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Politik: „Wir können die Ängste der Menschen entkräften“

Außenminister Joschka Fischer über Hartz IV, die Notwendigkeit, mehr in die junge Generation zu investieren und über grüne Wohlfühlministerien

Herr Minister, beeindruckt Sie eigentlich kein einziges Argument der Gegner von Hartz IV?

In Wahrheit lautet das zentrale politische Argument, das ich höre: Es muss alles bleiben, wie es ist. Ich wäre dafür, wenn wir das bezahlen könnten. Wir können es aber nicht bezahlen. Ich wäre dafür, wenn wir die sozialen Sicherungssysteme auf dem Niveau des Wohlfahrtsstaats erhalten könnten. Wir können aber damit den Sozialstaat für die wirklich Bedürftigen nicht erhalten. Wenn wir nicht reagieren – wie dies die Regierung Kohl aus Angst vor Machtverlust über Jahre tat – würden wir an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, die Arbeitslosigkeit würde dramatisch steigen, die soziale Sicherung würde implodieren.

Aber die Ängste der Menschen sind real.

Die Ängste der Menschen nehme ich sehr ernst. Aber wir können sie entkräften. Hartz IV wird nicht massenhafte Verarmung hervorrufen, sondern bei Erhalt einer sozialen Grundsicherung mehr Chancen für den Zugang in den Arbeitsmarkt bieten. Hunderttausende von Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern werden sich nicht nur materiell besser stellen. Sie werden zugleich endlich Anspruch und Zugang zur Jobvermittlung haben. Es wird in Zukunft ein Fördertatbestand, wenn eine Alleinerziehende keinen Job übernehmen kann, weil sie keinen Betreuungsplatz hat.

Wenn die Ängste unbegründet sind, was war dann falsch, die Kommunikation der Bundesregierung?

Ich bin kein Experte für Kommunikation. Aber wahr ist auch, dass die Menschen gezielt desinformiert und verunsichert wurden über diese Reform des Arbeitsmarktes – von Leuten, die nur billigen politischen oder anderen Profit im Auge hatten.

Es gibt auch aus der Koalition selbst Kritik an der handwerklichen Umsetzung von Hartz IV.

Ich sehe Problemfelder wie die Sondersituation des ostdeutschen Arbeitsmarktes auf die wir schon reagieren, die in der Koalition vereinbarte Veränderung des Kinderfreibetrages und des Auszahlungstermins oder den Vertrauensschutz bei der 58er-Regelung zur Altersversorgung von Menschen, die aus dem Arbeitsprozess ausscheiden. Wir haben in dieser Arbeitsmarktreform zwei Prinzipien: Fördern und Fordern. Das Fordern ist inzwischen weitgehend geregelt. Jetzt müssen wir uns ganz auf das Fördern konzentrieren. Es gibt natürlich Menschen, die seit Jahren vergeblich Arbeit suchen. Und genau auf diese Menschen muss sich die Förderung jetzt und in Zukunft besonders konzentrieren.

Was schlagen Sie zur Wiederherstellung des Vertrauensschutzes bei der 58er-Regelung vor, einer Sondervereinbarung mit der Bundesagentur für Arbeit?

Ich meine, wir sollten jetzt die beschlossene Reform mit der Übergangsregelung umsetzen. Selbstverständlich gilt auch dafür der vereinbarte intensive Monitoringprozess. Wolfgang Clement hat außerdem heute eine Härtefallregelung angekündigt. Das halte ich für sehr vernünftig.

In anderen Ländern wurden demokratische Linksparteien für ähnliche Reformen abgewählt. Ist Ihnen die Sache, die Reform, etwa wichtiger als der Wahlerfolg von Rot-Grün?

Es ist richtig, dass Dänen, Schweden und Niederländer diese Anpassung schon seit den 90er Jahren hinter sich haben. Ich gehöre bekanntlich nicht zu den Blauäugigen, die Machtfragen unterschätzen. Beides ist wichtig, die Reform und der Wahlerfolg. Aber letztendlich ist eine Regierung gewählt, um dem Interesse des Landes zu dienen. Nicht mehr und nicht weniger. Dieser Verantwortung stellt sich die rot-grüne Bundesregierung.

Könnte der Verzicht auf die Senkung des Spitzensteuersatzes helfen, soziale Symmetrie herzustellen?

Die Linke muss sich an diesem Punkt ehrlich machen. Da weigern sich viele Politiker der PDS genauso wie Oskar Lafontaine. Sie wissen doch ganz genau, dass unter den Bedingungen der Globalisierung und Europäisierung eine solche Rücknahme hohe direkte Steuern und Abgaben, aber nicht mehr Verteilungsgerechtigkeit bringen würde. Den Kohl’schen Spitzensteuersatz von 53 Prozent haben nur noch die Aufsteiger bezahlt. Auch der Steuerwettbewerb ist Teil des Standortwettbewerbs. Es ist von viel entscheidenderer Bedeutung, dass wir die Prioritäten bei den sanften Standortfaktoren der Zukunft setzen, dass wir die demografische Herausforderung annehmen und endlich aufholen bei den Ganztagsschulen und der Kinderbetreuung. Bei der Ausbildung junger Menschen und im Hochschulbereich müssen wir zulegen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir müssen viel mehr in die junge Generation investieren.

Ist es nicht eine Ironie der Geschichte, dass die Reformen ausgerechnet zum Wiederbelebungsprogramm für die PDS werden?

