichtungen vollständig erfüllen muss. Mit dieser Zielsetzung müssen wir den Minsk-Prozess intensiver fortzusetzen. Denn klar ist: Ohne die vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarungen wird es keine ausreichende Grundlage für einen Neuanfang geben.

Ohne die vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarungen wird es keine ausreichende Grundlage für einen Neuanfang geben

Für einen Neuanfang in unseren Beziehungen müssen alle Seiten versuchen, durch Dialog und konkrete Zusammenarbeit schrittweise Misstrauen abzubauen und wieder Vertrauen zwischen den europäischen Staaten aufzubauen. Das wird ein mühsamer und schwieriger Prozess sein, denn die Sorgen und Ängste der Nachbarn Russlands dürfen nicht unterschätzt werden. Zu dieser Vertrauensbildung beizutragen, wird eine Kernaufgabe der deutschen OSZE-Präsidentschaft ab Januar 2016. Auf dieser Grundlage könnten dann weitere wichtige Schritte für eine Wiederherstellung der europäischen Friedensordnung unternommen werden, wie zum Beispiel die Stärkung der OSZE beim Krisenmanagement und bei der Krisenprävention, die Wiederaufnahme von Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle und die Erarbeitung verbindlicher Regeln zum Schutz nationaler und ethnischer Minderheiten.

Ein wichtiger Faktor für einen Neuanfang wird sein, wie weit es eine konstruktive Zusammenarbeit mit Russland bei der Bewältigung von internationalen Herausforderungen gibt. Das gemeinsam mit Russland erreichte Abkommen zur Verhinderung einer nuklearen Bewaffnung des Iran ist ein positives Beispiel dafür. Jetzt geht es vor allem darum, bei der Bekämpfung der Terrororganisation des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) in Syrien zu einem gemeinsamen Ansatz zu kommen. Russland kann ein wichtiger Faktor im Kampf gegen den IS sein, wenn es sich in Syrien voll auf die Bekämpfung der IS-Terroristen konzentriert – und zwar gemeinsam mit den westlichen Partnern in der Anti-IS-Koalition. Was wir in Syrien dringend brauchen, ist ein politischer Übergangsprozess, der alle Akteure und Glaubensgemeinschaften im Land, aber auch die Mächte in der Region einbindet. Eine tragfähige politische Lösung, die auch zur Linderung der Fluchtursachen beitragen kann, werden wir ohne Mitwirkung Russlands nicht erreichen.

Ohne die Mitwirkung Russlands wird es keinen Frieden in Syrien geben

In diesem Rahmen könnte auch ein Neuanfang in den EU- und NATO-Beziehungen zu Russland versucht werden. Auch hier wird es erst einmal um den Abbau von Misstrauen und um Vertrauensbildung gehen müssen. Am ehesten wird eine Wiederbelebung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit möglich sein, die Russland mehr braucht als die EU. Doch unverzichtbar im Sinne eines gegenseitigen Verständnisses ist, dass die Kontakte zwischen den Menschen wieder deutlich intensiviert werden.

Im Bereich der militärischen Sicherheit sollten vertrauensbildende Maßnahmen geschaffen werden, damit beispielsweise Beinahe-Unfälle mit Flugzeugen vermieden oder ein stärkeres militärisches Engagement zum Schutz unserer östlichen Bündnispartner nicht zu Fehlentscheidungen führen. Es ist deshalb zu begrüßen, dass die USA und Russland in diesen Tagen an einer Vereinbarung arbeiten, um Kollisionen im syrischen Luftraum zu vermeiden. Von diesen Gesprächen können neue Impulse ausgehen bis hin zu einer Wiederaufnahme einer Zusammenarbeit im NATO-Russland-Rat, sobald die Verpflichtungen aus dem Minsker Abkommen erfüllt sind.

Wichtig ist also, dass das Interesse an und der Wille zu einem Neuanfang da sind, aber dieser Neuanfang wird nur langsam und auf niedrigem Niveau möglich sein.

Franz Josef Jung ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag für Außen- Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.

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