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Politik: Wir haben doch eine Wahl Von Hermann Rudolph

Mit einem Donnerschlag hat dieser Wahlkampf begonnen. Im Zustand hektischer Angespanntheit endet er, halb als absurder PolitReißer, halb als Knäuel von Paradoxa.

Mit einem Donnerschlag hat dieser Wahlkampf begonnen. Im Zustand hektischer Angespanntheit endet er, halb als absurder PolitReißer, halb als Knäuel von Paradoxa. Ein für sicher gehaltener Sieg hat sich in ein nervenaufreibendes Ringen verwandelt. Ein Kanzler, den man schon aufs Altenteil oder in die Wirtschaft entschwinden sah, geht einem Erfolg entgegen, der weder durch eine Politik noch eine Mehrheit getragen wird. Die große Koalition, die zuletzt als möglichste Möglichkeit auf der Lichtung erschien, scheinen alle Parteien zu verabscheuen wie der Teufel das Weihwasser. Wahlausgang und Regierung von morgen: voll in die Unkalkulierbarkeit geraten.

Das ist das Werk eines Wahlkampfs, wie es noch keinen gab. Ein rechnerisch-demagogisches Gerangel unter dem Diktat der Umfrageergebnisse, heftiges Sich-Festklammern am jeweiligen Thema, dessen Halbwertszeit sich bestenfalls nach Tagen bemaß – Osten, Frieden, Steuern, was auch immer –, kaum Erkenntnisgewinn. Dass er kurz war, ist noch das Beste, was man über ihn sagen kann. Da muss man sich nicht wundern, dass er zuletzt ins nur noch Alberne abrutschte. Oder was ist es sonst, wenn ein Arbeitspapier aus einem Ministerium zur „Giftliste“ gemacht oder aus der Sympathie-Äußerung einer EU-Kommissarin für eine Kanzlerin eine Belastung künftiger Beziehungen konstruiert wird? Von den Entgleisungen des Schlussspurts ganz zu schweigen.

Mit alledem hat der Wahlkampf es fertig gebracht, dass die massive Unzufriedenheit mit Rot-Grün, die doch der Anlass für Schröders politischen Offenbarungseid war, von dem Unbehagen an dem Bild verdeckt wurde, das die Union bot. Gut, wer Edmund Stoiber als Parteifreund hat, braucht sich um Gegner nicht zu sorgen, aber die Konsequenz, mit der die Union ihre Ausgangschancen vergeigt hat, ist schon atemberaubend. Nun stehen wir also bei der politischen Was-wäre-wenn-Mathematik, die nur die Ratlosigkeit bezeugt, in die der Wahlkampf geführt hat, und ein bisschen Heuchelei dazu. Denn natürlich wird es eine große Koalition geben – wenn es nicht anders geht.

Dabei handelt es sich bei dieser Wahl ja eigentlich nicht um den Performance-Wettbewerb, auf den sich die Auseinandersetzung verkürzt hat. Stand denn nicht am Anfang die Frage nach der Veränderungsbedürftigkeit dieses Landes und, vor allem, wie solche Veränderungen zu bewerkstelligen sind? Und wie das bedrückende Gefühl der Stagnation in Deutschland überwunden werden kann? In der Notwendigkeit von Reformen lag die Legitimation der Neuwahlen, die der Bundespräsident aus Schröders politischer Insolvenz-Erklärung abgeleitet hat. Das alles ist auf der Strecke geblieben, inklusive der Wechselbereitschaft der Bürger.

Eine Richtungswahl war angekündigt. Etwas anderes kann heute Abend aus den Wahlurnen herauskommen: Zwei Volksparteien, die angeschlagen sind – die eine wegen ihrer Rolle rückwärts von Hartz IV zum Sozialen, die andere wegen der Fähigkeit, alle Fehler zu begehen, die man machen konnte. Und eine Linkspartei, die sich ins Fäustchen lacht. Nach dreieinhalb bizarren Monaten steht der Wähler vor einer schwierigen Aufgabe: vor lauter Wahlkampf die Wahl noch zu erkennen. Denn die gibt es. Wir müssen sie nutzen.

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