Ich sehe das ganz nüchtern. Überall dort, wo in den Beitrittsländern der EU ähnliche Parteien wie die PDS gewählt wurden, mussten sie die gleichen Reformen einleiten. Alle wurden von der Realität eingeholt. Die schlichte Frage an Gregor Gysi und Oskar Lafontaine lautet deshalb, ob sie mehr erreichen werden, als dass die demokratische Rechte in Deutschland mehrheitsfähig wird. Damit würden Gysi und Lafontaine nicht die Gemütlichkeit der alten Bundesrepublik wieder herstellen, sondern eine Regierung ins Amt bringen, die den Sozialstaat brachial verändern will. Übrigens auch: Atomkraftwerke weiter bauen, eine andere Außenpolitik machen würde – siehe Unionshaltung zum Irakkrieg.

Sind Oskar Lafontaine und Gregor Gysi die besseren Linken?

Oskar Lafontaine und Gregor Gysi haben uns immer erzählt, was für tolle Rezepte sie haben. Das Wasser lief einem förmlich im Munde zusammen. Aber jedes Mal, wenn es ans Kochen ging und es in der Küche heiß wurde, stand die Hintertüre offen und von beiden Köchen keine Spur, sie waren vor der Verantwortung davongerannt.

Was spricht gegen eine Erhöhung der Erbschaftsteuer?

Ich bin für die Erhöhung der Erbschaftsteuer. Aber wir brauchen dafür nun einmal die Zustimmung der Union im Bundesrat. Die werden wir, wie es gegenwärtig aussieht, nicht bekommen.

Grünen-Fraktionsvize Reinhard Loske schlägt einen neuen Anlauf zu einer ökologischen Steuerreform vor. Ist jetzt, im Aufschwung, der richtige Zeitpunkt, die Ökosteuer zu erhöhen?

Reinhard Loske hat lediglich gefordert, bestehende Ausnahmen für die Industrie auf den Prüfstand zu stellen. Das ist legitim. Aber: Wir sind in der entscheidenden Phase der Umsetzung der Arbeitsmarktreform. Wir sollten uns nicht zu viel auf einmal zumuten und nicht alles auf einmal machen.

In der SPD wird die Bürgerversicherung kontrovers diskutiert. Stehen Sie noch zu diesem Konzept?

Ja. In einer älter werdenden Gesellschaft wird der Gesundheitsmarkt ein Wachstumssektor. Lassen Sie mich als überzeugten Marktwirtschaftler hinzufügen: Das setzt voraus, dass wir Marktbarrieren wirklich beseitigen und nicht Monopolpreise und geschützte Sektoren – wie etwa Apotheken oder Kassenärztliche Vereinigung – zulassen. Das wurde von Union und FDP verhindert. Der zweite Punkt: Es kann nicht sein, dass nur die gesetzlich Versicherten Solidarität mit den Schwächsten üben, nicht aber Beamte, Selbstständige und Besserverdienende. Die Einnahmen müssen auf eine breitere und gerechtere Grundlage gestellt werden, deshalb brauchen wir die Bürgerversicherung. Das Dritte: Wir dürfen die gewachsenen Gesundheitskosten nicht als Negativanreize bei den Lohnkosten wirken lassen. Deshalb bin ich dafür, die Arbeitgeberanteile einzufrieren. Ich bin auch dagegen, Miet- und Zinseinnahmen zur Bürgerversicherung heranzuziehen. Stattdessen sollte man einen bestimmten Prozentsatz der Zinsertragsteuer zur Finanzierung der Bürgerversicherung heranziehen und damit die Lohnnebenkosten weiter senken.

Warum geht es den Grünen im Reformprozess so viel besser als der SPD? Weil die drei Bundesministerien der Partei nicht mit den heiklen sozialen Problemen befasst sind, wie Angela Merkel sagt? Sie spricht von „Wohlfühlministerien“.

Kann man von Wohlfühlministerien sprechen, wenn die Probleme, mit denen ich es zu tun hatte und habe, Kosovo, Mazedonien, Afghanistan und Irak hießen und heißen? Wenn Jürgen Trittin die Themen Atomausstieg, Ökosteuer und Dosenpfand anging? Wenn Renate Künast die Abwehr der Rinderkrankheit BSE und die größte Agrarreform der Bundesrepublik organisieren musste? Dieser Vorwurf ist absurd. Richtig ist, wir tragen im Sozialbereich keine direkte Ressortverantwortung.

Ist die SPD noch zu retten?

Die Frage ist absurd. Das Problem ist ein anderes: Wir sind noch nicht in der Phase des Aufbaus, sondern noch immer in der Phase der Konsolidierung. Und das ist die bitterste Phase. Die positiven Früchte der Arbeitsmarktreformen sind noch nicht gereift. Hartz IV steht ja noch nicht mal im Praxistest. Dafür bezahlt gegenwärtig vor allem unser Koalitionspartner einen hohen Preis. Ich bin mir aber sicher: Die SPD wird wieder deutlich zulegen. Und wenn sich 2006 die Kanzlerfrage stellt, wird sie eindeutig entschieden werden – zugunsten von Gerhard Schröder. Wenn ich mir den Zustand der Opposition anschaue, stelle ich fest: Die Union hat jetzt in der Opposition schon mehr Tohuwabohu in den eigenen Reihen, als wir unter dem härtesten Reformdruck jemals hatten. Das wird auch in zwei Jahren die Wahl mit entscheiden, denn eines ist klar: Die Menschen sind nicht dumm.

Die Fragen stellten Stephan-Andreas Casdorff und Hans Monath.

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